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Der Komponist, Pianist und Dirigent Ernst Bachrich, 1892 in Wien geboren, 1942 im KZ Lublin-Majdanek ermordet. Foto: Arnold Schönberg Center Wien
Der Komponist, Pianist und Dirigent Ernst Bachrich, 1892 in Wien geboren, 1942 im KZ Lublin-Majdanek ermordet. Foto: Arnold Schönberg Center Wien
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Aus dem Vergessen gespielt

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Der Komponist Ernst Bachrich, wiederentdeckt vom Pianisten Alexander Breitenbach
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Sie hat ihn gepackt, die Musik des Anfangs, die erste Begegnung mit einem ihm fremden Werk, die Musik, die er erst spielen musste, um sie hören zu können, die er für sich und dann für andere auch erschließen wollte, um sie zu verstehen. Damit hat Alexan­der Breitenbach einen Schatz gehoben.

Der 1997 geborene Pianist ist im Zuge seines Studiums an der Hochschule für Musik und Tanz in Köln auf den österreichischen Komponisten Ernst Bachrich gestoßen. „Schau dir das mal an“, hat seine Professorin Florence Millet gesagt. Sie leitet an der Musikhochschule das Projekt „EchoSpore“, das sich der Wiederentdeckung verfolgter Komponistinnen und Komponisten widmet. Sie wolle, so Florence Millet, ihre Studierenden nicht allein pianistisch ausbilden, sondern auch dazu anregen, „sich zu engagieren, sich zu positionieren“. Dabei schaut sie hin, ob und wie die im Vergessen verhafteten Kompositionen zum künftigen Interpreten passen: „Alexander Breitenbach hatte schon Reger gespielt, später auch die Berg-Sonate … in dieser Sprache fühlt er sich wohl.“ Und so habe sie den eher empfindsamen Studenten mit dem expressionistischen Werk Ernst Bachrichs zusammengebracht. Breitenbach machte sich, auch auf der Basis einer intensiven Recherche des US-amerikanischen Musikhistorikers Matthew Vest, auf die Spur des Pianisten, Dirigenten und Komponisten.

Dessen Geschichte beginnt am 30. Mai 1892 in Wien; sie endet am 11. Juli 1942 im Konzentrationslager Lublin-Majdanek, vorläufig jedenfalls. Ernst Bachrich wächst künstlerisch im Umfeld der Zweiten Wiener Schule heran, ist Schüler von Arnold Schönberg – wie vor ihm Alban Berg oder Anton Webern, wie nach ihm Hanns Eisler oder Rudolf Serkin. Er ist gut vernetzt, weitet seine Kreise nach München, nach Paris und weckt Interesse auch an der Metropolitan Opera in New York. Acht Jahre arbeitet er als Dirigent an der Volksoper Wien, wechselt 1928 ans Stadttheater Düsseldorf, von dort im Jahr darauf ans Vereinigte Stadttheater Duisburg-Bochum.

Als die Nationalsozialisten an die Macht kommen, erhält Bachrich, weil er Jude ist, in Deutschland keine Engagements mehr. Er geht zurück nach Wien, wird dort 1938 – nach dem „Anschluss“ Österreichs ans Deutsche Reich – mit einem Berufsverbot belegt. Fast trotzig arbeitet der Musiker weiter, veröffentlicht auch und sorgt damit unentwegt für die Verbreitung und Wahrnehmung seines Werks. Damit ermöglicht er im Grunde auch selbst sein Wiederauffinden. Nach dem Transport, zunächst ins Ghetto Izbica, wird Ernst Bachrich im KZ Lublin-Majdanek ermordet.

Eine Konstante in Bachrichs Welt ist das Komponieren: angefangen von der Sonate für Klavier op. 1 (1917) über sein Hauptwerk, die Sonate für Violine und Klavier op. 2 (1925), bis zu den „frühen Versen“ (1935) für Klavier und Sprechstimme, in denen er die „Musik des Anfangs“ beschwört.

Bachrichs Werke für Klavier solo und für Klavier und Geige beziehungsweise Gesang haben Alexander Breitenbach, Lola Rubio (Violine) und Anna Christin Sayn (Sopran) beim Berliner Label „eda records“ eingespielt. Ihr Album ist ein Werk, das anfasst, das ergreift. Sicher auch wegen des Wissens um ein derart brutal beendetes Künstlerleben, vor allem aber dank des enorm präsent gestaltenden Musizierens des Pianisten und seiner Mitstreiterinnen. Sie lassen Anklänge an Bachrichs Vorbilder (wie Skrjabin, Debussy oder Schönberg) hören und arbeiten zugleich dessen eigene intensive Tonsprache heraus: atonal, aber immer mit Bezügen zum Vorangegangenen. „Es ist einfach gute Musik“, sagt Alexander Breitenbach über das, was er gefunden, studiert und interpretiert hat.

Dass diese Musik auf dieser CD eine solch unmittelbare Wirkung entfaltet, mag, so der Pianist im Interview, auch am Ort der Produktion liegen: Aufgenommen wurden Bachrichs Werke in der Jesus-Christus-Kirche in Dahlem, die 1933 bis 1945 ein Zuhause der Bekennenden Kirche mit Pfarrer Martin Niemöller war. Es scheint, als spräche auch der Raum in diesem Zusammenspiel mit.


CD- und Netzhinweise

Die CD „Ernst Bachrich – Ein Portrait“ ist 2019 beim Label „eda records“ in Zusammenarbeit mit DLF Kultur erschienen. Es singen und spielen Anna Chris­tin Sayn, Lola Rubio und Alexander Breitenbach.

Das Konzert, das Alexander Breitenbach Anfang März zum Auftakt der „Siegener Woche der Brüderlichkeit“ als Stream präsentiert hat, ist bei YouTube (Suchworte „Bachrich“ und „Breitenbach“) verfügbar und auch unter www.cjz-siegen.de unter „Veranstaltungen – März“ verlinkt. Im Herbst soll es ein Live-Konzert mit Deutschlandfunk Kultur in Berlin geben.

Informationen zum Projekt „EchoSpore“ der Kölner Musikhochschule unter https://echospore.hfmt-koeln.de sowie zum Pianisten Alexander Breitenbach unter www.alexander-breitenbach.de

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