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Schrille Töne im Jubiläumsjahr - Beim Tölzer Knabenchor hängt der Haussegen schief: Finanzsorgen und Streit um Chorgründer-Nachfolge
München (ddp-bay). Gerade haben sie Papst Benedikt XVI. mit einem Ständchen aus Bayern verabschiedet. Auch bei der Eröffnungsfeier der Fußball-Weltmeisterschaft in München waren die jungen Sänger mit von der Partie. Zwei öffentlichkeitswirksame Großereignisse für den weltberühmten Tölzer Knabenchor, der in diesem Jahr sein 50-jähriges Bestehen feiert. Doch ausgerechnet im Jubiläumsjahr hängt bei den Tölzern der Haussegen schief. Das Ensemble drücken zunehmend Finanzsorgen und auch die Nachfolge für den 69 Jahre alten Gründer und Chorleiter Gerhard Schmidt-Gaden steht noch in den Sternen. Wenn man Schmidt-Gaden direkt fragt, ob die Zukunft seines Lebenswerkes gesichert sei, antwortet der renommierte Stimmbildner und Chorleiter mit einem glatten «Nein».
Seit seiner Gründung im Jahre 1956 steht der Tölzer Knabenchor ununterbrochen unter Schmidt-Gadens Leitung. Im Gegensatz zu anderen überregional bekannten Knabenchören wie dem evangelischen «Windsbacher Knabenchor» oder den katholischen »Regensburger Domspatzen« handelt es sich bei den Tölzern gewissermaßen um einen Privatchor, der den größten Teil seiner Einnahmen selbst erwirtschaften muss. Er ging aus einer Singgruppe der Bad Tölzer Pfadfinder hervor, die Schmidt-Gaden geleitet hatte. Der frühere Leipziger Thomaskantor Kurt Thomas förderte Schmidt-Gadens Engagement entscheidend. Später arbeitete der Chorleiter, der auch ein Standardwerk über Stimmbildung schrieb, eng mit dem bayerischen Komponisten Carl Orff zusammen.
Mittlerweile ist der Tölzer Knabenchor ein veritables mittelständisches Unternehmen, das an seinem Stützpunkt im Münchner Stadtteil Solln neben Schmidt-Gaden sechs Assistenz-Chorleiter beschäftigt. In, je nach Ausbildungsstufe, vier Chören werden stets etwa 150 Knaben ausgebildet. Die Tölzer pflegen ein breites Repertoire, das von der Vokalmusik des Mittelalters über Kirchenmusik des Barock und der Wiener Klassik bis zu Volksliedern und Weihnachtsmusiken reicht.
Aushängeschild des Ensembles ist der Kammerchor, der aus etwa 15 Solisten besteht, die eine besondere individuelle Förderung erfahren und in aller Welt Knabenrollen in Opern wie Wolfgang Amadeus Mozarts »Zauberflöte« singen. Viele der weltweit besten Dirigenten wie Daniel Barenboim, Leonard Bernstein, Karl Böhm, Herbert von Karajan, Zubin Mehta oder Riccardo Muti haben mit dem Ensemble zusammengearbeitet. Die verschiedenen Chöre und Solistengruppen des Ensembles absolvieren pro Jahr etwa 200 Auftritte.
Zurzeit ist ein Streit um die Nachfolge Schmidt-Gadens entbrannt. Der hat bisher offen gelassen, wann er den Stab weitergeben will. Allein dieses Jahr haben wegen der Querelen schon vier Assistenz-Chorleiter das Ensemble verlassen. Schmidt-Gaden klagt auch über eine zunehmende Ellenbogenmentalität der Eltern seiner Sängerknaben. Die seien oft «manisch ehrgeizig»: «Jeder meint, das eigene Kind sei das Beste, und der Chorleiter bevorzuge stets die anderen», sagt Schmidt-Gaden. Vor allem im Kammerchor wehe ein scharfer Wind. Schließlich gehe es um glanzvolle Auftritte auf internationalen Bühnen und eine mögliche Sängerkarriere nach dem Stimmbruch.
Nachwuchssorgen hat der Chor nicht. Laut Schmidt-Gaden bewerben sich pro Jahr doppelt so viele Knaben, wie aufgenommen werden können. Nach vier Jahren im Chor bleibt allerdings nur noch die Hälfte übrig, so streng ist die Auslese. Die Knaben geben auch Privatkonzerte - jeder kann den Chor buchen, etwa zu einer Betriebsfeier oder einem Stadtjubiläum. Doch gerade diese Einnahmequelle ist unsicher geworden. Deshalb muss der Chor, der nur ein Drittel seiner Kosten aus Zuwendungen der Eltern, der öffentlichen Hand sowie von Spendern und Sponsoren bestreitet, neue Geldquellen erschließen.
Dem Elternsprecher des Chores, Horst Mallmann, schwebt vor, die Tölzer auch in der Pop- und Rockszene unterzubringen. Er träumt von gemeinsamen Auftritten mit Popstars wie Lionel Richie oder Tina Turner, die den Chor auch bei den Jugendlichen populär machen könnten. «Da könnten wir Millionen CDs verkaufen.» Über ausreichend Selbstbewusstsein und Professionalität verfügten die jungen Solisten allemal. Von dieser Idee muss jetzt neben der Plattenindustrie nur noch Gerhard Schmidt-Gaden begeistert werden, der ein eingefleischter Vertreter der klassischen Musik ist. Schließlich war er von 1984 bis 1989 auch einmal Chordirektor der berühmten Mailänder Scala.
(Am Sonntag findet um 20.00 Uhr in der Philharmonie im Münchner Gasteig ein Gala-Konzert zum Chorjubiläum statt.)
Georg Etscheit
http://www.toelzerknabenchor.de