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Das System Schule in Frage stellen?

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„Musikunterricht quo vadis? Eine Zoom-Konferenz des Bundesverbands Musikunterricht
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Im nmz-Interview zum bundesweiten Schulbeginn mit Jürgen Oberschmidt vom Bundesverband Musikunterricht, BMU, (nmz 9/2020, Seite 17, „Musikunterricht in 16 Improvisationen“) war es schon offensichtlich geworden: Die coronabedingten Maßnahmen bringen das Fach Musik in große Bedrängnis: Die Vorrangigkeit der sogenannten Kernfächer, das Aussetzen musikalischer Ensemblearbeit, das Ausschließen von jahrgangsübergreifenden Arbeitsgemeinschaften, außerschulischer Kooperationen und das Verbot, außerschulische Lernorte aufzusuchen, stellt die gesamte Schulkultur nachhaltig in Frage.

Im September lud der BMU daher zu einer bildungspolitischen Diskussion „Musikunterricht quo vadis? – zur Situation des Musikunterrichts an allgemeinbildenden Schulen“ ein – coronabedingt als Zoom-Konferenz. Als Moderator hatte BMU-Präsident Michael Pabst-Krueger folgende Gäste: Christian Höppner (Deutscher Musikrat), Friedrich-Koh Dolge (Verband deutscher Musikschulen) Bjoern Strangmann (Musikschule Mannheim), Martina Thomas (Zentrum für schulpraktische Lehrerausbildung Köln), Jürgen Oberschmidt (Bundesverband Musikunterricht) und Matthias Pannes (VdM).

Musikratsgeneralsekretär Christian Höppner eröffnete den Reigen der Statements mit sieben Forderungen in Anlehnung an das Forderungspapier des DMR-Bundesfachausschusses Bildung zum Monitoring Musikalische Bildung: Darin geht es um ein Sofortprogramm zur angemessenen personellen und finanziellen Förderung der Lehrkräftebildung im Fach Musik, verbesserte Studienmöglichkeiten, eine nachhaltige Qualifizierung von Seiten- und Quereinsteigern sowie die Stärkung der Musikschulen als wichtigster Kooperationspartner schulischen Lernens durch eine bedarfsgerechte Finanzierung auf Kommunal- und Länderebene. Höppner wünschte sich zudem eine Selbstverpflichtung der Länderparlamente für die Haushaltsjahre 2021–2023, um die erhöhten Bedarfe für die Kosten der Musiklehrkräftebildung über das haushälterische Instrument der Verpflichtungsermächtigung sicherzustellen.

Friedrich-Koh Dolge vom Verband deutscher Musikschulen forderte den engen Schulterschluss von Schulen, Musikschulen und allen musikpädagogisch wirkenden Verbänden, die Ausweitung des Digitalpaktes Kultur auch auf die Musikschulen und insbesondere die Einrichtung eines Rettungsschirmes für die öffentlichen Musikschulen.

Martina Thomas, ZfsL Köln, beklagte, dass Musikunterricht in NRW derzeit nur sehr fragmentarisch umgesetzt werde. Und das obwohl laut Schulministerium NRW der Musikunterricht seit Schuljahresbeginn „in seinen unterschiedlichen Ausprägungen“ grundsätzlich grünes Licht hat. „Musikunterricht unter Coronabedingungen ist und bleibt für uns alle eine große Herausforderung“ sagte Thomas, „vieles Altbewährte ist plötzlich weggebrochen – und wir sehnen uns natürlich nach musikalischen Präsenzerlebnissen.“

Bjoern Strangmann, Leiter der MS Mannheim, betonte, dass die aktuelle Corona-Lage zwar geprägt sei von Erlassen und Verordnungen und ständigen Veränderungen, dass man aber dennoch – zumindest in Mannheim – die Musikschule weiterhin als verlässlichen Kooperationspartner sieht und wo immer möglich einbindet in den curricularen Unterricht. Matthias Pannes, Bundesgeschäftsführer des VdM, legte vor allem Wert auf die Bündelung der Kräfte. Er stellte aber auch die Frage, ob über die hier teilnehmenden Verbände nicht  noch weitere Allianzen ins Spiel gebracht werden müssen.

Jürgen Oberschmidt (BMU) wurde grundsätzlich: „Für mich ist Corona ein Anlass, dass System Schule, wie es sich vor der Corona-Krise präsentiert hat, insgesamt in Frage zu stellen. (…) Unsere Schulen sind schon vor Corona-Zeiten auf dem Weg gewesen, eine Dienstleistungsorganisation im Bereich Bildung zu werden. Das gilt es nachhaltig zu hinterfragen, denn während der Pandemie wurde dieser Just-in-Time-Modus sowohl im schulischen Kompetenzgetriebe als auch in unserem Wirtschaftsleben außer Kraft gesetzt. Input geben. Maschine läuft. Output präsentieren. (…) Wo finden wir das, was man früher mal Bildung nannte und was heute längst durch bloße Ausbildung ersetzt wurde, Schule ist nicht nur ein Lernraum – Schule ist auch ein Lebensraum. Und gerade für Kinder und Jugendliche in schwierigen Lebensverhältnissen ist Schule ein ganz wichtiger Lebensraum.“

Als ein Resümee der Zoom-Diskussion lässt sich festhalten: Auf der konkreten und kurzfristigen Handlungsebene sollen Best Practice und Austausch etwa über Musik-Cafés oder Corona-Box weiter vorangetrieben werden. Auch das Padlet-Konzept eines digitalen Klassenzimmers sollte weiter bedacht werden.

Auf politischer Ebene ist ein Schul­terschluss der Verbände gewünscht, um eine breite Allianz für den Musikunterricht zu schaffen. Dringen nötig ist es ebenso, Hygienekonzepte zu vereinheitlichen. Beim Stichwort „Schulterschluss“ sei an das lange angekündigte Positionspapier zur musikalischen Bildung erinnert. Vielleicht wirkt Corona hier als Beschleunigungsfaktor zur Begründung und Festigung einer verbandsübergreifenden Allianz.

Bei allen verschiedenartigen Blickwinkeln der Teilnehmer war man sich aber darin einig, dass Musikunterricht als notwendiger Kreativort und Lebensraum stärker in den Mittelpunkt von Schule rücken müsse. Künstlerische Schulfächer seien eigentlich Kernfächer.

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