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Meistersinger in Chemnitz. Foto: © Dieter Wuschanski
Meistersinger in Chemnitz. Foto: © Dieter Wuschanski
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Handwerklich souveräne „Meistersinger“ an der Oper Chemnitz

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Dieter David Scholz war bei der Abschiedsinszenierung Michael Heineckes in Chemnitz zu Gast und hat eine guten, aber bisweilen gegen die Intention Wagners inszenierten Opernabend gesehen.

Wagners „Meistersinger“ sind ein Werk des Nichtmehr und des Nochnicht, Künstleroper und politische Utopie, angesiedelt in der Stadt Nürnberg, eine ganz diesseitige Komödie um die historische Figur des Hans Sachs. Michael Heinicke, der sich als Chefregisseur nach 25 Jahren vom Opernhaus Chemnitz verabschiedet, lässt das Stück in einem Museum spielen, einem Raum der Kunst. Peter Sykora hat ihm dafür eine runde Kunsthalle gebaut, die bestückt ist mit altfränkischen Gemälden, Plastiken und Kunstgegenständen. Die Rotunde steht als Metapher für die ungeheure Kunstproduktion der Stadt Nürnberg im ausgehenden Mittelalter, eine Kulturmetropole, eine Stadt der Alten Meister.

Um die geht es in der Oper, um Kunst, um Alte Meister und Junge Wilde auch in der Musik, um Meistersinger und Neutöner. Wagner plädiert in diesem Stück pathetisch und emphatisch für nationale Kultur, nicht politischen Nationalismus. Indem Heinicke und Sykora die Oper in einem unvorbelasteten, ideologiefreien Raum ansiedeln, lassen sie die Botschaft des Stücks eindeutig hervortreten und vermeiden alle politischen, nationalistischen, chauvinistischen Missverständnisse, die bei diesem Stück immer wieder auftreten, oft sogar bewusst inszeniert werden.

Die „Meistersinger“ haben im Laufe ihrer Rezeption und Inszenierungsgeschichte kontroverse Deutungen erfahren. Michael Heinicke und Peter Sykora interpretieren die Oper sehr menschlich und lassen Wagner Gerechtigkeit widerfahren, schon indem sie, und das ist die Grundidee der Inszenierung, Wagner höchstpersönlich in der Ouvertüre auftreten lassen, unverkennbar mit Barett, Samtjacke und eindeutigem Profil. Er betritt dieses Museum, in dem Besucher in Kostümen seiner Zeit wandeln, er dreht eine Bildtafel um und man sieht Tizians berühmte „Himmelfahrt“, die einst Wagner 1861 in Venedig zur Ausführung seiner Meistersinger inspirierte, wie er selbst in seiner Autobiographie überliefert hat. Der Zuschauer wohnt also Wagners Inspirationslegende bei und wird Zeuge der über die Bühne hereinbrechenden Phantasie Wagners. Plötzlich hält die Bürgerschaft Nürnbergs Einzug in das Museum, in prachtvollen Renaissancekostümen, die an die Uraufführungsfigurinen erinnern.

Alle drei Akte spielen in diesem Museumsraum, der im zweiten Akt zum Künstleratelier wird, in dem Hans Sachs sogar den Pinsel schwingt. Warum eigentlich? Er ist doch neben seinem Schusterbesuch lediglich als Poet in Erscheinung getreten. Was noch mehr irritiert, dass er zu Beckmessers Ständchen das Tanzbein schwingt und überhaupt als sehr fröhlicher, immer gutgelaunter Senior auftritt, wo er doch bei Wagner ein Resignativer, ein Schwermütiger, ein Melancholiker ist, ein Schopenhauerianer, der den Wahn der Menschen durchschaut hat und allen sinnlichen Freuden entsagt. Wagner hat sich dazu eindeutig geäußert. Wenn Heinicke aus Sachs eine fröhliche Person macht, entspricht dies seiner fröhlichen, versöhnlichen Konzeption, die alles Extreme und Aktualisierende vermeidet und an deren Ende sich sogar die Erzfeinde Walther von Stolzing, der Neue Wilde und Sixtus Beckmesser, der verknöcherte Traditionalist und Hüter des Kulturerbes, die Hand reichen.

Trotz des Einwandes gegen die Darstellung der Figur des Sachs ist das eine handwerklich sehr souveräne Inszenierung. Heinicke, der in Chemnitz alle großen Wagneropern inszenierte, schöpft aus reichem regielichem Erfahrungsschatz. Eine schöne, eine gutmütige Abschiedsinszenierung, die das Chemnitzer Publikum mit viel Beifall würdigte.

Frank Beermann, seit 2007 Generalmusikdirektor der Theater Chemnitz und Chefdirigent der Robert-Schumann-Philharmonie, verabschiedet sich ebenfalls mit diesem anspruchsvollen Werk, das als die deutsche Festoper schlechthin gilt. Sein Dirigat ist allerdings weniger festlich als nüchtern.

Er vermeidet weitgehend breite Tempi und pathetischen Gestus. Teutonisches bleibt außen vor. Diese „Meistersinger“ kommen musikalisch gelassen, streckenweise beiläufig daher, sie sind mit Understatement dirigiert. Nur an wenigen Stellen fasst Beermann Mut zu kraftvoller Scharfzeichnung. Schade eigentlich, aber es ist wohl Absicht, einen Wagner der Untertreibung zu wagen, fern allen weihevollen Zelebrierens, gerade bei einem so belasten Stück. Etwas aufregender hätte es aus dem Graben allerdings schon tönen dürfen. Aber womöglich hat Abschiedsmelancholie das Temperament des Dirigenten etwas gebremst.

Für die Realisierung der „Meistersinger“ benötigt man ein Großaufgebot an Sängern. Das ist für jedes Theater eine Herausforderung. Erstaunlicherweise hat man in Chemnitz nahezu alle Partien, auch die vielen kleinen Partien rollendeckend besetzen können. Auch der große Chor des Hauses ist wieder einmal vorzüglich.  Bei den Hauptpartien hatte man etwas Pech. Da der Sänger des Walter von Stolzing erkrankte, ist in sprichwörtlich letzter Minute – ohne Proben – der Tenor Daniel Kirch eingesprungen um die Premiere zu retten. Kein Traumtenor, stimmtechnische Probleme sind unüberhörbar, aber ihm gebührt Dank. Roman Trekel als hohltönender Beckmesser ist ein überzeugend skurriler Besserwisser und Lordsiegelbewahrer des Althergebrachten. Der Beckmesser ist die Rolle seines Lebens. Eine erfreuliche Überraschung ist Kouta Räsänen als Pogner. Der Finne verfügt über einen balsamisch strömenden, großen schwarzen Bass und singt absolut wortverständlich. Neben dem lupenreinen, feinen Sopran von Maraike Schröter, die eine sehr feine Eva singt, ist das die beste Stimme des Abends. Franz Hawlata ist zwar eine tolle Type, hat aber als Hans Sachs die beste Zeit seiner Stimme lange hinter sich, er wurschtelt sich durch die Partie, mit sehr unschönen Vokalverfärbungen und Höhenproblemen. Immerhin: bei der Schlussansprache und auch beim Wahnmonolog sind ihm noch einmal berührende, große Momente gelungen. Trotz dieses nicht durchweg beglückenden Sachs‘ ist die Meistersingerproduktion in Chemnitz unterm Strich beeindruckend.

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