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Angeles Blancas Gulin in „Das Gehege.“ Foto: Bernd Uhlig
Angeles Blancas Gulin in „Das Gehege.“ Foto: Bernd Uhlig
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Hinter Gittern – Luigi Dallapiccolas „Il Prigioniero“ und Wolfgang Rihms „Das Gehege“ in Brüssel

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Wenn Andrea Breth inszeniert, dann bekommen die Werke, die sie sich vornimmt, immer etwas Grundsätzliches, Gültiges. Sie schafft es allemal zum Kern der Sache vorzudringen. So wie jetzt mit ihrem jüngsten Doppelabend in der Brüsseler La Monnaie Oper mit Luigi Dallapiccolas „Il Prigioniero“ und Wolfgangs Rihms „Das Gehege“.

Beides sind keine Novitäten mehr, gleichwohl eine Herausforderung. Die eine reflektierte 1949 in einem historisch verfremdeten Gewand den Beginn des Kalten Krieges. Für das selbstverfasste Libretto ließ sich Dallapiccola von Auguste de Villiers de L’Isle-Adams „La Torture par l’espérance“ und Charles de Costers „La Légende d’Ulenspiegel et de Lamme Goedzak“ inspirieren.

Die andere, von Rihm als „Nachtszene für Sopran und Orchester „ bezeichnete, 2006 uraufgeführte, ist von dessen Ende inspiriert. Jedenfalls, was den Botho-Strauss-Monolog (aus dessen Stück „Schlusschor“) betrifft, dem Tag des Mauerfalls zugeordnet, und von Rihm durch seine Musik in einen hochexpressiven Aggregatzustand versetzt wurde. Bei der Münchener Uraufführung war „Das Gehege“ mit Richard Strauss’ „Salome“ kombiniert. Was man fast schon unfair nennen könnte. Besonders, wenn man es mit der Wirkung vergleicht, die das Stück mit einem Partner auf Augenhöhe gewinnt. So wie in Brüssel, wo der mit der Oper Stuttgart koproduzierte Abend jetzt zuerst herauskam. In ihrer Kombination wirken diese beiden Stücke, als hätten sie aufeinander gewartet.

Die düster beklemmende Käfig-Atmosphäre des Bühnenbildes von Martin Zehetgruber, Andrea Breths Bewegungskanon, ihre kurzen Schnitte ergänzen sich ebenso kongenial. Ein Besetzungsglücksfall sind die zwei Ausnahme-Interpreten Bariton Georg Nigl als Gefangener und Sopranistin Angeles Blancas Gulin zuerst als dessen Mutter und dann als Frau am (bzw. im) Gehege. Ihre Intensität zieht in den Bann und sorgt dafür, dass man eine innere, untergründige Verbindung zwischen beiden Stücken zu erspüren meint. 

Im ersten Stück geht es um jenen Gefangenen, den die Inquisition von König Philippe II. mit dem Vorgaukeln einer möglichen Befreiung besonders perfide foltert, bevor sie ihn auf den Scheiterhaufen schickt. Es beginnt wie in einem dunklen Nichts nur mit dem weiß geschminkten Gesicht der Mutter des Gefangenen und ihrer eindringlichen Anteilnahme.

Bei Breth wird daraus ein überzeitlich exemplarischer Fall von Selbsttäuschung. Wenn der Fluchtweg aus dem Käfig seiner Gefangenschaft in eine Welt voller Käfige führt dann ist das ein Coup, der in seiner Einfachheit einen tiefen Eindruck hinterlässt. Wie jenes (blendend weiße) Licht am Ende des Tunnels, nur der gleißende Feuerschein einer tiefen Hoffnungslosigkeit ist, den nicht nur die Scheiterhaufen der Inquisition aussendet. Um den eindrucksvollen Interpreten des Gefangenen herum vervollständigen John Graham-Hall als Gefängnisaufseher und Großinquisitor, Julian Hubbard als erster und Guillaume Antoine als zweiter Priester das Ensembles des ersten Teils. Der Chor wird – wie vom Komponisten vorgesehen und auch mit dem gewünschten Effekt – eingespielt.

Ist Breths verallgemeinernde Ästhetik im ersten Fall ein möglicher Zugang, so erscheint er bei der Umsetzung von Botho Strauss’ übersteigerter Metaphorik geradezu zwingend. Natürlich geht es bei dem Begehren, das die frustrierte Anita auf den im Zoo ausgestellten Adler richtet nicht um eine pathologische Triebverirrung. Sondern um die Bedeutung, die diesem Vogel als Wappenzier der Mächtigen zukommt. Auch ihn zu befreien bleibt eine Illusion. Der Monolog der Frau wird zu einem akrobatischen Akt der Selbstverleugnung, der in einer Art Seelenwanderung gipfelt. Vielleicht wird sie ja selbst zu jenem Adler, wenn der tot am Boden liegt? Man könnte die Umrisse am Gitter so auffassen. Die Botschaft oder Wirkung vermittelt sich eher über die Stimmung der Musik, als über den Gehalt der Worte. „Wald“ ruft die Frau am Ende und wiederholt es noch dreimal. Es bleibt also bei der metaphorischen Schwebe, die der Text selbst vorgibt, wenn die Frau zum Adler sagt: „Du verstehst meine Worte nicht. Hörst du nicht an meiner Stimme, was ich meine?“

Musikalisch sorgen Franck Ollu und das Sinfonieorchester der La Monnaie Oper für einen beklemmenden Sog in die Ausweglosigkeit, die den Protagonisten bewusst wird. Und das Publikum im Atem hält.

  • Ab Ende April wird diese Produktion mit der Brüsseler Besetzung aber mit dem hauseigenen Staatsorchester in Stuttgart zu sehen sein.

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