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Langhoff inszeniert "Iphigenie auf Tauris" Gorki-Theater

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Mit der Inszenierung von Goethes "Iphigenie" ist Langhoff nun an seine alte Wirkungsstätte, das Berliner Gorki-Theater, zurückgekehrt.

Berlin (ddp). Thomas Langhoff hat als Intendant des Deutschen Theaters in Berlin gern über die Lasten der Verwaltungsarbeit geklagt, die seine künstlerischen Ambitionen behinderten. Jetzt ist er den Posten los und kann sich wieder ganz auf das Regieführen konzentrieren. Mit der Inszenierung von Goethes "Iphigenie" ist Langhoff nun an seine alte Wirkungsstätte, das Berliner Gorki-Theater, zurückgekehrt und hat auch gleich ein Zeichen setzen können. Premiere war am Freitagabend.

"Iphigenie", das "klassischste" Stück Goethes und einer der dringlichsten literarischen Appelle an die Humanität, passt sicherlich gut in eine Zeit, in der von einer "Achse des Bösen" geredet wird und vom "heiligen Krieg". Langhoffs Inszenierung hat diesen Bezug deutlich visualisiert: Thoas, der König der Taurier, kommt daher wie ein Ölscheich, Arkas tritt auf im arabischen Gewand mit Gewehr. Die Griechen dagegen, Orest und Pylades, scheinen sich in Soldatenmänteln am wohlsten zu fühlen.

Und Iphigenie? Sie hat den Männern ihre lebendige Vielseitigkeit voraus. Ulrike Krumbiegel gibt die Titelrolle anfangs als gelangweilte westliche Touristin mit ausgeprägtem Wüstenkoller, die die Umstände in das männliche Mahlwerk von Begehren, Gewalt und Gegengewalt geraten lassen. Dadurch wird sie allerdings auch gezwungen, andere Facetten ihres Wesens zu entwickeln. Dem sie begehrenden König Thoas weiß sie höchst diplomatisch zu antworten, wenn sich auch ihre Gefühle im Gesichtsausdruck verraten. Sie taucht tief ein in die Rückschau auf die finstere familiäre Vorgeschichte, vergisst sich danach beinahe selbst über der unverhofften Wiederbegegnung mit dem Bruder, gerät wiederum als kleines Mädchen mit der großen Sehnsucht nach Harmonie zwischen die vernagelten Männer - und gerade ihr Zaudern, ihre Schwäche, ihre scheinbare Naivität machen sie zur wirklich starken Figur des Textes und des Theaterabends.

Langhoff hat keine Angst vor Pathos. Er will Goethes Verse nicht irgendwie ironisch verpacken, sondern er nimmt sie ganz ernst. Der Versuch, das zur schulischen Pflichtlektüre gehörende Drama zu neuem Leben erwecken, baut ganz auf die Ausdrucksstärke seiner Darsteller, ganz auf eine mögliche Nähe zum Publikum. Zu einem großen Teil funktioniert das bestens. Iphigenies Bitten um ein "Lebewohl" an den zum Verzicht schon überredeten Thoas (Klaus Manchens) sind atemberaubend. Der Wahnsinn von Orest (Joachim Meyerhoff) ist bestürzend. Thoas\' ruhige Stimmführung kann, als Stimme des Mächtigen, Angst machen. Immer freilich klappt diese ganz direkte Art der Theatralisierung des Textes nicht. Dann helfen auch nicht die in ihrer Eindeutigkeit recht schlichten Bühnensymbole (ein Strich an die Wand für jeden gewarteten Tag) oder die percussionistische Untermalung des Geschehens.

Eine Stärke dieser "Iphigenie"-Inszenierung besteht sicherlich in ihrer Deutungsoffenheit. Langhoffs Herangehensweise, die die Figuren nahe bringt, nimmt den Zuschauern das Nachdenken über das Geschehen zwischen diesen nicht ab. Sie zeigt nicht nur die Kraft der Aufrichtigkeit, sondern auch, dass die "Barbaren" zur Menschlichkeit fähig sind und dass die Realpolitiker der Zivilisation vom Schlage eines Pylades (Tilo Nest) kein allgemein gültiges Wertesystem repräsentieren. Das Premierenpublikum honorierte den gelungenen Wiedereinstieg Langhoffs am Gorki-Theater mit herzlichem Beifall.