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Hungrig auf Musik: Mitglieder des MIAGI Jugendorchesters. Foto: Kai Bienert
Hungrig auf Musik: Mitglieder des MIAGI Jugendorchesters. Foto: Kai Bienert
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Der Musik gegenüber sind alle Kinder arm: MIAGI-Gründer Robert Brooks im Gespräch

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Dieses Orchester hat sein Publikum zum Tanzen gebracht. Zum Abschluss des letztjährigen Young Euro Classic Festivals, wo eine Auswahl der besten Jugendorchester der Welt präsentiert wird, wurde das MIAGI-Jugendorchester aus Südafrika als Höhepunkt bezeichnet. Nach zahlreichen Zugaben folgten die Besucher den jungen Musikern schließlich prozessionsartig auf den Gendarmenmarkt, den Platz vor dem Berliner Konzerthaus, wo so lange weiter gespielt wurde, bis sie in ihren Reisebussen verschwinden mussten.

Wie bei allen engagierten Jugendorchestern beeindrucken die Mischung aus jugendlicher Dynamik und Musikalität, bei diesen Musikern aber im außergewöhnlichen Maß. „MIAGI – Music is a great investment“ wurde 2001 von Robert Brooks gegründet. Der südafrikanische Tenor kam nach 20-jährigem Europaaufenthalt in seine Heimat zurück, war begeistert und blieb. Mit engagiertem Realismus spricht er über seine neunjährige musikalische Aufbauarbeit in einem sich im Aufbruch befindenden Land.

neue musikzeitung: Mister Brooks, Ihr Orchester hat zur Zeit Antonin Dvoráks „Symphonie aus der neuen Welt“ im Programm. Auf die Frage, wo für sie die neue Welt sei, sagten mir Jugendliche Ihres Orchesters ganz selbstgewiss „in Südafrika“.
Robert Brooks: Stimmt. Bis vor neun Jahren kannte ich nur meine Heimatprovinz KwaZulu Natal und ganz Europa. Jetzt lerne ich Südafrika kennen und ich liebe es. Früher hatte ich keine Sehnsucht, jetzt ist das anders.

nmz: Die Gründung eines eigenen Musikfestivals in Johannesburg war Grundlage der verschiedenen Initiativen von MIAGI. Was war Ihr ursprünglicher Impuls?
Brooks: Nach zwanzig Jahren in Eu-ropa bat man mich, ein Kammermusikfestival in Südafrika, in Stellenbosch, zu leiten. Das Festival war damals noch in seiner Gründungsphase. Aber es hat mir nicht so geschmeckt. Zwar ist nichts falsch damit: Es ist Kammermusik, wie ich sie liebe – aber nicht in Südafrika, mit dem Preis, den man dafür gezahlt hat. Wir brauchen kein zweites Feldkirch dort. Ich wollte damals etwas mit Ladysmith Black Mombaza, der fantastischen Gruppe, die mit Paul Simon gearbeitet hat, zusammen machen. Mein Ausgangspunkt ist es, Klassik, Jazz und Indigenous zusammen zu bringen. Diese Musikrichtungen spiegeln die ethnische und kulturelle Vielfalt des Landes. Es ist unglaublicher Bedarf nach Musik da, und in den Townships sind wahnsinnig begabte Kinder.

nmz: Wie haben Sie weitergearbeitet?
Brooks: Für das Festival bemühen wir uns, 16 bis 18 Konzerte im Jahr zu organisieren. Um sie zu bestücken und Qualität zu gewährleisten, gründeten wir das Jugendorchester, die Big Band und die Begabtenförderung. Wir vergeben Auftragskompositionen an afrikanische Komponisten, und wir beteiligen uns jetzt an dem Bau einer Schule. Außerdem kümmern wir uns um ein kleines Straßenkinderprojekt in Pretoria.

nmz: Kommen alle Kinder aus armen Verhältnissen?
Brooks: Nein, es kommen schwarze und weiße Kinder aus sehr unterschiedlichen Verhältnissen. Manche Familien sind sogar sehr wohlhabend. Aber der Musik gegenüber sind alle Kinder arm, weil die Eltern den Unterricht entweder nicht bezahlen können oder nicht wollen. Die Musik hat noch keinen so hohen Stellenwert wie in Europa. Trotzdem fangen wir eigentlich nicht ohne Vorkenntnisse, ohne den Eigeninitiative-Vorlauf, an.

nmz: Wie entstand dann das Straßenkinderprojekt?
Brooks: Auf meinem täglichen Weg von der Parkgarage zu meinem Büro in Pretoria gibt es einen Platz, auf dem immer Straßenkinder herumhängen und betteln. Ich habe ab und zu Gespräche angeknüpft und wurde dann „Mr. Robert“. Irgendwann konnte ich das tägliche „Hey Mr. Robert, what’s up?“ nicht mehr hören und drohte: „Wenn ihr so weiter macht, sperr ich euch mit diesem komischen Instrument, dieser Pingpingping-Geige in einen Raum.“ Am nächsten Tag fragten sie dann: „Hey Mr. Robert, when you gonna lock us in the room?“ Also haben wir mit Marimbas angefangen und das machen wir immer noch. Es ist schwierig, denn natürlich brauchen sie nicht nur den Unterricht, sondern Seife, Schlafplatz, Essen, Zuwendung. Wir haben die Zusammenarbeit mit einem Waisenhaus angefangen, aber viele hauen wieder ab. Romantisch ist die Arbeit ganz bestimmt nicht, und ich bin ja auch für das Festival verantwortlich, kann also nicht nur soziale Arbeit machen. Immerhin studieren einige Straßenkinder inzwischen  Musik. Aber auch die sind noch sehr „streetwise“. Die Straße ist ja trotz aller Entbehrungen so etwas wie ihre Heimat.

nmz: Sie sind selbst Musiker, investieren aber die meiste Zeit in MIAGI. Ist das auch ein Opfer?
Brooks: Manchmal gibt es natürlich Tage, an denen ich mich frage, was ich mir angetan habe. Aber letztendlich kommt mein Einsatz aus einem musikalischen Bedürfnis heraus. Wenn man Kinder in die Welt bringt, möchte man sich natürlich um sie kümmern, auch finanziell. Man hat die Verantwortung übernommen. Für mich heißt Musik zu ermöglichen, gleichzeitig, Musik zu machen. Natürlich freue ich mich, selber einen Abend mit meinen Lieblingsstücken zu singen. Ich habe keine Weltkarriere gemacht, aber ich war international aktiv, und ich verdiene mir immer noch meinen Lebensunterhalt durch das Singen. Es macht mir Spaß. Darüber hinaus gibt es aber Wichtigeres für mich, als noch erfolgreicher zu sein und noch mehr Geld zu verdienen. Wenn die Kinder Konzerte spielen, bin ich genau so aufgeregt, wie wenn ich selbst auf der Bühne stehe.

nmz: Das MIAGI-Jugendorchester und die MIAGI-Bigband traten zum ersten Mal in Europa auf. Hatten Sie Angst? Haben Sie befürchtet, die südafrikanischen Jugendlichen könnten vor dem europäischen Musikanspruch scheitern?
Brooks: Ja. Ich wusste zwar, dass die Kinder besondere sind, dass sie Ausstrahlung haben, aber ich war sehr nervös. Viele Jugendliche sind, auch musikalisch, noch sehr jung. Vom europäischen Standpunkt aus können sie nicht das, was sie können sollten. Aber für das Konzert bekamen sie Flügel, ich hätte mir nicht vorstellen können, dass sie im Rahmen ihres Könnens so gut spielen. Die Pianissimi im zweiten Satz (von Dvorák), waren professionell. Der ganze zweite Satz war bis auf kleine Intonationsreibungen, wie sie bei jedem Orchester vorkommen, perfekt.

nmz: Marino Formenti hat den Jugendlichen extrem viel zugetraut. Solch konzentrierte Pausen zwischen den Sätzen, in denen man die Musik schon vorhört, trauen Dirigenten selbst Profis selten zu. Wie wurde das erreicht?
Brooks: Formenti ist nicht nur Dirigent, sondern auch Interpret. Sein Gebiet ist das Zeitgenössische. Er war nicht erschrocken, als er die Kinder in einem frühen Stadium hörte. Er hat sich auf die Besonderheiten konzentriert und diese umgesetzt. Seine Freude an Entdeckungen steckte das Orchester an. Wir haben nicht allzu viele gute Lehrer in Südafrika. Die Jugendlichen nutzen ihre Chance, von Dirigenten wie Maxim Vengerov, Cem Mansur oder eben Marino Formenti zu lernen. Er hat das Können der Jugendlichen stark gefördert.

nmz: Ein emotionales Können?
Brooks: Ja, aber auch noch mehr. Die Fähigkeit, Dinge in eine andere Ebene hineingehen zu lassen. Ich staune, ich weiß auch noch nicht genau, woher das kommt.

nmz: Das Orchester hat in Berlin zwar auch eine neu arrangierte Jazz-Fantasie des früh gestorbenen südafrikanischen Komponisten Gideon Nxumalo gespielt, aber das war doch eher im Stil des amerikanischen Eklektizismus. Warum spielen Sie keine Stücke, in die traditionelle Instrumente oder indigene Elemente mit einbezogen werden?
Brooks: Ja, Nxumalos Stück ist eklektizistisch. Aber er schrieb es bereits in den 1960er-Jahren. Dafür ist seine Methode, Elemente der europäischen Tradition weiter zu entwickeln und auf den Jazz treffen zu lassen, außergewöhnlich. Zudem gibt es schlicht keine Kompositionen für großes Orchester mit traditionellen Instrumenten. Aber für kleine Formationen ist schon einiges da, und wir vergeben auch immer wieder Auftragswerke an südafrikanische Komponisten. Das funktioniert gut. Zunächst aber ist unser Ziel vorrangig die Begegnung. Es gibt noch so viele beinah unentdeckte Schätze in der einheimischen Musiktradition. Denen möchten wir ein Podium bieten und bringen sie zusammen mit Musik, die schon Anerkennung gefunden hat. Dadurch geben wir der afrikanischen Musik einen Stellenwert. Unsere Konzertsäle wurden für die sieben Prozent von fünf Prozent der südafrikanischen Bevölkerung gebaut, die klassische europäische Musik gehört haben. Anderes hatte kein Podium. Darum müssen wir den Stolz und das Selbstwertgefühl erst einmal genügend bestätigen, damit die alten Wunden heilen können. Das kann man nicht durch Geldmärkte erreichen! Die Begegnung und Zusammenarbeit ist in Südafrika sehr wichtig. Sowohl die schwarze wie auch die weiße Bevölkerung befindet sich in einer  Identitätskrise. Seit der Kolonisation war die entscheidende Komponente auf beiden Seiten Angst. Die Angst vor dem Unbekannten herrscht auch jetzt noch. Das macht eng und unproduktiv. Der Komponist Hans Huyssen, mit dem wir arbeiten, versucht zum Beispiel, in seinen Kompositionen sowohl von den Entwicklungen in der indigenen afrikanischen wie auch in der europäisch geprägten Musik auszugehen, also nicht Neue Musik mit traditionellen afrikanischen Versatzstücken zu schreiben.

nmz: Ist die Arbeit im Orchester auch Bewältigungsarbeit?
Brooks: Seit 1994 haben wir eine demokratische Regierung. Die Jugendlichen im Orchester sind oft erst danach geboren. Sie kennen die Apartheid nicht, für sie ist es normal, gemischt zu sein. Aber je älter sie werden, desto bewusster wird es ihnen, dass es für ihre Eltern nicht normal ist. Die Gefahr ist dann, dass sie die Welt aus den Augen und mit den Emotionen ihrer Eltern sehen. Wir müssen im Orchester und in den verschiedenen Education-Initiativen die Normalität des Gemeinsamen im gewissen Sinn gegen die Erinnerung bewahren. Das ist immer wieder schwierig. Man muss der unsichtbaren Apartheid in den Gefühlen und den sozialen Reflexen auf die Spur kommen.

Interview: Astrid Kaminski

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