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Grass-Debatte geht weiter

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Unterstützung und Empörung - Debatte über Grass und die Waffen-SS geht weiter - «Spiegel Online»: US-Armee wusste von Mitgliedschaft - Günter Grass: "Ich muss dazu stehen" - Fernsehtipp zum Thema


Berlin (ddp). Das späte Bekenntnis des Literaturnobelpreisträgers Günter Grass zu seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS erhitzt nach wie vor die Gemüter. Politiker, Schriftsteller und Historiker schwankten am Dienstag weiter zwischen Unterstützung, Unverständnis und Empörung. Derweil berichtete «Spiegel Online» unter Berufung auf bislang unbekannte Dokumente der US-Militärbehörden, Grass habe sich unmittelbar nach Kriegsende gegenüber den Amerikanern zu seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS bekannt hat.

Unter den Papieren ist demnach ein Formular der Entlassungsstelle der III. US Army, in deren Kriegsgefangenschaft Grass am 8. Mai 1945 geraten war. Grass wird darin als Schütze der 10. SS-Panzer-Division »Frundsberg« geführt. Auch auf einem Dokument mit Datum 10. November 1944 ist der Zusatz »Waffen-SS« vermerkt.

Medienberichten zufolge will auch der österreichische Schriftsteller Robert Schindel seit mehr als 20 Jahren von Grass\' Mitgliedschaft in der Waffen-SS gewusst haben. Grass habe mehrmals darüber gesprochen.

Vor dem Hintergrund der anhaltenden Diskussion um das Grass-Bekenntnis kritisierte Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD), «einige äußern sich so vehement, als hätten sie nur darauf gewartet, Günter Grass als öffentliche Person zu vernichten.» Es sei absurd, in Grass einen «politisch-moralischen Outcast» zu sehen. Linkspartei-Fraktionschef Gregor Gysi forderte ein Ende der Kritik an dem Autor. Grass habe sich aus freien Stücken und ohne Druck erklärt.

Der Präsident der Akademie der Künste, Klaus Staeck, sagte: «Ich habe Respekt vor seinem späten Eingeständnis.» Wenn sich die erste Aufregung gelegt habe, «wird ihm seine Offenheit positiv angerechnet werden». Der Schriftsteller Erich Loest betonte, er zähle sich weiter zu den Freunden Grass\', «zu jenen, die sagen: Er ist spät, aber er ist doch noch mit der Wahrheit ans Licht gekommen».

Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) sagte, Grass\' literarisches Werk bleibe bestehen. «Aber als moralische Instanz, als die er sich selbst immer sah, hat er Schaden genommen.» Der niederländische Bestseller-Autor Leon de Winter sagte, er verstehe nicht, dass jemand in Grass\' Position, «mit seiner Intelligenz, mit seinem großen Empfindungsvermögen nicht kurz nach dem Zweiten Weltkrieg den Mut gehabt hat, dies zu offenbaren».

Für den Historiker Peter Reichel ist das Bekenntnis eine inszenierte Beichte. Es sei passend zum Erscheinen der Autobiographie veröffentlicht worden, sagte der Professor am Institut für Politische Wissenschaft der Universität Hamburg.

Ungeachtet dessen hat das öffentliche Ansehen des Schriftstellers offenbar kaum unter seinem Waffen-SS-Bekenntnis gelitten. In einer »Stern"-Umfrage gaben 87 Prozent an, Grass solle den Literaturnobelpreis behalten. Acht Prozent hingegen sagten, der Autor solle die 1999 verliehene Auszeichnung zurückgeben.

Nadine Emmerich


Günter Grass: "Ich muss dazu stehen"
Hamburg (ddp) - Der wegen seiner Vergangenheit in der Waffen-SS unter Druck geratene Schriftsteller Günter Grass rechnet noch mit längerer Kritik an seinem Verhalten. "Ich muss dazu stehen und mir noch lange diese Vorwürfe anhören", sagte Grass in einem am Dienstagabend ausgestrahlten ARD-Interview. Zu der Kritik, dass er sich erst nach mehr als 60 Jahren öffentlich zu seiner Mitgliedschaft in der Waffen-SS geäußert habe, verwies Grass auf sein neues Buch "Beim Häuten der Zwiebel". Daran habe er drei Jahre gearbeitet und sich mit dem Thema beschäftigt. Alle weiteren Erklärungen blieben hinter den Aussagen des Buches zurück.
Grass sagte, er sei erst jetzt in der Lage gewesen, sich so zu seiner Vergangenheit zu äußern. "Wer richten will, mag richten", fügte er hinzu. Ein Teil der jetzt geäußerten Vorwürfe habe aber auch mit Aburteilung zu tun. Sein Lebensweg nach dem Zweiten Weltkrieg werde in Frage gestellt. Dieses Leben sei jedoch auch von Scham über seine Vergangenheit geprägt gewesen.


Fernsehtipp
ARD Das Erste, Do., 17. August, 22:44 Uhr: Wickerts Bücher. Ulrich Wickert im Gespräch mit Günter Grass.