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Recherchiert man in den Lokalteilen der örtlichen bzw. regionalen Tagespresse Deutschlands, dann stößt man gegenwärtig immer öfter auf Meldungen über geplante oder beschlossene Zuschusskürzungen für kommunale Musikschulen. Dies kann - je nach Intensität der Einsparung - die Existenz mancher Musikschule plötzlich in Frage stellen.
Bisher werden i.d.R. etwa die Hälfte der Musikschulausgaben durch kommunale Zuschüsse abgedeckt. Bereits in den vergangenen Monaten und Jahren wurden viele Institute zusammengelegt oder gar geschlossen, da ein eigenständiges Dasein aus wirtschaftlichen Gründen nicht mehr möglich erschien. Galten Musikschulen in den neuen Bundesländern aufgrund der sog. Drittelfinanzierung bislang als besser geschützt vor städtischen Streichungen, so werden demnächst offenbar auch diese Landeszuweisungen drastisch reduziert (bspw. rd. 25 Prozent in Thüringen).Hintergrund des bundesweiten "Streichkonzerts" ist der freiwillige Charakter des Angebots einer kommunalen Musikschule: In Zeiten knapper Kassen wird hier gespart, um die Erfüllung der vielfachen Pflichtaufgaben der Städte und Kreise zu gewährleisten.
Ein generelles Bewusstsein für die prekäre Situation der rd. 1000 öffentlichen Musikschulen in Deutschland ist indes in der Öffentlichkeit (aber auch unter möglicherweise demnächst unmittelbar Betroffenen) kaum vorhanden. Obwohl sich die Voraussetzungen und Probleme - abgesehen von örtlichen Besonderheiten - mehr oder weniger gleichen, ist die Überraschung vor Ort i.d.R. groß, wenn es denn zu konkreten Einsparungsabsichten kommt. Ob im Lehrerkollegium, im Kulturausschuss oder auf den Sitzungen der Elternvertretung: allerortens wird heftig "befürchtet", "bedauert" oder man ist gar "empört", erfüllt die Musikschule doch bisher - Freiwilligkeit hin oder her - angeblich zentrale, unentbehrliche Aufgaben für die Bevölkerung der Kommune.
Auffällig ist, dass bisher weder von denjenigen, die streichen wollen bzw. müssen, noch von denen, die den Status quo bewahren wollen, kaum in analytischer Art und Weise darüber nachgedacht wird, welches denn eigentlich die Kernaufgaben der Musikschulen sind bzw. sein sollen und welche Konsequenzen sich daraus ergeben. Fundierte Konzepte werden selten zugrundegelegt.
Entsprechend wahllos und willkürlich wird folglich zumeist am Angebot der Musikschule gestrichen. Häufig fallen seltener belegte Instrumentenfächer (die eigentlich für die Ensemblearbeit wichtig sind) oder der Bereich der Studienvorbereitenden Ausbildung (SVA)
dem Sparzwang zum Opfer. Dies ist i.d.R. mit betriebsbedingten Kündigungen verbunden, sofern durch Fluktuation kein sozialverträglicher Abbau möglich ist. Alternativ werden pauschal die Gebühren erhöht oder es erfolgt ein genereller Aufnahmestopp. "Beliebt" ist auch die angeordnete Erhöhung der Schülerdichte je Unterrichtsstunde, was letztlich mehr Gruppenunterricht statt Einzelunterricht oder größere Gruppen als bisher für alle bedeutet.
Auch die Argumente derer, die das Wirken der Musikschule durch das Anziehen dieser "Stellschrauben" gefährdet sehen, gehen zumeist am Kern der Sache vorbei. Gebetsmühlenartig wird wiederholt, dass angeblich zentrale Kulturgüter verloren gehen könnten, ein Gegenpol zum häufig ausfallenden Schulmusik einfach unentbehrlich sei oder dass Musikschule soziale Aufgaben zu übernehmen habe.
Geht man von den legislativen Rahmenbedingungen aus, so bleiben die Aufgaben der Musikschulen unbestimmt:
- Im Gegensatz zu Grund- und weiterführenden Schulen ist das Musikschulwesen auf Landesebene i.d.R. gesetzgeberisch nicht manifestiert.
- Das Angebot ist somit als eine freiwillige Leistung der Kommunen und Landkreise anzusehen.
- Kommunen müssen ihren Bürgern aber ein (Minimum-)Kulturangebot bieten.
- Es ist nicht vorgeschrieben, welche konkreten Einrichtungen anzubieten sind.
Der Essener Kulturdezernent Dr. Oliver Scheytt hat sinngemäß pointiert:
- Das "Dass" kommunaler Kulturarbeit hat verpflichtenden Charakter.
- Das "Wie" ist jedoch weitgehend dem Ermessen der kommunalen Entscheidungsträger überantwortet.
Aus der historischen Betrachtung heraus wird eine stetige Ausweitung des wahrgenommenen Aufgabenspektrums von Musikschulen deutlich:
- Das Konservatorium früherer Jahrhunderte legte den Schwerpunkt eindeutig auf die Ausbildung zum professionellen Musiker.
- Auch die "moderne" Musikschule betont nach wie vor den Bildungsauftrag, allerdings mit einem erweiterten Bildungsbegriff: Sämtliche Bevölkerungs- und Altersgruppen sollen Zugang zur Musikschule und somit zum praktischen Musikunterricht haben ("Kultur für alle").
- Hinzukommen sozialpolitische Aufgaben wie bspw. die Integration von Randgruppen sowie Ermäßigungen der (ohnehin nicht kostendeckenden) Gebühren.
Nach Ansicht des Verbandes deutscher Musikschulen (VdM) sind Musikschulen heute "Bildungseinrichtungen für Kinder, Jugendliche und Erwachsene. Ihre Aufgabe sind die musikalische Grundausbildung, die Heranbildung des Nachwuchses für das Laien und Liebhabermusizieren, die Begabtenfindung und Begabtenförderung sowie die eventuelle Vorbereitung auf ein Berufsstudium." Diese verbandseitigen Zielvorgaben sind optional zu verstehen und müssen (bzw. können) nicht an jeder Musikschule mit gleicher Intensität verfolgt werden. Jede (Mitglieds-)Musikschule sollte jedoch mindestens eines dieser
(Ober-)Ziele abdecken.
Die Praxis der allermeisten Musikschulen zeigt, dass letztere sich häufig (bewusst oder unbewusst) im Spannungsfeld zwischen (Aus-)Bildung, Erziehung und Unterhaltung bewegen. Diese drei sehr unterschiedlichen Ausrichtungen werden oftmals nicht genügend differenziert, was dazu führt, dass die damit verbundenen Ziele nur suboptimal oder u.U. gar nicht erreicht werden (können).
So gilt es zunächst, unterschiedliche Kundeninteressen zu realisieren: Der (ausbildungsbedingt noch immer recht eindimensionale) Anspruch des Lehrpersonals, möglichst viele Schüler in ihrem Instrumentenfach zu künstlerischen Solisten auszubilden, scheitert beim Gros der Schüler schlichtweg am mangelnden Talent, an der fehlenden Übefähigkeit oder einfach an der nötigen ernsthaften Motivation. Viele Kunden der Musikschule betrachten das Musizieren eher als ein Hobby neben vielen, was primär Spaß und Unterhaltung bringen soll.
Mit dem jeweiligen Zielanspruch geht auch eine stärkere Differenzierung der Unterrichtsformen einher: Begabte, angehende (Berufs-)Musiker müssen Einzelunterricht erhalten, um adäquat ausgebildet zu werden. Manche anderweitige erzieherische Zielsetzung (bspw. Vermittlung von "social skills") läßt sich dagegen durch Großgruppenunterricht besser verfolgen als durch Einzel- oder Zweierunterricht.
Durch klare Differenzierung von Zielen und Mitteln kann schließlich auch die Zuschussverteilung besser gesteuert werden: Bereiche, die als weniger oder gar nicht förderungswürdig betrachtet werden (bspw. Erwachsenenangebote) sollten konsequent mit höheren Kostendeckungsbeiträgen arbeiten. Dies ist mit moderaten, d.h. für jedermann zahlbaren Gebühren (nur) mittels Großgruppenformen, bspw. als Allgemeine Musikerziehung (AME), Projekte oder auch als Ensembles, machbar. Je nach Zahlungsbereitschaft wären aber auch hier kleinere Gruppen oder gar Einzelunterricht denkbar.
Mit dem tendenziellen Rückzug der Kommune aus ihrer (bisher wahrgenommenen) Finanzierungsverantwortung ist jedwede zugedachte stark zuschussabhängige Kernaufgabe der Musikschule, wie bspw. eine möglichst breite Begabtenförderung, längerfristig (nur) durch kostendeckende, nachfrageorientierte Parallelangebote abzusichern. Bspw. eröffnen sich der Musikschule zurzeit chancenreiche Existenzfelder im Zuge der allerortens gewünschten Kooperation mit allgemeinbildenden Schulen (Stichwort Ganztagsschule mit Nachmittagsbetreuung).
Insgesamt erscheint jedoch eine Anpassung des (wahrgenommenen) Berufsbildes der Musikschullehrkräfte dringend erforderlich: Voraussetzung der Tätigkeit in einer öffentlichen Musikschule sollte die Fähigkeit und Bereitschaft sein, abhängig vom verfolgten Ziel (Ausbildung, Erziehung, Kultur, Unterhaltung....) auch Klassen- bzw. Großgruppenunterricht zu erteilen.
Letztlich darf auch eine (formale) "Privatisierung" der Musikschule nicht tabu sein. Ein Wechsel der bundesweit noch üblichen Trägerform des unselbständigen "Regiebetriebs" des Kulturamtes zum Eigenbetrieb, zu einem Zweckverband, einer Stiftung oder einer privatrechtlichen Trägerform (e.V. bzw. GmbH) führt zu Dezentralisierung und einem vermehrten Maß an Selbständigkeit. Vor allem eröffnet sich damit die Möglichkeit, auf sozialverträglichem Wege das enge BAT-Korsett abzulegen, das moderner und effizienter Musikschularbeit mangels Flexibilität und Leistungsorientierung heute nicht mehr gerecht wird.
Kommunen sollten (mittels der kooperativen, fachlichen Unterstützung durch die Musikschulleitung und des -personals) ihre eigene, konstruktive Gestaltungsmöglichkeit erkennen und nutzen, ein modernes Leitbild der örtlichen Musikschule zu entwickeln, welches
- den rechtlichen Rahmenbedingungen
- den verbandseitigen Anforderungen
- den Interessen und Wünschen der Kunden
- etwaigen von der Kommune anvisierten Nebenzielen
gerecht wird und dessen Umsetzung gleichzeitig solide und nachhaltig finanzierbar ist. Dies muss keine schwierige oder gar unlösbare Gratwanderung sein. Es kommt - simpel ausgedrückt - darauf an, dass man zunächst weiß, was man will und dies auch adäquat in der Musikschularbeit umsetzt.
(Quellen können auf Anfrage angegeben werden)
Dr. Hirsch & Gayer Consulting (HGC) ist ein Beratungsunternehmen mit Büros in Essen und Bad Honnef. Der Geschäftsbereich "Kultur21" beschäftigt sich mit der Kulturberatung. Services in diesem Segment sind u.a. Machbarkeitsanalysen und Gutachten für kulturelle und andere öffentliche Einrichtungen, Optimierungs- und Sanierungskonzepte sowie deren Implementierung, integrative Konzepte der Stadtevolution, Kommunikationsstrategien, Projekt- und Veranstaltungsplanung bzw. -management sowie Förderungskonzepte.
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