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Titelseite der nmz 2015/06.
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Lügen-Poker?

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Theo Geißler über die aktuelle Situation bei TTIP
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Starten wir aus bestimmten Gründen mal mit Aussagen, die unsere Kanzlerin Angela Merkel nicht gemacht hat: „Musik- und Kunstunterricht soll in unseren Schulen den gleichen Stellenwert einnehmen wie die sogenannten MINT-Fächer.“ Oder: „Die kulturelle Entwicklung unseres Landes ist für die Zukunft mindestens genau so wichtig wie die wirtschaftliche oder technologische“. Nun lassen wir echte Statements aus ihrem Munde oder Vertretern des Kanzleramtes folgen: „Mit mir wird es keine PKW-Maut geben“ – „Abhören unter Freunden geht gar nicht“ – „Ein Anti-Spy-Abkommen mit unseren amerikanischen Freunden ist auf dem besten Wege“.

Kann man sich beim zeitgenössischen Polit-Sprech folglich eher auf das verlassen, was nicht verlautet wurde? Dieser Eindruck drängte sich kräftig auf beim vom Deutschen Kulturrat veranstalteten „Tag gegen TTIP“, gegen das in dubiosen Verhandlungen befindliche deutsch-amerikanische Freihandelsabkommen. Der Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Energie, Matthias Machnig, natürlich SPD, bewies stracks hohe Kampagnen-Kompetenz. Er ließ eine Plakatwand samt Kamerateam herankarrren, auf der er den Tagungs-Claim „Kultur braucht kein TTIP“ psychologisch feinfühlig in „Kultur braucht keine Angst“ umfirmierte.

Angst und Bange konnte einem aber werden angesichts der euphemistischen, seifenblasig schillernden Worthülsen und Versprechungen, die Machnig, fleißig flankiert vom Vorsitzenden des Ausschusses für Internationalen Handel des Europäischen Parlaments namens Bernd Lange absonderte. Starkdeutsch werde er dafür sorgen, dass die Investitionen in Theater und Orchester, in die Rundfunkanstalten unangetastet blieben. Ebenso die Buchpreisbindung und das autorenfreundliche europäische Urheberrecht. Künste und Kultur spielten in den Verhandlungen überhaupt keine Rolle. Wofür man freilich auf Dauer keine Garantie abgeben könne. (Die Zeiten ändern sich halt ebenso schnell wie die amerikanischen Marktgiganten Google, Amazon und Apple wachsen.) Und im Hintergrund glaubte man kratzige Stimmchen zu hören: „Eine Maut wird es mit mir nicht geben …“.

In Bremen brachten soeben die Bürgerinnen und Bürger so wenig Vertrauen in die Politik auf, dass grademal noch 50 Prozent zur Wahl gingen. Vertrauensverlust in die Regierenden ist ein guter Grund, Existenzangst zu bekommen. Zumal wirkliche Wahl-Alternativen eigentlich überhaupt nicht zur Verfügung stehen. In all unseren Parteien sitzen die Pinocchios mit der langen Holznase zuhauf. Und wenn ihre feinen Pläne und Versprechungen im vierjährigen Maikäfer-Rhythmus dann laut und gefräßig dem rasch nahenden Karriereende entgegenbrummen, haben sie ihren Paarungsakt leider meist erfolgreich vollzogen. Zeit für die Engerlinge im Parteien-Humus, sich auf die nächste verlogene Kurzflug-show mental und versehen mit einem Schächtelchen hochflexibler Argumentationen vorzubereiten.

Nebenbei: Es gibt biologische Wunder: Manche Maikäfer leben – meist dank Kältestarre – mehr als zwölf Jahre. Das nennt man „Wiederwahl“ …

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