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Foto: Juan Martin Koch
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Dynamische Lage – unbequem

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Nachschlag 2020/06
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In Sachen Corona-Pandemie sprechen nicht nur die medizinischen Expert*innen von einer dynamischen Lage. Was sie damit ausdrücken wollen, ist, dass sich die Zukunft nicht vorhersagen lässt und dass das Infektionsgeschehen immer wieder positive wie negative Entwicklungen auslöst. Ähnliches gilt für die Lage im Kulturbereich. Da scheint auch alles dynamisch zu sein. Welche Öffnungsszenarien sind im musikalischen Bereich möglich, welche verbieten sich nach wie vor?

Dynamisch ist die Entwicklung auch in Sachen finanzieller und institutioneller Hilfestellungen für den Kulturbereich. Während noch im Leitartikel der letzten Ausgabe erwähnt wurde, dass Bay­ern für die kommenden drei Monate 1.000 Euro für Mitglieder der Künstlersozialkasse als Zuschuss gewähren wollte, zeigt sich gegenwärtig: Ja, das stimmt, so ähnlich, jedenfalls manchmal, aber eher selten, also nur unter ganz besonderen Voraussetzungen, also gegebenenfalls auch nicht – auf jeden Fall allerdings nicht „so!“. Die Könnte-Bestimmungen verlieren sich in Wenn-das-dann-nicht-Vorgaben. Kurz gesagt: Wenn Kultur auf die administrative politische Verwaltung trifft, knirscht es ordentlich – mit dynamisch ansteigender Wut, häufig genug aber auch sehr leise auf Seiten der so Administrierten. Was eine Verwaltung gar nicht liebt, das ist nämlich Differenzierung, ist Vielfalt, ist Individualität. Was nicht in ein passend vorbereitetes Körbchen passt, das landet im zum Verstauben anheimgegebenen Korb für Sonderfälle, wofern nicht praktischerweise gleich im Papierkorb (elektronisch oder real, egal). Gewiss kann niemand Rettungsschuhe für jeden Fall schustern, aber sowohl deutlich zu kleine oder zu große wie auch zu enge oder zu weite Ersatzschuhe haben ein baldiges Stolpern und Fallen oder schmerzhafte Druckstellen der Akteure zur Folge. Geschmeidigkeit wäre gefragt.

Das ist in Bayern so, das ist aber in den anderen Bundesländern nicht viel anders. Differenziert und einzigartig sind dabei nur die Angebote der jeweiligen politischen Hilfsleistungen – unlustig kunterbunt zeigt sich da die Republik. So sehr sich die Bundesländer aktuell in den Lockerungsorgien überbieten, so knauserig zeigen sie sich bei stützenden Hilfestellungen für den Bereich, der für sie doch den siebten Himmel der Lippenbekenntnisse darstellt: den der Kultur und des Kulturstaats.

Zum Verhängnis wird diesem Bereich, dass er immanent Medium zwischenmenschlicher Kommunikation überhaupt ist. Und dass er zugleich von Menschen betrieben wird, denen manchmal eine ätzende Art von Hypertrophie zu eigen ist und bei der man gelegentlich meinen könnte, einige wollten da unbedingt über dann nicht mehr nur sprichwörtliche Leichen gehen – Gutsherren und -damen-Unarten manches Intendant*innen-Irrsinns, ob sie sich nicht die Hände waschen wollen oder in öffentlich-narzisstischen Selbstgesprächen von der Rettung des Grundgesetzes faseln.

Als Gegner werden dann Verwaltungsvorschriften von in der Tat geradezu apokalyptischen Hygienevorschriften ausgemacht – zum Beispiel wie Sitzplätze im Theater verteilt werden müssen (Studiengang: Einlassmanagement) oder wie häufig im Instrumentalunterricht bei einer bestimmten Grundfläche das Fenster in welchem Zeitraum zu öffnen ist –, die manche mit fast kreativ-krimineller Energie zu ihren Gunsten auslegen möchten. Das ist schade. Und das ist allererst unwürdig – von und für beide Seiten.

Die Gegnerin der Wirtschafts- und Kulturkrise ist nicht die Politik, der Gegner ist nicht ein anderer Wirtschaftsbereich und es ist auch nicht die Vielzahl der Kulturtreibenden von den sogenannten Solo(un)selbständigen bis hin zu den Tankern der Kulturindustrie. Der Gegner ist zu allererst ein bisweilen tödliches Virus und die Gegner sind im schlechtesten Fall wir uns selbst, wenn wir die Angelegenheit nicht in gesamtgesellschaftlicher Solidarität – vor allem aber in eben dieser unantastbaren menschlichen Würde durchstehen. Und nichts anderes ist doch Kultur als Ausdruck unserer Würde.

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