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John Osborn (Raoul de Nangris), Venera Gimadieva (Marguerite de Valois), Jennifer Rowley (Valentine), Tilmann Rönnebeck (Graf de Saint-Bris), Christoph Pohl (Graf de Nevers), Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Foto: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
John Osborn (Raoul de Nangris), Venera Gimadieva (Marguerite de Valois), Jennifer Rowley (Valentine), Tilmann Rönnebeck (Graf de Saint-Bris), Christoph Pohl (Graf de Nevers), Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Foto: © Semperoper Dresden/Ludwig Olah
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Die Bösen sind immer die Anderen – Konwitschny inszeniert Meyerbeers „Les Huguenots“ an der Semperoper Dresden

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Giacomo Meyerbeers „Les Huguenots“ beeindruckt in der Inszenierung von Peter Konwitschny außerordentlich, meint unser Kritiker Joachim Lange. „Die Hugenotten verbinden in gewisser Weise wagnerschen Größenwahn mit italienischem Belcanto- und Emotions-Furor. Die Musik ist aber dennoch mit französischer Leichtigkeit aufgeschäumt und behandelt obendrein den großen historischen Gegenstand mit Sprengkraft. All das hört man bei Stefan Soltész und der Staatskapelle.“

Diese „Hugenotten“ waren eigentlich als Koproduktion der Semperoper mit der Oper in Paris geplant. Geklappt hat es nicht. Denn dort wollte sich der vorgesehene Dirigent mit Rückendeckung des Intendanten nicht auf die Kürzungen und Umstellungen einlassen, die Peter Konwitschny vorschlug. In Paris entschied man sich daraufhin für Andreas Kriegenburg. Und bekam ziemlich statische Tableaus, in denen sich vor allem die Protagonisten vokal ins rechte Licht setzen konnten. Peter Theiler blieb bei seiner Entscheidung für diesen Regisseur und der Dirigent Stefan Soltész gehört zu den Vertretern seiner Zunft, die dem Regie-Altmeister aus gemeinsamer Arbeit vertraut sind, und deren Sinn für das Theater mit seinem eigenen zusammenpasst. Dazu noch Johannes Leiacker als Ausstatter. Den einzigen Kompromiss, den Konwitschny bei diesem Produktionsteam eingehen musste, war wohl, dass er an dem auf einen hohen Anteil von auswärtigen Besuchern angewiesenen Haus nicht in deutscher Sprache singen lassen konnte. 

Manche Dresdner Zuschauer werden sich noch an den „Nabucco“ des Regisseurs erinnern, bei dem der Gefangenenchor beim ersten Mal als Vision des Königs aus der Konserve ertönte, einen Buhsturm auslöste, unmittelbar danach aber mit der vollem Wucht des Chores noch einmal wiederholt wurde. Oder an eine Venus mit Alkoholproblem in seinem „Tannhäuser". Den meisten aber sind die während der „Csardasfürstin“ einschlagenden Granaten in Erinnerung, mit denen der Regisseur das Stück in seine Entstehungszeit blendete. Vor allem wegen des Tanzes kopfloser Soldaten in den Schützengräben des ersten Weltkrieges knickte der damalige Intendant vor einer Buhfraktion ein und „korrigierte“ die Inszenierung im Nachhinein. In den folgenden Auseinandersetzungen gelang es Konwitschny, klären zu lassen, dass auch eine Inszenierung ein eigenständiges Kunstwerk ist. Eigentlich eine Binsenweisheit, an die zu erinnern in Zeiten digitaler Stammtische immer mal wieder lohnt. 

Das Gemetzel, das die Katholiken im August 1572 bei der Hochzeit Heinrichs von Navarra mit Margarete von Valois unter den Hugenotten anrichteten, ist als „Bartholomäusnacht“ ins kollektive französische und europäische Kollektivgedächtnis eingegangen. 1836 haben Eugène Schriebs und Giacomo Meyerbeer daraus die Grand opéra „Les Huguenots“ gemacht. Heute gehören die, anders als zu Entstehungszeit zu den Spielplanwagnissen. Das liegt am Riesenschatten, den Wagner nicht nur über das 19. Jahrhundert wirft, und dem folgenden gewaltsamen Bruch der Rezeption jüdischer Komponisten durch die Nazis. Es sind aber auch die puren Ausmaße einer Grand opéra, die einen erheblichen Ressourceneinsatz voraussetzen. Das gilt auch dann noch, wenn man sie wie in Dresden auf deutlich unter vier Stunden kürzt. 

Aber es gehört zu Theilers Strategie, dem Hausgott Wagner auch dadurch zu huldigen, dass er den Blick auf dessen Zeitgenossen, Vorbilder und Konkurrenten weitet. Mit Blick auf Meyerbeer hat sich der frühe Revoluzzer und späte Königsfreund ja tatsächlich als jener „Gnom aus Sachsen mit dem Bombentalent und dem schäbigen Charakter“ erwiesen, als den ihn sein Verehrer Thomas Mann mal charakterisiert hat. 

Wenn der Vorhang mit einer Projektion von Leonardo da Vincis berühmtem Abendmahl hochgeht, und die Katholiken in einem von Johannes Leiacker nach diesem Vorbild gebauten Raum ein ziemlich ausgelassene Gelage veranstalten, dann sehen die Kostüme hübsch historisch, gar deutlich nach „Mantel und Degen“ aus. Obwohl sie hier mit dem Baguette fechten und alsbald viele von ihnen unterm Tisch landen. 

Bei Königin Marguerite sieht es dann eher nach royalem Wellness-Bereich aus, wenn sie in einer Wanne ihre schönen Koloraturen trällert und den aufkreuzenden Raoul gleich mit ins Bad einlädt. Ohne dass beide nass werden dabei….

Doch am Ende hat sich eine große Finsternis über die Szene gesenkt und dieser ganze Raum hat sich aufgelöst. Und zwar in jeder Hinsicht. Denn der Boden ist mit lauter sterbenden oder gerade ermordeten Hugenotten übersät. Die Mörder, die in der letzten Szene die Hugenotten einschließlich der Frauen und Kinder vor sich hertreiben und mit aus dem Off eingespielten Maschienergewehrsalven niedermetzeln, sehen jetzt aus wie Abgesandte aus der Zukunft jener Vergangenheit Europas. Sie sehen aus wie mordende Fanatiker von heute. Und auch die, die hinter einem Rednerpult von heute den (mündlichen) Befehl dazu gab, die regierende Königin-Mutter Catharine de Médicis kommt aus unserer Gegenwart in dieses Stück. Diese Szene, die in der Uraufführung aus Zensurgründen nicht vorkam, hat Konwitschy eingefügt (also nicht nur gekürzt).

Diese Botschaft ist klar und bedarf keiner weiteren offensichtlichen Aktualisierung. Da vertraut Konwitschny auf den Bilder- und Assoziationsvorrat seiner Zuschauer. Er widmet sich dem Kern der Geschichte und den Beziehungen zwischen den handelnden Personen. Und das mit der gewohnten Präzision in der Personenführung und Charakterzeichnung. Dabei inszeniert er keineswegs gegen das Genre, zwar sind neben etlichen Arien auch die Ballette gestrichen, aber es gibt sogar ganz klassische Tableaus, die gelegentlich sogar eingefroren sind. Was beim vorzüglichen Dresdner Opernchor (einstudiert von Jörn Hinnerk Andersen) immer noch mehr ist, als Konzertformation, sondern auch da Stimmungen, Ahnungen und Zweifel einzelner deutlich zu erkennen sind. 

Die von Akt zu Akt schrumpfende Projektion des berühmten Abendmahls von Leonardo da Vinci ist eine Art optisches Leitmotiv. Als Sinnbild von Utopie, Verrat und Abschied in einem. Der Bühnenraum, ist erst zu einer Hälfte schwarz und dann insgesamt immer dunkler. Das große Liebesduett zwischen dem Hugenotten Raoul und der Katholikin Valentine kann es musikalisch und in diesem Fall auch optisch mit dem von Tristan und Isolde oder Dido und Aeneas aufnehmen. 

Die Hugenotten verbinden in gewisser Weise wagnerschen Größenwahn mit italienischem Belcanto- und Emotions-Furor. Die Musik ist aber dennoch mit französischer Leichtigkeit aufgeschäumt und behandelt obendrein den großen historischen Gegenstand mit Sprengkraft. All das hört man bei Stefan Soltész und der Staatskapelle. Manchmal geht der Schauer der Musik (oder ihr makaber aufgedrehte flotte Gangart beim Morden) über den der Szene sogar noch hinaus. 

Dabei wahrt Konwitschny die Balance von zentraler Lovestory zwischen dem Hugenotten-Aktivisten Raoul (grandios mit Steigerung: John Osborne) und der Tochter des Katholikenführers Valentine (nach einigen Startschwierigkeit in eindringlicher Hochform: Jennifer Rowley) und dem Widerstreit der religiösen Fanatiker. Für die steht auf der einen Seite John Relyea. Als Raouls stattlicher Diener Marcel entrollt der Luthers „Eine feste Burg ist unser Gott“ bei jeder Gelegenheit wie ein Banner aus der Baßgurgel. Auf der anderen Seite ist Tilmann Rönnebeck, der als Comte de Saint-Bris in seinem Fanatismus ebenso unerschütterlich. Dessen fanatischer Mordlust fällt nicht nur der kompromissbereite Exverlobte seiner Tochter Nevers (Christoph Pohl), sondern auch sie selbst zum Opfer fallen. Venera Gimadieva erobert sich als Königin Marguerite erfolgreich die Koloraturhöhen ihrer Partie, scheitert aber als souveräne Frau mit ihrem Kampf für Versöhnung und Vernunft auf ganzer Linie. Aus der kleinen aber dankbaren Rolle des Pagen der Königin Urbain, der sich hier klammheimlich über die Intrigen freut, macht Stepanka Pucalkova auch in der gekürzten Version ein Kabinettstück. Auch die übrigen kleineren Rollen sind handverslesen besetzt. 

Bei Konwitschny enden die Hugenotten nicht mit Erschrecken des Katholiken Anführers, als er bemerkt, dass er sein eigenes Kind ermordet hat, sondern mit einem knappen tieftraurigen Solo der Bassklarinette, das Christoph Korn über die Leichen hinweg in eine tiefschwarze Zukunft spielt, die nur vom Feuerschein des brennenden Paris erleuchtet wird. 

Im allgemeinen Beifall profilieren sich beim Regieteam auch einige Buhrufer. Man fragt sich, warum eigentlich. Zu weit weg von der Vorlage? Oder zu nah dran? Oder nur, weil man eben schon immer bei Konwitschny gebuht hat? Sie werden es wissen. 

 

 

 

 

 

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