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Stunde der Wahrheit für Görlitz - EU-Jury verkündet am Dienstag ihre Entscheidung zur Kulturhauptstadt Europas 2010 – Mit Spannung wird in Essen und Görlitz der Entscheidung entgegen gesehen
Görlitz
Görlitz (ddp-lsc). Gefeiert wird in Görlitz am Dienstag auf jeden Fall. Ganz gleich, wie die Entscheidung der Jury der Europäischen Union (EU) zur Kulturhauptstadt 2010 in Brüssel ausfällt. «Wenn wir den Zuschlag erhalten, ist das ein Grund zum Feiern. Wenn nicht, wollen wir uns dennoch bei allen Beteiligten bedanken», sagte ein Sprecher des Kulturhauptstadtbüros in der Neißestadt. Und so soll am Abend ein fröhliches Fest an der Altstadtbrücke stattfinden. Ob sich Prominenz unter die Feiernden mischt, ist noch ungewiss. Als die EU-Jury im vergangenen Jahr verkündet hatte, dass Görlitz in die Endrunde gelangt ist, war spontan Ministerpräsident Georg Milbradt (CDU) angereist.
Görlitz konkurriert derzeit auf deutscher Ebene lediglich noch mit Essen. Während Essen vor allem mit den Themen Migration, Urbanität und Strukturwandel sowie seinem Metropolencharakter punkten will, setzt Görlitz auf seine Brückenfunktion zu Polen, die polnische Nachbarstadt Zgorzelec sowie seine historische Altstadt. Die Doppelstadt Görlitz-Zgorzelec sieht sich als Sinnbild für das neue Europa und Inbegriff einer europäischen Kulturhauptstadt. Sie stehe "für die Idee, eine Stadt zweier Nationalitäten zu schaffen als Modellfall des europäischen Einigungsprozesses», heißt es in der Bewerbung.
Als Sinnbild für den Brückenschlag zwischen beiden Nationen und Kulturen steht die Neuerrichtung der 1945 zerstörten Altstadtbrücke über die Neiße im Jahr 2004. Außerdem ist das kleine sächsische Städtchen durch die EU-Erweiterung vom Rand der Staatengemeinschaft in deren Mitte gerückt.
Die Benennung einer Kulturhauptstadt in Europa geht auf einen Vorschlag der ehemaligen griechischen Kulturministerin Melina Mercouri von 1985 zurück. Seitdem erhält jedes Jahr eine andere Stadt diesen Titel, um ihren kulturellen Reichtum und markante Merkmale der Region vorzustellen.
Im Jahr 2010 geht die Auszeichnung turnusgemäß an eine deutsche Stadt. Auch Ungarn wird mit Pec 2010 eine Kulturhauptstadt stellen, nachdem das Europäische Parlament im April 2004 beschlossen hatte, ab 2009 die EU-Beitrittsländer mit einzubeziehen. Zudem wird sich ein Nicht-EU-Land mit einer Stadt vorstellen. Hier wetteifern Istanbul und Kiew um den Titel.
In Deutschenland hatten sich ursprünglich 16 deutsche Städte um den Titel beworben. Augsburg, Bamberg, Köln, Münster, Osnabrück und Wittenberg/Dessau schieden aber auf Länderebene aus. Es blieben zunächst zehn Bewerber übrig: Essen und das Ruhrgebiet, Potsdam, Braunschweig, Görlitz, Regensburg, Kassel, Karlsruhe, Lübeck, Bremen und Halle/Saale. In die Endrunde kamen dann noch Görlitz und Essen.
Auch wenn Görlitz den Titel nicht erhalte, gewonnen habe man auf jeden Fall, sagte der Stadt-Sprecher. So ist die östlichste Stadt Deutschlands über Sachsens Grenzen hinaus bekannter geworden. 2001, zu Beginn der Bewerbungsphase, gingen in der Görlitzer Touristinformation 35 000 Anfragen ein. 2005 waren es nach Angaben des Geschäftsführers der Görlitzer Tourismus- und Marketinggesellschaft, Matthias Schneider, 105 000. Die Auslastung der Hotels und Pensionen stieg von 30 Prozent 2001 auf 40 Prozent im vergangenen Jahr. Die für 2010 geplanten Projekte sollen auf jeden Fall umgesetzt werden. Ohne die EU-Mittel wird das jedoch länger dauern.
Essen
Brüssel/Essen (ddp-nrw). Am Dienstag schlägt für Essen und das Ruhrgebiet die Stunde der Wahrheit. In Brüssel verkündet eine hochkarätige Jury der EU, ob sich das Revier 2010 als europäische Kulturhauptstadt präsentieren darf - oder ob die sächsische Grenzstadt Görlitz den Zuschlag für den begehrten Titel erhält.
Drei Jahre Vorarbeit und die Qualifikationen auf Landes- und Bundesebene liegen hinter dem Bewerbungsteam, das sich um den Essener Kulturdezernenten Oliver Scheytt versammelt hat. In dieser Zeit habe man in der Region erkannt, "dass wir mehr für die Kultur erreichen können, wenn wir zusammenarbeiten», sagt Scheytt.
Das Motto der Essener Bewerbung lautet «Wandel durch Kultur - Kultur durch Wandel». Mit den drei thematischen Schwerpunkten Urbanität, Identität und Integration soll deutlich gemacht werden, welche Bedeutung die Kultur beim Wandel der Gesellschaft haben kann. Görlitz setzt dagegen auf seine schöne Altstadt sowie die Brückenfunktion nach Polen.
Man sei zuversichtlich, mit der Bewerbung in Brüssel Erfolg zu haben, betont Scheytt. Dass die sächsische Kleinstadt ein ganz anderes Konzept als Essen verfolgt, macht die Sache spannend. Das Verhältnis der beiden deutschen Finalisten sei sportlich-fair, betont Scheytt. Und egal, wer am Dienstag den Zuschlag bekommt, eine Kooperation zwischen Essen und Görlitz 2010 sei schon jetzt vereinbart, verspricht der Moderator der Essener Bewerbung.
Rund 200 Projektideen seien bislang bei den Organisatoren der Essener Bewerbung eingegangen, hieß es. Man wolle die Veranstaltungen an zehn Leitprojekten aus den Bereichen Kunst, Architektur, Stadtplanung und Wissenschaft ausrichten. So sind unter dem Titel «Ost-West-Passage» drei Projekte entlang der Ruhr, der Emscher und der B 1 geplant. Ergänzt werden sollen diese Vorhaben durch Kooperationen mit den zahlreichen Kultureinrichtungen in dem Ballungsraum und dem internationalen Festival RuhrTriennale.
Den europäischen Gedanken deutlich machen soll vor allem das Projekt «TWINS». Die 150 Partnerstädte der Revier-Kommunen sind aufgerufen, sich mit Beiträgen aus den Bereichen Theater, Film, Musik, Animation, Fotografie, Literatur, Medienkunst und Internet am Kulturhauptstadt-Jahr zu beteiligen. Eine Vorbereitungskonferenz dazu fand bereits im Februar in Duisburg, Dortmund und Essen statt. Vertreter von rund 100 Partnerstädten waren dabei.
Als Zentrum der Kulturhauptstadt soll das UNESCO-Weltkulturerbe Zeche Zollverein dienen. Um auch die Wirtschaft von dem Titel profitieren zu lassen, soll ein touristisches Konzept erarbeitet werden. Nach Angaben von Scheytt werden im Ruhrgebiet rund 2,5 Millionen Übernachtungen pro Jahr im Fremdenverkehr gezählt. Sollte sich das Revier als Kulturhauptstadt präsentieren, wird ein Anstieg um 20 Prozent allein im Jahr 2010 erwartet. Insgesamt rechnen die Organisatoren mit zwei bis drei Millionen Besuchern.
Für die Bewerbung Essens stehen insgesamt rund zwei Millionen Euro aus öffentlichen Mitteln und Sponsorengeldern bereit. Sollte das Revier den Titel erhalten, sollen in den Jahren 2008 bis 2010 etwa 48 Millionen Euro investiert werden. Die Mittel kommen vom Land, vom Bund, von der EU, der Stadt Essen, dem Regionalverband Ruhr (RVR) und von Sponsoren.