Body
Der «Club der toten Künstler» - Kulturvertreter verlangen von ARD und ZDF mehr Kulturelles zur normalen Sendezeit
Berlin (ddp). Mit ihrer Kritik an den öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten hält Kulturstaatsministerin Christina Weiss (parteilos) nicht hinter dem Berg. In den Nachrichten von ARD und ZDF komme Kultur nur vor, wenn ein Künstler sterbe, beklagte sie am Mittwochabend bei einer Diskussion der Friedrich-Ebert-Stiftung in Berlin zum Thema «Wie viel Kultur verträgt das Fernsehen?». Der «Club der toten Künstler» werde in «heute» und «tagesschau» nur «selten von Lebenden durchlüftet». ARD und ZDF lassen die Kritik nicht gelten.Die «kulturelle Essenz» gehört für Weiss zum festen Bestandteil einer Nachrichtensendung. «Kultur ist eine existenzielle Notwendigkeit und eben keine Feinschmeckerei», betont sie. Kultur gehöre zum Bildungsauftrag der Sender, deshalb sei es ein «Fehler», Kultursendungen erst kurz vor Mitternacht zu senden. Um mehr Zuschauer zu erreichen, müssten sich ARD und ZDF eben etwas einfallen lassen. Auf die Quote dürften sie dabei nicht schielen.
Freilich weiß die Kulturstaatsministerin, dass die von ihr schon einmal geforderte «gemäßigte Kulturquote» für die Hauptnachrichten von ARD und ZDF per Gesetz nicht durchzusetzen ist. Deshalb setzt sie auf die Selbstverpflichtungserklärung, an der die Sender in der Reformdebatte derzeit stricken und die im Herbst vorliegen soll.
Die aber wollen davon nichts wissen. «Das Fernsehen ist heute besser und reicher als vor 15 Jahren», sagt ARD-Programmdirektor Günter Struve. Es gebe praktisch kein «Morgenmagazin» mehr ohne einen Kulturbeitrag. Ausgesprochene Kultursendungen allerdings zögen beim Publikum nicht. Deshalb müsse sein Sender mit dem Stempel Kultur «verdammt vorsichtig» sein. Denn oft schrecke das Label mehr Zuschauer ab, als es Interesse wecke.
Vehement wehrt sich Struve auch gegen Kritik, er blicke bei den ARD-Sendungen nur auf die Quote. Die ARD habe bereits Formate gebracht, die eine so niedrige Einschaltquote hatten, dass er dafür aus dem 15. Stock seines Büros hätte springen können. «Der Blick auf die Quote gilt für meine Werke nicht», beteuert er.
Auch ZDF-Programmchef Thomas Bellut betont, die Vermutung, das ZDF bringe immer weniger Kultur, stimme nicht. Aus seiner Sicht gehöre sogar «über die Hälfte» des Programms im weiteren Sinne zum Bereich Kultur, ZDF-Sendungen wie «Unsere Besten» mitgerechnet. Dabei spiele die Quote eine untergeordnete Rolle. Belluts Paradebeispiel ist die Sendung «Lesen!» mit Elke Heidenreich. Zunächst habe man gar nicht an den Erfolg des Formats geglaubt, die Sendung aber dennoch produziert, sagt er.
Die Künstler können die Programmchefs damit nicht überzeugen. Der zeitgenössische Komponist Wolfgang Rihm etwa, der selbst «viele unproduktive Stunden» als «Zapper» vor der Mattscheibe verbringt, fordert «Kultur immer und überall in kleinen Dosen». Im Fernsehen könne es zwar nur Information über Kunst - und nicht Kunst selbst - geben. ARD und ZDF dürften dabei aber «nicht einknicken». Die Sender hätten mehr als Politiker die Macht, Entwicklungen zu beeinflussen. Mit mehr Berichten über Kunst werde beim Zuschauer «der Hunger geweckt».
Die Wiener Schriftstellerin Marlene Streeruwitz, die sich phasenweise «fernsehsüchtig» nannte, kritisiert vor allem die Form der Kulturberichterstattung. Das Fernsehen gehe heute mit Kunst wie im 19. Jahrhundert um. Sie verlangt deshalb einen neuen TV-Diskurs, der nicht länger Stereotypen der Kultur bedienen dürfe.
Eine Lösung der anderen Art fand der Dresdner Dichter Marcel Beyer. Er hat gar keinen Fernseher. Dafür nehme er ab und zu an «Glotz-Wochenenden» bei Freunden teil. Dann gebe es Fernsehen satt, «mit acht Stunden durchgucken».
Zur vollständigen Einführungsrede von Kulturstaatsministerin Weiss zum Kulturpolitischen Aschermittwoch "Wieviel Kultur verträgt das Fernsehen?":
s. unter:
http://www.kulturportal-deutschland.de/kp/artikel.html?artikelid=1158