Body
Berlin (ddp). Viele deutsche Filmschaffende sehen ihre nächste Rolle demnächst als «Hartz IV»-Kandidat. Seit Februar 2006 gilt, dass nur noch Arbeitslosengeld I bekommt, wer in den vergangenen zwei Jahren 360 Tage und damit jeden zweiten Tag sozialversicherungspflichtig gearbeitet hat.
«Selbst die Bestbeschäftigten schaffen das nicht», sagt der Geschäftsführer des Bundesverbandes Regie (BVR), Steffen Schmidt-Hug im ddp-Gespräch. Daher fordert der Verband Korrekturen bei den neuen Regelungen.Schmidt-Hug schwebt das Schweizer Modell vor: Dort bekommen Kulturschaffende die ersten 30 Tage einer Beschäftigung doppelt berechnet, so dass es einfacher ist, einen Anspruch auf Arbeitslosengeld zu erhalten. Zudem gibt es einen Anspruch auf den Bezug von 400 Tagen Arbeitslosengeld, in Deutschland nur auf 180 Tage. Dem BVR-Geschäftsführer zufolge drängt die Zeit: Spätestens im Frühjahr werde der ALG-I-Anspruch vieler verbraucht sein.
Abgeordnete wie die SPD-Politikerin Angelika Krüger Leißner sympathisieren mit den Forderungen der Film- und Theaterschaffenden. «Wir müssen etwas tun», betont die Vize-Vorsitzende des Bundestagsausschusses für Arbeit und Soziales im ddp-Gespräch. Die durch kurze Beschäftigungszeiten geprägte Arbeitssituation der Künstler sei mit keiner anderen Branche vergleichbar.
Krüger-Leißner räumt jedoch Probleme ein: Derzeit sei eine schwierige Übergangsphase, da sich Veränderungen durch die seit Februar geltende Regelung noch nicht in konkreten Zahlen zeigten.
«Die Belegbarkeit für eine neue Gesetzgebung fehlt noch», sagt sie. Es sei jedoch mit den Beteiligten, wie dem Bundesarbeitsministerium und den Rentenversicherungsträgern, vereinbart, Anfang 2007 die neuesten Daten zu überprüfen.
Im Haus von Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) ist das Problem nach Angaben eines Sprechers «bekannt». Neumann setze sich für eine «befriedigende Lösung» ein und sei dazu im Gespräch mit den Vertretern der Filmwirtschaft und Bundesarbeitsminister Franz Müntefering (SPD).
Aus dessen Haus heißt es derweil, derzeit seien keine Änderungen der neuen Regelungen geplant. Dieses würde einen «Sonderfall für eine spezielle Berufsgruppe« schaffen, sagt eine Sprecherin. Zwar gebe es in der Filmbranche die Tendenz, Schauspieler nur für die reine Drehzeit und damit wenige Tage anzustellen. Die faktische Beschäftigungsdauer wäre jedoch länger, wenn zum Beispiel die Vorbereitungszeit auf die Rolle mit berücksichtigt würde. Dann wären
diese auch für einen längeren Zeitraum sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Schmidt-Hug und Krüger-Leißner malen ein düsteres Szenario, falls sich in dieser Sache für die Branche nicht ändere. Einige Filmschaffende verließen die Branche bereits, sagt die SPD-Politikerin. Und der BVR-Geschäftsführer weiß: Viele gute Kameraleute sind schon nicht mehr für anspruchsvolle Filmproduktionen
zu bekommen, weil sie lieber mit längerfristigen Beschäftigungen bei Serien «ihr \'Hartz IV\'-Konto füllen».
Nadine Emmerich