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+++ «Weltverbesserungsmaßnahmen» gibt in skurrilen Episoden Denkanstöße +++ Fantastischer Sündenpfuhl - Die Comic-Adaption «Sin City» von Robert Rodriguez vollführt einen opulenten Blut- und Bilderrausch +++ «Inside Deep Throat» erinnert an den legendären Streifen «Deep Throat» +++ Tim Burtons Fantasy-Märchen «Charlie und die Schokoladenfabrik» besticht durch Einfallsreichtum +++

«Weltverbesserungsmaßnahmen» gibt in skurrilen Episoden Denkanstöße
Berlin (ddp). «Die Welt braucht Ideen, Visionen, Utopien, Perspektiven - Die Welt braucht Maßnahmen». Nach dieser Maxime haben die Regisseure Jörn Hintzer und Jakob Hüfner ihren satirischen Low-Budget-Episodenfilm «Weltverbesserungsmaßnahmen» konzipiert. In einer augenzwinkernd-skurrilen Kombination aus Reportage, Dokudrama und Reality TV bieten sie acht Mini-Stories mit teils absurden, teils grotesken Ideen, wie man im Kleinen anfangen könnte, die Welt ein bisschen besser zu gestalten.
Zu den Verbesserungsrezepten des Regieduos gehört eine Verkehrs-Therapiegruppe, die staugeplagten Autofahrern nahe bringen will, Autoschlangen als «einheitlichen Organismus» zu verstehen und sich im Kollektiv entsprechend zu verhalten. Eine weitere Verbesserungsmaßnahme ist die «Aktive Krankenversicherung»: In ihr haben sich Versicherte versammelt, die zur Kostenersparnis selbst ärztliche Funktionen übernehmen.
Die neue Währung «Sorbischer Euro» hat den Vorteil, in wenigen Wochen zu verfallen und stachelt so seine Besitzer an, sie rechtzeitig auszugeben und die Wirtschaft anzukurbeln. Eine andere Maßnahme besteht darin, alle Menschen mit Hilfe unterschiedlich hoher Schuhsohlen auf die gleiche Körpergröße von 1,90 m zu bringen.
Hervorgegangen ist das bunte Ideenkonglomerat aus der Berliner Ideenschmiede «Datenstrudel», die im November 2000 als Ideenpool experimentierfreudiger Künstler, Filmemacher, Fotografen und Autoren gegründet wurde. Seitdem hat die Aktivistengruppe interaktive Live-Shows ins Internet realisiert, Musikvideos und Fotostrecken gedreht.
So vielfältig wie diese Kunst- und Aktionsformen kommen auch die Episoden des ersten Kinofilms von Hinzter und Hüfner daher, die beide mit professionellen Schauspielern und Laien umsetzten. In ästhetischer Hinsicht bieten die beiden Absolventen der Kölner Kunsthochschule für Medien eine große Bandbreite: Sie reicht von dadaistischen Vorschlägen wie dem feinsinnigen Wächter, der die Autos auf seinem Parkplatz nach Farben einweist, über absurde und skurrile Ideen bis zur bösen Groteske «Leihbruderprogramm».
Diese Episode verweist darauf, dass in Deutschland fünf Millionen Einzelkindern fünf Millionen Arbeitslose gegenüberstehen. Daher lässt sich der 35-jährige schwer vermittelbare Arbeitslose Martin zum «Leihbruder» umschulen und verkauft sich als «kleiner Bruder» des fünfjährigen Jonas in einer Gastfamilie.
Diese Episode sowie die Story um die «Aktive Krankenversicherung» erinnern unübersehbar an die Sozialgroteske «Muxmäuschenstill» von Marcus Mittermeier, den deutschen Überraschungskinohit des Vorjahres. An dessen beißende Sozialkritik und Provokationskraft reicht «Weltverbesserungsmaßnahmen» allerdings nicht heran: Zu verspielt und harmlos wirken die meisten Vorschläge des Regieduos. Mit ihrem radikalen Beharren auf der Utopie einer besseren Welt bringen sie aber immerhin Bewegung in die mentale Lethargie des deutschen Alltags und regen dazu an, sich eigene Gedanken zu machen. («Weltverbesserungsmaßnahmen», Episoden-Spielfilm, Deutschland 2005, 91 Minuten, Regie: Jörn Hintzer, Jakob Hüfner, Darsteller: Andreas Nickl, Peer Martiny, Dabe Paschke, u. a.)

Fantastischer Sündenpfuhl - Die Comic-Adaption «Sin City» von Robert Rodriguez vollführt einen opulenten Blut- und Bilderrausch
Berlin (ddp). Drei Männer, drei Geschichten: Muskelpaket Marv (Mickey Rourke) sinnt auf Rache, seit seine Geliebte Goldie (Jaime King) von einem Killer aufgeschlitzt wurde. Solche Gelüste hat auch Privatdetektiv Dwight (Clive Owen), dessen Freundin Shellie (Brittany Murphy) von dem korrupten Polizisten Jackie Boy (Benicio Del Toro) bedroht wird. Gesetzeshüter Hartigan (Bruce Willis), der das Mädchen Nancy (Jessica Alba) als Elfjährige aus den Fängen eines Kinderschänders rettete, wird von seiner Vergangenheit eingeholt.
Dieses «Sin City» ist wahrlich kein anheimelnder Wohnort. Es wimmelt von Huren, Kannibalen und Mördern. Die drei voneinander unabhängigen Geschichten, die Regisseur Robert Rodriguez in seinem modernen Film-Noir erzählt, stammen aus der gleichnamigen Comicserie von Frank Miller.
In seiner Adaption hält sich Rodriguez detailgetreu an die gezeichneten Vorlagen. Die Comics dienten ihm als Storyboards, weshalb er Frank Miller als Co-Regisseur aufnahm. Dies brachte ihm in der Filmbranche gehörigen Ärger ein.
Doch sein mutiger Einsatz hat sich gelohnt. «Sin City» ist hochklassiges Kino und geradezu geboren für die große Leinwand. Wie zuvor in «Spy Kids» oder «From Dusk Till Dawn» stellt Rodriguez erneut seine vielseitige Kreativität unter Beweis. Der Film ist komplett in kontrastreichem Schwarzweiß gedreht. Nur ein paar vereinzelte, zumeist blutrote Farbtupfer sorgen für Abwechslung. Sämtliche Kulissen wurden zudem wie in «Sky Captain and the World of Tomorrow» nachträglich digital eingefügt.
Rodriguez schafft dadurch ein faszinierendes Ambiente, das den Zuschauer in seinen Bann zieht. Die rabenschwarzen und desillusionierenden Episoden tun ein Übriges, um diesen Film neben «Batman Begins» zu einer der besten Comic-Adaptionen der vergangenen Jahre zu machen.
Kein Wunder, dass viele Stars bereitwillig dem Lockruf ins Sündenpfuhl folgten. Neben Bruce Willis und Jessica Alba vollführt vor allem Mickey Rourke in seinem Part als entstellter Kampfkoloss ein grandioses Comeback. Hinter der Kamera inszenierte außerdem niemand anderes als Quentin Tarantino als Gastregisseur eine bizarre Autofahrt mit Benicio Del Toro und Clive Owen.
«Sin City» ist großes Kino und wie es sich für eine ordentliche Comic-Adaption gehört, heißt es auch hier: Fortsetzung folgt.
(«Sin City», Thriller, USA 2005, 124 Minuten, FSK: 18, Regie: Robert Rodriguez, Frank Miller, Darsteller: Mickey Rourke, Bruce Willis, Jessica Alba u.a.)

«Inside Deep Throat» erinnert an den legendären Streifen «Deep Throat»
Berlin (ddp). Mehr als 30 Jahre nach seinem Erscheinen erhitzt der legendäre Pornofilm «Deep Throat» in den USA erneut die Gemüter. Die anspruchslose 25 000 US-Dollar-Produktion hatte 1972 auf dem Höhepunkt der sexuellen Revolution eine hysterische Debatte um Moralvorstellungen ausgelöst. Jetzt ruft die Dokumentation «Inside Deep Throat» abermals die US-Sittenwächter auf den Plan.
Der alberne Sex-Streifen gilt bis heute als finanziell erfolgreichstes Werk der Kinogeschichte: Er soll Schätzungen zufolge 600 Millionen US-Dollar eingespielt haben. Die US-Dokumentarfilmer und Produzenten Fenton Bailey und Randy Barbato zeigen mit «Inside Deep Throat» jetzt die Geschichte des Porno-Klassikers und seine in den USA bis in die Gegenwart reichenden Folgen.
In dem rasant geschnittenen Werk aus Archivaufnahmen und Interviews mit Zeitzeugen kommen unter anderen «Deep-Throat»-Regisseur Gerard Damiano, Schriftsteller Norman Mailer, «Playboy»-Gründer Hugh Hefner und die Autorin Erica Jong zu Wort. Alle erinnern sich, wie die Kontroverse um «Deep Throat» die Gesellschaft spaltete und der Staat als Moralwächter mit seinen Sanktionen die PR-Maschine des Films erst richtig auf Touren brachte.
Es dauerte nicht lange, bis der Porno in großen Kinos lief und ausführliche Kritiken in einflussreichen Blättern wie «Variety» oder «New York Times» dafür sorgten, dass Männer und Frauen scharenweise ins Kino strömten.
Der spannend und amüsant erzählte Dokumentarfilm beschäftigt sich neben der gesellschaftlichen und politischen Dimension auch mit dem Schicksal der damaligen Hauptdarsteller. Dem aufstrebenden Pornosternchen Linda Boreman, die unter dem Künstlernamen Linda Lovelace für angeblich 1200 US-Dollar Gage eine Frau spielte, deren Klitoris in der Kehle sitzt, sollte der Filmauftritt kein Glück bringen. Die Rolle verfolgte sie bis zu ihrem Unfalltod 2002 im Alter von 53 Jahren.
Als Höhepunkt der damaligen Moral-Hetze - der Film wurde in 23 US-Bundesstaaten verboten - wurde Hauptdarsteller Harry Reems zu fünf Jahren Haft verurteilt. Das Urteil wurde jedoch nie rechtskräftig und später von einem Gericht wieder aufgehoben. Reems Traum vom Sprung ins seriöse Filmgeschäft war jedoch dahin. In den 80er Jahren trank er sich fast zu Tode. Schließlich besiegte er die Alkoholsucht und baute sich eine neue Existenz als Immobilienmakler auf. Wie der Film andeutet, geht es Reems heute gut. Kinostart: 11. August 2005
(«Inside Deep Throat», Dokumentation, USA 2005, 92 Minuten, FSK: 16, Regie: Fenton Bailey, Randy Barbato; Darsteller: Dennis Hopper, Larry Flint, Hugh Hefner u.a.)

Tim Burtons Fantasy-Märchen «Charlie und die Schokoladenfabrik» besticht durch Einfallsreichtum
Berlin (ddp). Dreimal haben der Regie-Imaginationskünstler Tim Burton und der Ausnahmeschauspieler Johnny Depp («Fluch der Karibik») schon zusammengearbeitet: «Edward mit den Scherenhänden», «Ed Wood» und «Sleepy Hollow» waren in ihren Genres jeweils Highlights. Dass die Wellenlänge zwischen beiden Künstlern stimmt, zeigt auch ihr viertes gemeinsames Projekt, der aufwändige Fantasy-Film «Charlie und die Schokoladenfabrik» nach einer Erzählung von Ronald Dahl von 1964. Ein Film mit viel Potenzial zum großen Publikumsliebling.
Der kleine Charlie (Freddie Highmore) lebt mit seinem arbeitslosen Vater (Noah Taylor), seiner Mutter (Helena Bonham Carter) und vier Großeltern in einem alten Häuschen nahe einer Schokoladenfabrik. Diese gehört dem exzentrischen, aber erfolgreichen Fabrikanten Willy Wonka (Johnny Depp), der nur für die Produktion von Süßigkeiten lebt. Nachdem man ihn 15 Jahre lang nicht gesehen hat, veranstaltet Willy ein Gewinnspiel. Charlie gehört zu den fünf Kindern, die in einer Schokoladentafel ein goldenes Ticket finden.
Damit dürfen sie an einer Führung durch die bisher unzugängliche Fabrik teilnehmen. Auf dem erlebnisreichen Rundgang durch Willys Imperium erweisen sich die vier anderen Kinder als ungezogene kleine Monster, die ihren eigenen Untugenden zum Opfer fallen. Am Ende wartet auf Charlie eine große Überraschung.
Schon 1971 verfilmte Mel Gibson Dahls Kinderbuchklassiker mit Gene Wilder als Fabrikbesitzer. In ihrem Remake halten sich Burton und der Drehbuchautor John August an die Vorlage, reichern sie aber mit Rückblenden an, die erklären sollen, wie Willy zum verschrobenen Exzentriker wurde. Depp eignet sich die schrullige Melancholiker-Rolle mit viel Spielfreude und Fingerspitzengefühl an - selbst das maskenhaft geschminkte Gesicht und die altmodische Prinz Eisenherz-Frisur können nicht davon ablenken, dass er in der Rolle eine seiner bisher besten Leistungen bringt.
Die größte Stärke der Inszenierung ist ihr Einfallsreichtum. Burton lässt in Willys Süßigkeitenreich mit Schokoladen-Wasserfällen und Drachenbooten aus Zucker Dekors bauen, die alle essbar sind. Eichhörnchen knacken am Fließband Nüsse für Schokolade. Herkömmliche analoge und moderne digitale Effekte werden dabei mit viel Charme kombiniert. Selten ist ein Film so gestaltet, dass alle Altersgruppen bereichert aus dem Kino kommen. Zumindest Szenenbildner und Ausstatter dieses witzigen Märchenabenteuers dürfen sich schon auf Oscar-Nominierungen einstellen.
(«Charlie und die Schokoladenfabrik», Fantasyfilm, USA 2005, Länge: 106 Minuten, Regie: Tim Burton, Darsteller: Johnny Depp, Freddie Highmore, Helena Bonham Carter u. a.)