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Der US-amerikanische Komponist John Bertolozzi. Foto: Josefine Koehn
Der US-amerikanische Komponist Joseph Bertolozzi. Foto: Josefine Koehn
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Ein Kilometer Brücke als Instrument: Joseph Bertolozzis „Bridgemusic“

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In den 50ern revolutionierte Skiffle die Jazz und Blues-Szene indem die Musiker auf Waschbrettern, Sägen und Zigarrenboxen spielten. Heute trommeln die U-Bahn-Musiker in New York auf Plastikeimern, auch das Musical Stomp hat die Idee aufgegriffen, mit Alltagsgeräten rhythmische Kompositionen zu erzeugen.

Die französiche Gruppe Les Tambour du Bronx ist seit 20 Jahren mit ihren archaisch klingenden Percussion-Auftritten, bei denen die Musiker mit nackten Oberkörpern schwarz-rot bemalte Ölfässer bearbeiten, erfolgreich. Auch die sich in den 70er Jahren etablierende Industrial-Szene nutze alle möglichen Trommel-taugliche Gerätschaften für ihre Tabu-brechenden Krachkompositionen.

Der US-amerikanische Komponist Joseph Bertolozzi hat dieser Percussion-Tradition nun noch einen Paukenschlag  draufgesetzt. Seine jüngste, klassische Komposition „Bridgemusic“, spielte er auf einer Brücke ein, genauer auf der Mid-Huson oder Franklin Delano Roosevelt Bridge, die sich in einer Länge von 914 Metern aus massivem Stahl und Beton 41 Meter zwischen Poughkeepsie und New Paltz, New York, hoch über dem Hudson River spannt.

In halsbrecherischen Klettertouren sammelt er Töne, trommelte auf Pfeilern, Stahlseilen, Schildern. Einmal ließ er Schrotkügelchen durch ein Pfeilerrohr hinunterrieseln, in dessen schmalem Aufgang er sich für diese Aufnahme dieses gigantischste Regenrohr quetschte. Eine ziemlich riskante Methode, ein klassisches Musikstück zu komponieren.

„Ich habe nicht wirklich Höhenangst,“ sagt er. „Doch das ist eine vollkommen andere Ebene. Aber wenn ich Musiker da draußen auf der Brücke haben will, dann muss ich das selbst tun können.“

Zur 2 Millionen US$ teuren Life-Performance mit 24 Musikern wird es aufgrund mangelnder Finanzen wahrscheinlich nicht so schnell kommen, aber das Brückenbauamt finanzierte eine feste Installation, auf der die einzelnen Kompositionen per Knopfdruck angehört werden können. So können Spaziergänger mitten auf der Brücke vor dem Hintergrund der dicht bewaldeten Catskill Berge „Bridgemusic“ genießen, dort, wo vor genau 400 Jahren Henry Hudson mit seinem Boot „Half Moon“ gen Norden auf Entdeckungstour segelte.

Dieses Jubiläum war mit ein Grund dafür, weshalb Bertolozzi seine Idee, seine Percussion-Kompositionen, die er bisher für seine „Bronze Collection“, eine Sammlung von Gongs und Becken geschrieben hatte, auf der Brücke nahe seines eigenen Zuhauses zu verwirklichen. „Ursprünglich hat meine Frau mich auf die Idee gebracht“, erinnert sich Bertolozzi, „als sie nach einem meiner Konzerte bei den US Tennis Open 2004 gegen ein Poster des Eifelturms haute, als wäre dieser auch ein Gong.“ Schlagartig wurde ihm klar: „Das ist möglich. Alles vibriert. Das ist möglich.“

Allerdings mussten dann noch die Behörden von dem Projekt überzeugt, Genehmigungen eingeholt werden. Und das dauerte fast fünf Jahre. Für die eigentliche Komposition brauchte Bertolozzi gerade einmal drei Monate. Dabei musste er bei der Komposition nicht nur auf ästhetische sondern auch auf praktische Gesichtspunkte achten. „Ein Musiker kann ja nicht gleichzeitig spielen und auf der Brücke herumklettern,“ erklärt Bertolozzi.

Was Bertolozzis Bridge Music so interessant macht, ist, dass sie tatsächlich life auf der Brücke gespielt werden kann. Jeder einzelne Klang, jede Note wurde erzeugt, indem Bertolozzi mit Schlägen, Hämmern oder einem Fellüberzogenen Baumstamm gegen die Bestandteile der Brücke schlug, zwar durch die direkt an der Brücke montierten Abnehmer-Mikrofone verstärkt, aber durch keinerlei Effekte verändert.

„Wir nahem 150 verschiedene Oberflächen auf, sogar an der Unterseite der Brücke,“ sagt Bertolozzi. Viele der Klänge wurden nicht benutzt, weil sie zu ähnlich waren. Letztlich sammelte er 320 verschiedene Töne, mit denen er komponierte. Zehn verschiedene Partituren hat er bisher damit geschrieben, plus ein Erklärstück, in dem die Entstehung des Werkes erläutert wird.

In den USA schaffte es  „Bridgemusic“ bereits auf Platz 18 der Classical Crossover Billboard Charts und Platz 39 der Classical Charts. In Deutschland wird Bridgemusic ab Oktober erhältlich sein.

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