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Genf: Ulrich Rasche erklimmt in Genf mit „Elektra“ die Höhen der Opernregie – Foto: Carole Parodi.
Genf: Ulrich Rasche erklimmt in Genf mit „Elektra“ die Höhen der Opernregie – Foto: Carole Parodi.
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Test bestanden – Ulrich Rasche erklimmt in Genf mit „Elektra“ die Höhen der Opernregie

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Es war ein Opernregiedebüt mit Anlauf. In dem Falle müsste man eher sagen: mit Anmarsch. Im versswingenden Dauergleichschritt auf Laufbändern oder Drehscheiben. Denn die sind das Markenzeichen von Ulrich Rasche. Als Teil gewaltiger Apparaturen, die für jeden kalkulierenden Planer der blanke Horror sein müssen, hat er sich mit exzessivem Choreinsatz als der legitime Nachfolger im Bühnengeiste von Einar Schleef etabliert.

Es ist jedes Mal verblüffend, was er aus einem Text (ob nun mehr oder weniger bekannt) heraus zu prügeln vermag. Wenn er seine Truppen durch die Texte marschieren lässt, ahnt man nicht nur, was die Macht der Worte bedeuten kann – man ist ihr ausgesetzt. Sie wirken wie in Stein gemeißelt. Rasche liefert als sein eigener Bühnenbildner mit monströsen Konstrukten den Sockel dafür. Die Wucht dieser hydraulisch aufgerüsteten Großskulpturen spricht immer zunächst für sich selbst. Und wenn es gut geht (wie bislang) auch für das Stück. 

Dass sich der Schauspielregisseur Rasche früher oder später das benachbarte Musiktheater vornehmen würde, war zu erwarten. Die allemal musikalisch untermalte, einhämmernde Ästhetik machte ihn in dieser Hinsicht schon lange zu einem verdächtigen Kandidaten. 

So ähnlich wie bei Robert Wilson – dem Exponenten am anderen Ende der Skala eigensinniger Ästheten (oder Ästhetisierer) – wird bei Rasche jede Inszenierung zunächst mal ein Test, ob sich seine Methode auf die jeweilige Vorlage anwenden lässt. Dieser Test wurde jetzt am Grand Theatre Genève glänzend bestanden. Intendant Aviel Cahn hatte schon in Belgien, als Chef der Flämischen Oper Antwerpen/Gent ein Händchen für aufregende Szeniker bewiesen. Den Ehrgeiz von der geographischen Peripherie Operneuropas aus in dessen Zentrum mitzumischen, hat er – trotz der gegenwärtig opernfeindlichen Umstände – längst auch im frankophonen Genf installiert. 

Der „Elektra“-Einakter von Richard Strauss und Hugo von Hofmannsthal bot sich freilich in der musikalischen Wucht und Kühnheit des Extremen für den Rasche-Test wie kaum eine andere Oper an. Das Schauspiel von Hofmannsthal hatte er vor drei Jahren im Münchner Residenztheater – nach seinen spektakulären Laufband-„Räubern“  – schon mal in einen Drehscheibenturm verfrachtet und rotieren lassen.   

Ein riesiger Zylinderkäfig, mit gegeneinander laufenden Drehscheiben, von dem manchmal das Oberteil entschwebend wegkippt und der Sockel sich so dreht, dass sich die rotierende Laufdrehscheibe mal nach der einen, mal nach der anderen Seite neigt. Wer hier wie die Protagonisten in der Mitte oder wie die Mägde auf dem umlaufenden Steg dauermarschiert ist angeseilt. Dass die Welt aus den Fugen und niemand zu retten ist, ist das Bild, dem in diesem futuristischen Alptraum-Niemandsland niemand zu entkommen vermag. Sie tauchen alle aus dem Dunkel oder dem grell gleißenden Nebel auf und verschwinden wieder dorthin.

Angeseilt in der Höhe (den festen Bühnenboden betreten sie alle erst zum Schlussapplaus) wird dieser Abend für alle zu einem Kletter-Abenteuer in einer Steilwand des musikalischen Hochgebirges.

Optisch unterscheiden sie sich in ihrer sportiven Uniformierung nur marginal voneinander. Die Dispute Elektras mit ihrer Schwester und mit ihrer Mutter werden so – mehr als sonst – zu Auseinandersetzungen auf Augenhöhe. Und verlangen den Protagonistinnen ein erhebliches Maß an darstellersicher Profilierung allein durch Mimik und Körperspannung ab. 

Der Schlüsselszene, in der sich Orest (Károly Szemerédy fremdelte zum Glück nur darstellerisch mit der Rasche-Gangart) seiner Schwester zu erkennen gibt, bleibt durch die stilisierte Uniformierung allerdings die Chance, emotional zu ergreifen und den Auftakt für eines der merkwürdigsten Liebesduette zu liefern, vorenthalten. Es ist überhaupt eine Herausforderung für den Zuschauer in dem dunklen emotionalen Grundstrom der Musik das Vertraute zu erkennen, das Spezielle der Figuren. Bei Sarah Jakubiak die leidenschaftliche Lebenssehnsucht der Chrysothemis, bei Tanja Ariane Baumgartner die Ohnmacht der Klytämnestra, ihre Alpträume zu bannen. Und auch die zentrale Racheobsession bei Ingela Brimberg. Am eindrucksvollsten gelingt das noch Baumgartner, wenn sie wie eine Statue aus dem Dunkel auftaucht. Die drei Frauen sind gleichwohl ein vokal imponierendes, sportiv kämpferisches Trio auf Augenhöhe – auch wenn Brimberg die Wortverständlich der vokalen Vehemenz ihrer Elektra weitgehend opfert. Bei einem Publikum, das sich eh auf die Übertitel verlassen muss, ist das aber nicht so dramatisch. Dass Michael Laurenz am Ende als Aegisth ein exzellentes Gegenbeispiel liefert, war in Genf ein Schmankerl für die paar deutschen Muttersprachler im leidlich gefüllten, aber nicht ausverkauften Opernhaus. 

Jonathan Nott am Pult des Orchestre de la Suisse Romande gab den zuverlässigen musikalischen Bergführer bei dieser ungewöhnlichen szenischen Kletterpartie. Er milderte die Grenzgängerei von Richard Strauss immer mal wieder mit einem etwas französisch milderen, romantischen Wehen ab, vertraute aufs musikalisch Ausgeformte und überließ das pointiert Gigantische der Wucht der Bilder.

Alles in allem ein packendes Strauss- und Rasche-Ereignis!

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