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Aufbruchstimmung und Begeisterung für neue Musik

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Konzert mit Werken niedersächsischer Komponist*innen: ein Interview mit Peter Florian
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Osnabrück/Lüneburg. Im Rahmen der „Internationalen Studienwoche für zeitgenössische Musik“ soll am Freitag, 22. Oktober 2021, in Lüneburg ein weiteres Konzert mit Werken niedersächsischer Komponist*innen stattfinden. Wir sprachen deshalb mit Prof. Peter Florian, Pianist, Pädagoge und Komponist aus Osnabrück, über neue Musik. Er war einer der Komponisten, welcher sich, der jahrelangen Tradition folgend, den niedersächsischen Komponierenden die Möglichkeit zu geben, sich und ihre Werke der Öffentlichkeit vorzustellen, am Konzert im Oktober 2020 beteiligte. (nmz berichtete in der Februarausgabe 2021, S. 44)

neue musikzeitung: Wo sind Ihre Wurzeln für die musikalische Ausbildung und wie entstand Ihr Kontakt zur neuen Musik?
Peter Florian: Ich bin im siebenbürgischen Klausenburg (Stadt Cluj, Rumänien) geboren und in einer Familie von fünf Nationalitäten aufgewachsen. Das wurde für mich, für meine spätere Weltanschauung, für meine schulische und kulturelle Ausbildung prägend.

In den 50er- und 60er-Jahren gab es in Klausenburg zweisprachige Schulen, Hochschulen und Universitäten mit rumänischer und ungarischer Sprache. Die ungarische Muttersprache hatte für mich Vorteile, da die meisten Lehrkräfte der Musikschule mit dem Bartók-Kodály–System in Budapest ausgebildet worden waren. In meinem ersten öffentlichen Schulkonzert spielte ich eine Sonatine von Kadosa Pál, die damals als neue Musik galt.

Wir wohnten in der Nachbarschaft zu Sigismund Toduta, einem der herausragendsten Komponisten Rumäniens. So habe ich ihn häufig besucht, um die neuesten Schallplatten mit neuer Musik zu hören und Formfragen zu den Werken, die ich aktuell studierte, zu besprechen. So bekam ich einen tiefen Einblick in die Werke von Schönberg, Berg, Webern, Strawinsky, Messiaen, Stockhausen, Boulez ... Auf seine Anregung hin spielte ich auf einem Festival Alban Bergs op. 1, meines Wissens als rumänische Erstaufführung. Für meine spätere Musikerkarriere bekam ich eine rundum gute Ausbildung.
nmz: Wie wurden Sie motiviert, Eigenes zu Komponieren?
Florian: Zu meinem pädagogischen Prinzip gehörte von Anfang an, das Gelernte stetig zu erweitern und zu vertiefen und den Schüler:innen und Studierenden auch praktisch ein Vorbild zu sein. So habe ich stets mein Repertoire erweitert, Klavierabende und Konzerte mit Orchestern in vielen Ländern gegeben, zuerst in Rumänien, später in Deutschland, Ungarn, Österreich, Italien, Belgien, Russland, Türkei, China und Südkorea.

Auf die Idee, selbst zu komponieren, kam ich 1974 in Meppen, meiner ers­ten Arbeitsstelle in Deutschland. Meine Motivation dazu war, den Schülern die Neue Musik (was auch immer das bedeutete) näher zu bringen, ihnen den Prozess des Komponierens und des Improvisierens an Beispielen zu zeigen und sie dazu zu ermutigen, das auch selbst zu versuchen. Inspiriert duch meine Kindheitserinnerungen, Kurzwellensender im Radio zu suchen, entstand 1975 meine erste Komposition: ein Bläserquintett mit Klavier.

Auch in Meppen gründete ich dann mit engagierten Kollegen das „Ensemble Variable Musica Nova“. Wir hatten deutschlandweit viele Auftritte und bei Radio Bremen Rundfunkproduktionen. Es herrschte eine Aufbruchstimmung und Begeisterung für lebendige Aufführungen neuer Musik.
nmz: Haben Sie dann in der Praxis dazu Erfahrungen sammeln können?
Florian: Ja, als ich ab 1978 am Osnabrücker Konservatorium eingestellt wurde. Auf Empfehlung von Prof. Ingolf Henning wurde ich in den „Kreis Osnabrücker Komponisten e. V.“ aufgenommen. Das war für mich entscheidend, um mit dem Komponieren weiter zu machen.

In den 80er- und 90er-Jahren haben wir im Konservatorium sehr viele lebendige Konzerte und Performances mit zeitgenössischer Musik veranstaltet. So zum Beispiel die Aufführung von „Mantra“ von Stockhausen, Rundfunkproduktionen mit Werken von B. A. Zimmermann oder Isang Yun. Es entstanden LP- und CD- Produktionen mit Werken Osnabrücker Komponisten. Ja, das Osnabrücker Kulturleben boomte! Viele meiner Schüler:innen und Studierenden aus dieser Zeit sind später auch als Komponisten tätig geworden.
Schon Anfang der 80er-Jahre habe ich mich immer intensiver mit elektronischer und elektroakustischer Musik beschäftigt, später mit computergesteuerter Musik der Atari-ST-Ära. Zwei der wichtigsten Kompositionen dieser Zeit waren 1993 meine Performance „OSmose“ (im Rahmen des KlangArt-Festivals in Osnabrück mit über 100 Beteiligten aufgeführt (die nmz berichtete Okt/Nov 93), und die Performance „Minimax“ mit Computermusik und Ausdruckstanz (von 1977).

Mit meiner Berufung als Professor an der Hochschule Osnabrück widmete ich mich erstrangig der Klavierausbildung der Studierenden und Austauschprojekte im Rahmen des Erasmus-Programms. Ich gab Meisterkurse in den Balkanländern, in der Türkei und war in Deutschland unzählige Male Juror bei Wettbewerben. Dadurch war meine kompositorische Aktivität nur noch auf Gelegenheitskompositionen reduziert.

Immer wieder habe ich Stücke mit folkloristischem und konkret-klangmalerischem Hintergrund geschrieben, die auch bei „Jugend musiziert“ gespielt wurden. Die Uraufführung meines bisher letzten Werkes „PREMIERE 2“ mit neun Instrumentalisten fand 2019 in Masan (Südkorea) statt.
nmz: Welche Chancen sehen Sie für Komponierende und Interpretierende in und mit der neuen Musik?
Florian: 1996 habe ich mit großer Freude und voller Zukunftspläne den Vorsitz des „Kreises Osnabrücker Komponisten e. V.“ übernommen. Leider wurde seit Ende der 90er-Jahre durch die Kommunalpolitik die Kulturförderung schrittweise gekürzt. Damit wurde der bundesweit beispielhafte Osnabrücker Kulturentwicklungsplan Geschichte. Nur noch einzelne Projekte wurden gefördert. So mussten wir auf Jahreskonzerte verzichten. Das ist ein großes Problem.

Das andere ist, dass „Avantgarde“ praktisch nach einer Fortentwicklung der frühen Zwölftonmusik des 20. Jahrhunderts, über Serialismus und Postserialismus bis hin zur heutigen anti-intellektuellen Postmoderne wie Neobarock, Neoklassik, heute zu einer Art Infantil-Klassik geworden ist. Die Omnipräsenz der digitalen Medien diktiert diese Entwicklung. Die Klickzahlen in Social Media regieren die kulturelle Welt. Ich bleibe optimistisch. Die Menschen mit ihren Fähigkeiten, auch ohne künstliche Intelligenz, werden Wege finden, hochwertige, komplexe neue Musik zu kreieren, die auch die Mitte der Gesellschaft erreicht.
Interview: Gunter Sokolowsky

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