Hauptrubrik
Banner Full-Size

Die Gegenwart ist voller Trio-Überraschungen

Untertitel
Jazz-Neuheiten, vorgestellt von Hans-Dieter Grünefeld
Publikationsdatum
Body

Festgelegt ist die Anzahl der Personen, nicht die Besetzung. Ein Jazz-Trio kann viele instrumentale und stilis­tische Varianten haben. Üblicherweise vermutet man Pianisten wie Fabian Mueller aus der Schweiz, mit einem Routenkompass ausgestattet, um zum Ensemble-„BERG“ zu führen.

Doch seine Kompagnons sind keineswegs nur Begleiter, wenn sie in rituellem Groove „Alpsegen“ spenden. Vielmehr reagiert der Norweger Øyvind Hegg-Lunde auf „Frost“ mit hart-klirrender Perkussion bei dunklen Elektrosounds. Und Bassist Kaspar von Grünigen bleibt zupfsicher beim tierischen Trance-Tanz „Tinga og Tila“, wo auch, wie manchmal anderswo, Synthesizer-Tupfer das Tas­ten-Spektrum punktuell erweitern. Also, BERG ist zwar ein konventionelles Jazzklavier-Trio, aber die Alp-Horizonte werden gemeinsam in rhythmisch intensiven Klang-Tableaux aufgespannt. (Anuk)

Durchdringend blickt Pianistin Carla Bley auf die menschliche Existenz, denn ihre Kompositionen sollen dafür Antrieb geben, dass das Leben weitergeht: „Life Goes On“. Sie selbst beschränkt sich dabei auf karge Akkord-Impulse, während E-Bassist Steve Swallow und Andy Sheppard am Tenorsax der Blues-Motivik via polyphoner Kammer-Konversation nachspüren. Scheinbar einfache Songstimmungen werden so verdichtet, dass sie erst durch solche filigranen Formen den angestrebten Sinn erkennen lassen. (ECM)

Für ähnliche Zwecke, nämlich die Lebensqualität in einem „Wonderland“ zu erkunden, verwenden Tenorsaxophonist Emiliano Vernizzi und Alessandro Sgobbio an den Keyboards eigene Periscopes, nämlich krasse Kontrapunkte aus rotierendem Loop in ungeradem Metrum und elegischer Sax-Kantilene. Verstärkt um Schlagzeuger Nick Wight wollen sie „Up“ oder heraus aus vermeintlicher Misere, wünschen sich Erinnerungen an Helden wie die wirbelnden Jazzrock-Figuren in der „Disco Gagarin“ oder „The Earth’s Shape“ als futuristisches Arkadien mit Streichquartett-Dekorationen. Lyrische Melodik und kinetische Energie prallen per Improvisation aufeinander und vereinbaren sich zu einem fabelhaften Sound. (Losen)

Beim Silvan Joray Trio aus der Schweiz bilden sich sogar „Cluster“, allerdings keine dissonanten Bündel, sondern seine Gitarren-Arpeggien sind Durchgangsstationen für harte Bass-Pizzicati von Nadav Erlich, aus deren Chromatik Schlagzeuger Josep Cordobés eleganten Swing entstehen lässt. Das Interplay ist beim „Blutmond“-Anblick balladesk, gar freirhythmisch in „See You In Late September“ jedoch stets anekdotisch erzählend unterm funkelnd inspirierendem Orbit – moderate Moderne. (Neuklang)

Ein Prinzip, das sich auch der junge Sinti-Gitarrist Gismo Graf nach „A Trio’s Decade“ zu eigen gemacht hat. Natürlich erweist er dem Stil-Nestor Django Reinhardt seine Reverenz, aber dessen „Mabel“ hat er eine kleine Rock-Injektion gegeben, sodass Joschi Graf an der Rhythmus-Gitarre und vor allem Universal-Bassist Joel Locher die Akzente entsprechend modifizieren müssen. Solch ungezügeltes Temperament zeigt sich bei Gismo Graf sowohl im anderen Standard „You Rascal You“ in geradezu gerupften Timbres als auch im übermäßigen Tempo seines Arrangements der „Fantaisie Impromptu“ von Frédéric Chopin, wobei sein ultraschnelles Solo die romantische Subtilität fast wegwischt. Eine kleine Schwäche, die im Titelsong durch ein verblüffendes Gitarre-Bass-Duell ausgeglichen wird. Hier ist nur noch anzumerken: Tri-Oh!, denn die Gegenwart ist voller Trio-Überraschungen, die man nicht verpassen sollte. (GLM)

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!