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Udo Zimmermann (1943–2021). Foto: Charlotte Oswald
Udo Zimmermann (1943–2021). Foto: Charlotte Oswald
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Mutiger Macher und bekennender Europäer

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Zum Tode des Komponisten, Dirigenten und Intendanten Udo Zimmermann
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Verstummt war er schon lange, nun hat Udo Zimmermann seinen Frieden gefunden. Erinnerungen an ein unruhevolles Leben, das geprägt war von Schöpfertum und Schaffensdrang.

Udo Zimmermann hat sich stets in Personalunion als Komponist, Dirigent und Intendant gesehen. Er hatte den Drang zum Macher in sich, war ein unruhiger Geist, der immer wieder Impulse geben und sich – auch gesellschaftlich – einbringen wollte. Gut möglich, dass dies an seiner Herkunft lag: Im Dresdner Herbst des Jahres 1943 geboren, hatte er sein Leben lang das Dunkel dieser Zeiten vor Augen. „Nie wieder!“ schien das beständige Postulat des in einer musischen Familie aufgewachsenen Udo Zimmermann in all seinen künstlerischen Schaffensjahren zu sein. Schon frühzeitig zog es ihn als Mitglied des Dresdner Kreuzchores – seinerzeit vom legendären Rudolf Mauersberger geleitet – zum Komponieren. Folgerichtig absolvierte er ein Kompositionsstudium, belegte zudem aber auch die Fächer Dirigieren und Gesang.

Beizeiten war Udo Zimmermann für seine Umtriebigkeit bekannt, wurde Assistent von Walter Felsenstein und wirkte später als Dramaturg für zeitgenössisches Musiktheater der Dresdner Staatsoper. Zur Wiedereröffnung der Semperoper erklang 1985 Zimmermanns Komposition „Brennender Friede“ als choreografische Uraufführung von Harald Wandtke.

Neben zahlreichen Vokal- und Instrumentalwerken machte sich Zimmermann vor allem mit seinem Musiktheater einen Namen. Insbesondere die Kammeroper „Weiße Rose“, in der das Schicksal der Geschwister Scholl als warnende Mahnung gegen Diktatur und Gewalt thematisiert wird, geriet zu einer seiner bekanntesten Arbeiten. Mit weltweit mehr als 200 Inszenierungen zählt sie bis heute zu den am häufigsten aufgeführten Gegenwartsstücken. In Ost und West wurde Udo Zimmermann aber auch mit Opern wie „Levins Mühle“ (nach dem gleichnamigen Roman von Johannes Bobrowski), „Der Schuhu und die fliegende Prinzessin“ (nach dem Märchen von Peter Hacks) und „Die wundersame Schustersfrau“ (nach Federico García Lorca) bekannt. Während „Levin“ und „Schuhu“ in Dresden uraufgeführt worden sind, kam die „Schustersfrau“ 1982 in Schwetzingen heraus und wurde die heute noch aktuelle Neufassung der „Weißen Rose“ in Hamburg uraufgeführt.

Zimmermann dirigierte namhafte Klangkörper wie das Gewandhausorchester Leipzig und die Dresdner Staatskapelle, aber auch die Berliner Philharmoniker sowie die Wiener Symphoniker sowie diverse Rundfunkorchester. Bereits vor der deutschen Wiedervereinigung richtete der Künstler von Dresden aus seinen Blick über die einstigen Grenzen des Landes, orientierte sich sowohl an der ost- als auch an der westeuropäischen Avantgarde. Insbesondere die Aufbrüche in Polen verfolgte er und betätigte sich als Vermittler des Neuen, so etwa am 1974 gegründeten „Studio Neue Musik“, das er 1986 zum Dresdner Zentrum für zeitgenössische Musik weiterentwickelte. Das 2004 daraus hervorgegangene Europäische Zentrum der Künste Hellerau leitete er bis 2008 als Intendant. Bereits ab 1985 war er zudem als Wanderer zwischen den Welten tätig und stand der Werkstatt für zeitgenössisches Musiktheater an der Bonner Oper vor.

Als bekennender Europäer gelang es Udo Zimmermann, der von 1990 bis 2001 Intendant der Oper Leipzig gewesen ist, dieses Haus unter dem selbstbewussten Motto „Oper im Aufwind“ zu einem Hort der Moderne zu entwickeln. Ein Hamburger Nachrichtenmagazin würdigte diese Ambitionen mit dem anerkennenden Schlagwort eines „Hochstaplers auf der Rostkutsche“. Denn in schwierigen Zeiten einer gesellschaftlichen Umbesinnung und verwaltungstechnischen Neuorientierung, was nicht zuletzt finanzielle Einschnitte mit sich brachte, gelang es ihm, die Leipziger Oper zu europaweiter Anerkennung zu führen. Insbesondere mit gewagten Uraufführungen, etwa von Jörg Herchet („Nachtwache“, „Abraum“), Dieter Schnebel („Totentanz“) und Karlheinz Stockhausen („Dienstag“ und „Freitag“ aus dem Zyklus „Licht“), wurde für Aufsehen gesorgt. Unvergessen bleiben die 300-Jahr-Feier der Oper 1993 mit István Szabós Sicht auf Mussorgskis „Boris Godunow“ sowie Produktionen von Ruth Berghaus, Peter Konwitschny, George Tabori und anderen namhaften Regiepersönlichkeiten.

Den glücklichen Jahren in Leipzig folgte eine schwierige, allerdings nur kurze Amtszeit als Generalintendant der Deutschen Oper Berlin, wo Zimmermann 2001 die Nachfolge von Götz Friedrich antrat. Doch von den dortigen Querelen ließ er sich nicht abschrecken und rief in seiner neuen Position das Festspielhaus Hellerau umgehend zum „Grünen Hügel der Moderne“ aus. Fortsetzen konnte er auch seine insgesamt 14-jährige Amtszeit als Künstlerischer Leiter der musica viva am Bayerischen Rundfunk, wo es rekordverdächtig zu 175 Uraufführungen kam.

Zudem wirkte Zimmermann, der 1992 die Freie Akademie der Künste zu Leipzig gegründet und fünf Jahre lang als Präsident geführt hat, von 2008 bis 2011 auch als Präsident der Sächsischen Akademie der Künste. Aufgrund all seiner Ämter und Aktivitäten kam der Vater dreier erwachsener Kinder kaum noch zum Komponieren, wollte aber ausdrücklich kein „schöngeistiger Verwaltungsbeamter“ sein. Zuletzt schuf er vor reichlich zehn Jahren ein für Jan Vogler geschriebenes Cellokonzert sowie ein Violinkonzert für Elena Denisova. Von seiner immer wieder aufgeschobenen Umsetzung des Romans „Mein Name sei Gantenbein“ von Max Frisch zu einer Oper hatte er sich da schon längst verabschiedet.

Seine letzten Jahre verbrachte Udo Zimmermann zurückgezogen in seinem Dresdner Haus, wo er von seiner dritten Ehefrau unermüdlich gepflegt wurde, seit er von einer unheilbaren Krankheit befallen worden war. Am 22. Oktober ist Udo Zimmermann im Alter von 78 Jahren friedlich entschlafen.

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