Hauptbild
Moritz Eggert. Foto: Juan Martin Koch

Moritz Eggert.

Hauptrubrik
Banner Full-Size

Lernen, originell zu sein

Untertitel
Absolute Beginners 2023/06
Publikationsdatum
Body

Kann man Originalität lernen? Sind Fantasie und Kreativität vermittelbar? Das sind die großen geheimen Fragen hinter jedem künstlerischen Unterricht. Wir sind uns sicherlich einig, dass für Originalität eine Form von Begabung notwendig ist. Diese Begabung ist aber in uns allen enthalten. Kinder zum Beispiel sind auf natürliche Weise originell, da sie den Schaffensprozess an sich noch nicht so reflektieren, wie es ein Erwachsener tut. Sie wollen nichts Bestimmtes mit ihrer Erfindung – sie urteilen nicht darüber und bewerten sie nicht. Gerade deswegen fällt es ihnen leicht, originell zu sein.

In dem Moment, in dem man aber das künstlerische „Handwerk“ lernt, gibt es alle möglichen Kriterien, nach denen man sich misst. Wie schneidet meine Erfindung im Vergleich zu anderen ab? Wie bewerten sie die Hörer? Wie mein Lehrer? Wie bewerte ich sie selbst? In diesem Stadium scheint es der einfachere Weg, etwas schon Vorhandenes zu kopieren, denn dann gibt es klare Kriterien, nach denen ich „gut“ oder „schlecht“ bin.

In Asien ist der gesamte künstlerische Unterricht eher auf Imitation aufgebaut. Ein Kompositionsprofessor gibt klare Vorgaben: „Komponiere wie Lachenmann“ oder „Komponiere wie Bach“. Das Ergebnis ist dann bewert­bar, es ist dem Original entweder besonders ähnlich (also „gelungen“) oder eher unähnlich („Aufgabe nicht erfüllt“). Auf diesen pädagogischen Grundfesten beruht der gesamte Unterricht, daher ist es gerade für asiatische Studierende erst einmal sehr verwirrend, in Europa zu studieren, denn hier tendieren Lehrende eher dazu, den „eigenen Ton“ bei den Studierenden zu fordern. Weder Lehrerin noch Schüler wissen aber in diesem Moment, was der „eigene Ton“ ist, denn das muss ja noch herausgefunden werden. Daraus folgt eine große Verunsicherung, die aber künstlerisch produktiv ist.

Ich als Lehrer bin zum Beispiel dem künstlerischen Scheitern gegenüber gnädig, wenn etwas gewagt wurde, denn künstlerische Arbeit birgt immer Risiken. Wer sich nie auf unsicheres Terrain wagt, wird nie etwas Neues finden. Und auch das Scheitern kann Teil eines Lernprozesses sein, bei dem man das Eigene findet. Die Imitation dagegen will das Scheitern – in Asien würde man vielleicht vom „Gesichtsverlust“ sprechen – möglichst vermeiden, denn wenn man etwas imitiert, das schon künstlerisch erfolgreich war (zum Beispiel Lachenmann), ist man da auf der sicheren Seite.

Oder auch nicht, zumindest in Europa, denn genau dieses mit sicherer Hand Imitierte ist das, was am wenigsten Interesse erweckt und als redundant empfunden wird. Wir denken bei Lachenmann immer mit, gegen welche Widerstände diese Musik errungen wurde, wie auch Risiken eingegangen wurden, Widerspruch ausgehalten wurde. Fehlt dies, ist es reines Kunsthandwerk. Man erntet mit einer Imitation vielleicht ein wenig akademischen Respekt, aber die hunderttausendste Kopie von etwas schon Vorhandenem wird in unserer Individualität und Originalität besonders belohnenden Gesellschaft kaum jemand hinter dem Ofen hervorlocken.

Diese Diskussion ist immer sehr heikel, weil man schnell eine eurozentrische Haltung einnimmt, die auch arrogant sein kann. Natürlich sind asiatische wie auch europäische Studierende exakt gleich begabt. Es gibt originelle asiatische Studierende, wie auch eher imitierende und nachahmende Studierende aus Europa. Ich hatte schon Bewerber aus Frankreich, deren größter Wunsch es war, exakt so wie im Jahre 1900 zu komponieren und die auch nur dies lernen wollten. Es wäre aber auch falsch, einen grundsätzlichen Unterschied im Unterrichtsansatz komplett zu ignorieren, denn als Lehrer muss ich ja verstehen, wie ausländische Studierende jeweils geprägt wurden, und was ich ihnen noch vermitteln kann. Bewerberinnen aus den USA oder Südamerika muss ich zum Beispiel nicht erklären, dass Originalität und ein eigener „Stil“ wichtige Ziele sind, da sie dies auch zuhause so vermittelt bekamen.

Letztlich muss ich aber immer Originalität und künstlerisches Risiko fordern, denn genau unter diesen Prämissen ist die Musik entstanden, wegen der die Studierenden aus dem Ausland nach Europa gekommen sind. Und nur als originelle und kreative Stimmen haben sie hier eine Aussicht auf Aufmerksamkeit und künstlerischen Erfolg.

 

 

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!