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Hochschulaufführung unter Coronabedingungen: Mozarts „Zauberflöte“ an der Hochschule für Musik und Theater München. Einen Beitrag über die aktuelle Situation von Gesangsstudierenden finden Sie im Hochschulmagazin. Foto: Jakob Schad
Hochschulaufführung unter Coronabedingungen: Mozarts „Zauberflöte“ an der Hochschule für Musik und Theater München. Einen Beitrag über die aktuelle Situation von Gesangsstudierenden finden Sie im Hochschulmagazin. Foto: Jakob Schad
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Musikstudierende schlagen Alarm

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Ein Gespräch mit zwei Verfasserinnen des Brandbriefs der Studierendenschaften der deutschen Musikhochschulen
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„Rettet die Musik!“ prankt in roten Großbuchstaben fett am Kopf des Brandbriefs. Insgesamt 18 der 24 ASten deutscher Musikhochschulen haben unterzeichnet. Sie fordern Aufstockungen der Ausstattung, der Räume und des Personals, aber auch dass Kultureinrichtungen und Musikhochschulen bei der Planung aktueller Öffnungsschritte schneller einbezogen werden. Ebenso auf der Agenda stehen eine transparente Bewertung und die Einrichtung von Beschwerdestellen. Darüber hinaus sollen zusätzliche Stellen in der Musikbranche geschaffen werden – Freischaffende sollen finanziell besser unterstützt werden und weniger Bürokratieaufwand aufgebürdet bekommen.

Die neu zusammengekommenen „Studierendenschaften der deutschen Musikhochschulen“ – kurz StuM – initiierten den Brandbrief, der anschließend an weitere ASten zur Unterzeichnung geschickt wurde. Unterstützung gab es vom freien zusammenschluss von student*innenschaften (fzs). Carlotta Kühnemann vom fzs ist keine Musikstudentin, aber hat am Brandbrief mitgearbeitet – ebenso wie Malwine Nicolaus, die in Bremen Gesang studiert. Sie ist schon länger hochschulpolitisch tätig, gerade in ihrer zweiten Amtszeit als AStA-Vorstand sowie landespolitische Sprecherin.

neue musikzeitung: Wie kam es zum Brandbrief und zum Zusammenschluss der StuM?

Malwine Nicolaus: Es gab im August 2020 einen Aufruf der Hamburger Musikhochschule zum Thema: NDR Chor erhalten. Daraufhin haben wir uns Ende letzten Jahres zusammengetan und entschieden, uns bundesweit auszutauschen, weil wir gemerkt haben, dass die Probleme an allen Musikhochschulen sehr ähnlich sind und ähnlich gehandhabt werden müssen – gerade die Probleme jetzt während Corona, aber auch die, die schon davor existiert haben. Musikhochschulen haben im Hochschulraum generell einen Sonderstatus: Der Einzelunterricht, die Aufnahmeprüfung, es gibt sehr wenige Plätze für sehr viele Bewerberinnen und da entstehen einfach eigene Probleme. Und als wir das gemerkt haben, haben wir einfach kurzerhand alle Musikhochschulen angeschrieben,  um ein erstes gemeinsames Treffen zu initiieren, wo wir uns über diese Probleme ausgetauscht haben. So ist StuM entstanden: auf diesen Namen haben wir uns geeinigt.

nmz: Also ist StuM der Dachverband über den die kleineren Gruppen organisiert sind?

Nicolaus: Genau also wir sind noch am Anfang vom Organisieren. Das erste Treffen fand im Januar statt und seitdem hat sich einiges getan, aber es ist natürlich schwierig, so eine Struktur erstmal zu schaffen. Demokratische Strukturen zu schaffen ist sehr schwer. Noch gibt es keine digitale Infrastruktur, keine Website und Mail-Adressen. Das kommt alles noch.

Carlotta Kühnemann: Man hat auch gesehen an den Reaktionen auf den Brandbrief, die wir erhalten haben, dass so ein Aufschrei von den Studierenden wirklich notwendig war,, weil das vorher scheinbar nicht stattgefunden hat.

nmz: In dieser Ungewissheit war es ja auch schwierig, sich zu positionieren. Bei einigen Gruppierungen ist es schließlich schief gelaufen.

Nicolaus: Die Debatte zum Thema mehr Präsenzunterricht war sehr schwierig. Selbstredend wollen wir das, aber nicht um jeden Preis, sondern nur unter den selben Regelungen, die für alle anderen auch gelten. Das heißt nicht, dass es unmöglich ist, Forderungen zu stellen.

Kühnemann: Deswegen haben wir zum Beispiel auch keine Öffnungen gefordert, also etwa dass sofort alle Kulturbetriebe wieder öffnen sollen, sondern sehr bewusst so formuliert, dass der Brandbrief eben nicht instrumentalisiert werden kann.

nmz: Der fzs hat die Anliegen der Musikstudierenden unterstützt. Sie haben an dem Brief mitgeschrieben. Wie ist es zu dieser Zusammenarbeit gekommen?

Kühnemann: Uns war wichtig, dass auch mal auf die Musikstudierenden gehört wird. Deswegen unterstützen wir auch die Bestrebungen, einer engeren Vernetzung. Momentan bieten wir die Infrastruktur mit unserer Website und unserem Verteiler. Aber auch in Zukunft werden wir den stetigen Ausbau weiterhin unterstützen. Die Hochschule für Musik Dresden ist Mitglied des zfk und hat uns auf die Vernetzung aufmerksam gemacht  und gefragt, ob wir nicht dazu kommen wollen.

nmz: Vernetzung ist ein großes Thema unserer Zeit – findet unter den Studierenden allgemein seit Corona mehr davon statt?

Kühnemann: Es gibt aktuell eine große Kampagne, nicht nur vom fzs, sondern auch von Parteijugenden, wie den Jusos, der Grünen Jugend und der Linksjugend Solid, aber auch von Gewerkschaften, bei der es darum geht, eine BAföG-Reform einzufordern: Weniger Bürokratie und zurück zum Vollzuschuss. Der Name ist: „50 Jahre BAföG – kein Grund zum Feiern“. Dieses Bündnis ist von uns initiiert. Ansonsten machen wir aktuell auch ziemlich viel zur Überbrückungshilfe, weil da auch einiges schief läuft. Also da ist gerade sehr viel in Bewegung, war es aber auch schon in den letzten Jahren mit den Aktionen gegen Studiengebühren oder die Regelstudienzeit.

Nicolaus: Dass es normaler geworden ist, so ein Video-Meeting zu führen, wie wir es gerade tun, macht den Austausch auf Bundesebene natürlich auch einfacher.

nmz: Wie kamst Du zu dieser Tätigkeit?

Nicolaus: In meiner hochschulpolitischen Arbeit habe ich gemerkt: Es geht eigentlich immer sehr viel um die Verwaltung – also wenig um den Inhalt und viel um die Form. Bei den ganzen Öffnungsschritten waren die Fragen etwa: Wer darf in die Hochschule? Welche Räume dürfen von wie vielen Leuten belegt werden und was darf man darin machen? Singen oder nicht Singen? Blasinstrumente spielen? Das hat natürlich dazu geführt, dass man immer mehr Anfragen rausgesendet hat an andere Musikhochschulen und gefragt hat: Wie ist das eigentlich bei euch? So hat sich das entwickelt. Der Austausch hat sich als sehr großer Mehrwert herausgestellt. Die meisten, die Hochschulpolitik machen, haben ein paar Themen, mit denen sie nicht einverstanden sind, wie sie an der Hochschule funktionieren oder eben nicht funktionieren. Das ist oft die Kernmotivation von Hochschulpolitik, was ich sehr schade finde. Denn ich glaube es ist auch für Lehrende und eine Hochschulleitung wichtig, immer wieder gespiegelt zu bekommen, ob das was sie machen eigentlich den Leuten entspricht, für die das Studium eigentlich da ist. Finden die das überhaupt gut oder nicht? Dieser Spiegel kann sehr wertvoll sein, denke ich.

nmz: Ihr habt viel über Parallelen und Ähnlichkeiten gesprochen, die man durch Vergleiche feststellt, aber es gibt ja auch sicher Unterschiede.

Nicolaus: Die gibt es auf jeden Fall. Wie an allen anderen Lehrstätten auch haben wir dieses Problem hier, dass vieles auf Landesebene geregelt ist und die Hochschulgesetze unterschiedlich sind – auch für Corona spielt das natürlich eine große Rolle, da viele Maßnahmen auf Landesebene geregelt wurden. Das heißt: Man konnte sich zwar vergleichen, aber manchmal gab es den Spielraum einfach nicht, so vorzugehen wie andernorts.

Kühnemann: Es gibt ja zum Beispiel auch in manchen Ländern Studiengebühren und in anderen nicht, also für internationale Studierende. Das ist ja ein großer Faktor und wahrscheinlich  hat das auch Einfluss auf die Finanzierung der Hochschulen. Die Bildungspolitik ist in vielen Teilen ein Chaos. Deswegen gibt es ja zusätzlich noch die verschiedenen Landesstudierendenvertretungen, die dann speziell für ihre Bundesländer die Regelungen kennen und da versuchen, Einfluss auszuüben auf die Bildungs- oder Wissenschaftspolitik. Auf Bundesebene ist eigentlich gar nicht so viel zu regeln. Das ist auch, was wir im Brandbrief versucht haben, unter einen Hut zu bringen: Dass es Forderungen an die einzelnen Landesregierungen sind, aber eben auch an die Bundesregierung. Wir haben uns ja nicht nur auf die Situation im Musikstudium bezogen, sondern eben auch auf die Perspektive danach, die von Musiker*innen.

nmz: Zurück zu StuM: Was wurde bisher organisiert?

Nicolaus: Wir hatten bisher drei Treffen, in denen wir zusammengetragen und protokolliert haben, was an den Musikhochschulen abläuft. Natürlich stehen wir alle auch außerhalb davon ständig im Austausch. Außerdem gibt es schon Untergruppen zu Bereichen wie Nachhaltigkeit und Antidiskriminierung, was ja auch nochmal in unserem Brief ein wichtiges Thema ist. An Musikhochschulen ist es schwerer für die Studierenden laut zu werden, denn es sind keine riesigen Universitäten, sondern kleinere Einrichtungen. Wenn man Einzelunterricht hat und in direkter Abhängigkeit zu seinen Lehrenden steht, ist das nochmal eine ganz andere Sache, irgendwas zu sagen. Diese Community, dieser ganze Musikbereich, ist so klein, dass sich vieles schnell rumspricht. Und deswegen ist es denke ich so ein großes Herzensanliegen, dass es da eine zentrale Stelle gibt, die das ausspricht, damit man sich nicht als Einzelperson angreifbar machen muss. Auch Fairness ist ein großes Thema – da ist die große Frage: Wie bewertet man eine künstlerische Leistung und wie lässt sich da Fairness herstellen? Damit setzen sich glaube ich alle Lehrenden, alle Studierenden in ihrem Leben auseinander. Es ist praktisch unmöglich, eine künstlerische Leistung in einer Note zusammenzufassen. Dann sind die Maßstäbe innerhalb der Hochschule oft schon so unterschiedlich, dass man eigentlich keinen bundesweiten Vergleich erreichen kann. Es geht auch darum, weiterhin diesen Schutzraum Hochschule für angehende Künstlerinnen und Künstler zu erhalten, weil das eine Möglichkeit für Entwicklung und Fehler bietet – im Berufsleben ist das oft nicht mehr da. Ich glaube das ist sehr wertvoll und immer mehr verloren gegangen in den letzten drei Semestern – vielleicht schon etwas länger – gerade durch zunehmende Digitalisierung.

nmz: Wie ich das verstehe, möchtet ihr auch eine Art unabhängigen Reflektionsraum für Studierende bieten. Geht es dabei auch um eine Art „Seelsorge“, die gerade während Corona so wichtig geworden ist?

Nicolaus: Absolut – und ich möchte gleich anfügen: Seelsorge nicht nur für Studierende, sondern vielleicht auch für Lehrende.

nmz: Was steht bei StuM als Nächstes an?

Nicolaus: Wir stehen mit den Plänen natürlich noch am Anfang. Es gibt jetzt erstmal viel Organisatorisches: Es bildet sich eine Gruppe, die weitere Treffen organisiert, eine die eine digitale Infrastruktur aufbaut, vielleicht eine Website, ein Logo – Dinge, die man einfach braucht um eine Öffentlichkeit zu erreichen. Dann möchten wir die Themen angehen, die uns zusammengebracht haben, wie die Anrechnung von Hauptfachunterrichten in den Semestern mit Corona, der eben nicht oder nur online gegeben werden konnte. Dieses Ansammeln von nicht gegebenem Unterricht staut sich ja irgendwann auf. Und in ein paar Semestern muss das nachgeholt werden – verschiedene Hochschulen gehen damit sehr unterschiedlich um. Eine generelle Sache sind auch Aufnahmeprüfungsgebühren an den Hochschulen. Sich deutschlandweit zu bewerben ist einfach teuer. Das macht dieses Studium noch ein Stückchen elitärer. Ich glaube, das Hauptanliegen ist, dieses Musikstudium einfach fairer und gerechter zu gestalten und für all die zugänglich zu machen, die dort ihr Talent ausbilden können. Und ich glaube, bisher ist das einfach nicht der Fall gewesen. Viel zu viel läuft über persönliche Kontakte, über private Vorsingen, bevor man sich bewirbt. So läuft das halt und wenn man das nicht weiß, dann kommt man nicht so gut rein, außer man hat Glück. Und das sollte so nicht sein.

Kühnemann: Es geht auch erstmal darum, Öffentlichkeit zu schaffen. Über Musikstudierende wurde vorher nicht geredet und jetzt auf den Brief haben wir schon Rücklauf bekommen, das ist natürlich gut. Interessant ist, dass teils auch überraschte Meldungen kamen, die gefragt haben: „Wie? Das ist ein Problem für Euch? Das haben wir ja gar nicht gewusst.“ Das zeigt, wie wichtig es ist, ein Sprachrohr zu haben. Wir wollen auch unterstützen, wenn es darum geht: Wie trete ich meiner Hochschulleitung gegenüber? Woher kommt dann das Selbstbewusstsein? Wie bereite ich mich vor?

Nicolaus: Die vielen durch Corona verlorengegangenen Unterrichte sind die eine Seite. Zum Quantitätsverlust kommt aber noch ein Qualitätsverlust, da die Lage natürlich auch die Lehrenden auslaugt, die dann womöglich nicht mehr so gut unterrichten können. Eine große Gefahr ist: Wenn die Lage zu lange schlecht ist, weiß man irgendwann gar nicht mehr, was einem aus der Zeit vor der Pandemie fehlt. Und es gibt schließlich schon viele Studierende, die das Studium nur mit Corona kennen.

  • Das Gespräch führte Konstantin Parnian

Dem Machtgefälle entgegenwirken – Auszüge aus dem „Brandbrief“ der Studierendenschaften

„[…] Neben mangelndem Unterricht fehlt uns vielerorts die Möglichkeit zu üben. Schon vor der Pandemie fehlte es an Räumlichkeiten und Ausstattung an den Musikhochschulen, insbesondere auch beim Personal.

[…] Willkürliche oder unzutreffende Beurteilungen können im Nachhinein selten von den Studierenden eingesehen oder nachvollzogen werden. Um diesem Machtgefälle entgegenzuwirken und für mehr Transparenz bei der Bewertung zu sorgen, fordern wir Studierende als Beisitzer*innen in Prüfungen.

[…] Vor allem der Unterricht im […] Hauptfach hat sich durch pandemiebedingte Einschränkungen, allem voran fehlender Präsenzlehre, maßgeblich und vielleicht nachhaltig verändert. Dies bedeutet unter Umständen massiven Qualitätsverlust für Musikstudierende in Lernen und Lehre. Möglichkeiten der anonymen, regelmäßigen Lehrevaluation sind kaum gegeben. Viele Lehrende nehmen sich, auch unter normalen Umständen, einen großen individuellen Spielraum in ihrer Unterrichtsgestaltung und -häufigkeit heraus, der in der Regel von den Dekanaten nicht kontrolliert wird.

[…] Studierende trauen sich auf Grund des starken Abhängigkeitsverhältnisses zu ihren Lehrenden im Einzelunterricht häufig nicht, Beschwerden einzureichen oder das Gespräch mit ihren Lehrenden zu suchen. Die Angst, nach öffentlicher Kritik an Lehrenden im Studium oder dem Berufseinstieg benachteiligt zu werden, ist weit verbreitet. Wir fordern die Möglichkeit einer anonymen Lehr­evaluation sowie anonyme Beschwerdestellen.

[…] Die institutionelle Verankerung von Kunst und Kultur ist auch für Musikstudierende enorm wichtig. […] Es gilt diese staatlichen Förderungen nicht nur zu erhalten, sondern auszuweiten.

[…] Zudem existieren bundesweit, aber auch innerhalb der Hochschulen extreme Unterschiede in Quantität und Qualität der Lehre. So haben wir zum Teil mit Verweigerungen von Unterricht oder fortschreitender Verschiebung auf einen späteren Zeitpunkt zu kämpfen. Dies wird mancherorts durch schlechte Kommunikation und wenig Transparenz über die ergriffenen Maßnahmen verstärkt.

[…] Die meisten Musikstudierenden bereiten sich […] auf die Selbstständigkeit vor. Nicht selten handelt es sich dabei um Arbeit als Solokünstler*in oder in freien Ensembles. Um diesen Berufszweig und damit auch die reiche Kulturlandschaft nachhaltig zu erhalten, bedarf es einem Ausbau staatlich finanzierter Strukturen […]“

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