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Vielleicht begann alles im Jahr 2001? Die Tate Modern eröffnete die Ausstellung „Zero to Infinity: 1962 - 1972“ und proklamierte: „Den Moment der Entstehung zu verstehen, heißt die Geschichte der Gegenwart und den Anfang des Jetzt zu untersuchen.“ Damals läutete der Satz weltweit eine kuratorische Reise in die Vergangenheit ein, deren vorläufige Höhepunkte nun hierzulande sein werden: 2006 eine große ZERO-Ausstellung in Düsseldorf, und das Sammlerehepaar Ströher will den führenden Malern der 60er und 70er Jahre wie Gerhard Hoehme und Karl O. Götz mehr Raum in der Küppersmühle in Duisburg einräumen. Mit diesem Retro-Blick befinden sie sich in bester internationaler Gesellschaft.
Weltweit zeigen immer mehr Museen derartige Retro-Ausstellung. Sie präsentieren die Kunst und Zeitgeschichte der 60er und 70er Jahre auf moderne Weise und aktualisieren deren Bedeutung für die Gegenwart. Die Tate Modern zeigt „Open Systems Rethinking art c. 1970“. Die Tate sieht einen „Radical Rethink“ in der Kunst der Sechziger. Die Tate Liverpool stellt psychedelische Kunst, Musik, Architektur, Film und Design jener Zeit in der Ausstellung „Sommer of Love“ vor, die nun auch in der Frankfurter Schirn zu sehen sein wird. Selbst das Guggenheim New York entzog sich 2004 diesem Retro-Fokus nicht mehr: „Singular Forms: Art from 1951 to the Present“ titelte die Ausstellung. Man hat die Retro-Ausstellung geadelt.Wider den Gegenwartsfetischismus Retro ist internationaler Gesellschaftstrend, ob im Möbel- oder Autodesign, bei Geschenkartikeln oder Tapeten. Schon wird vom ästhetischen Konservatismus gesprochen, oder zumindest von einer Ermattung des ästhetischen Avantgardismus. Doch Retro-Ausstellungen zeigen keine Neukopien des Alten, sondern Originäres aus der damaligen Zeit, aktualisiert dank eines heutigen Retro-Blickes, der sich gegen den Vorwärtsdrang einer linearen Fortschrittsgläubigkeit der Moderne richtet. Mit der Jahrtausendwende schärfte sich anscheinend der Sinn für die künstlerischen Innovationen der Nachkriegskunst. Die postmoderne Befreiung von der Innovationsideologie der Moderne hat auch die Museen und Kuratoren erreicht: Kein Neuigkeits- und Gegenwartsfetischismus mehr! Wer darin eine Schwäche der zeitgenössischen Kunst sieht, ist noch nicht in der Ge-genwart der (Post-) Moderne angekommen. Vielleicht läuten Retro-Ausstellungen nun einen Paradigmenwechsel im kuratorischen Denken ein? Wenn Kunstsammler und Museen die Geschichte der Innovationen nun neu erarbeiten, sie in ihrer Originalität neu präsentieren und nicht im linearen Fortschrittsglauben der Vergessenheit überlassen, so ist dies ein spannender Schritt in der Ausstellungspolitik gegen den Zeitgeist des Gegenwartsmonopolismus. Beispielsweise könnte dann die deutsche Nachkriegskunst und das Informel eine späte internationale Anerkennung erfahren.
(erschienen auch im ArtInvestor, Ausgab e 2005/03)