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Wolfgang Rihm. Foto: Ch. Oswald
Wolfgang Rihm. Foto: Ch. Oswald
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Rossini und Rihm in Wildbad

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Uraufführung von Wolfgang Rihms „Kolonos“
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Wer in der Musik des 19. Jahrhunderts nach Hölderlin-Vertonungen sucht, der wird kaum fündig – mit einer geradezu erstaunlichen Hartnäckigkeit haben ihm die Komponisten dieser Zeit die kalte Schulter gezeigt. Im 20. Jahrhundert hingegen hat sich dies grundlegend geändert. Ligeti, Henze oder Heinz Holliger seien stellvertretend genannt, an erster Stelle jedoch Wolfgang Rihm.

Bereits sein op. 1 berücksichtigt Hölderlins „Hälfte des Lebens“, und da Rihm, gleich Max Reger etwa, einmal verwendete Topoi oder Genres stets zu neuen unterschiedlichen musikalischen Gestalten weiterentwickelt (man denke an die Werktitel „Chiffre“, „Abgesangszene“ oder „Fetzen“), haben jetzt auch seine „Hölderlin-Fragmente“ ein weiteres Schwesterwerk erhalten, nämlich „Kolonos“. Sophokles war es, der über diesen Ort in der Nähe Athens berichtete: Ödipus, der sich das Augenlicht genommen hatte, war nach Kolonos gekommen, um von seinen Leiden erlöst zu werden.

Bereits Gioacchino Rossini hat dieses Sujet in seiner (unvollendeten) Schauspielmusik „Edipo a Colono“ aufgegriffen, welche nun im abschließenden Festkonzert von „Rossini in Wildbad“ konzertant dargeboten wurde. Ein größerer Kontrast als zwischen Rossini und Wolfgang Rihm lässt sich dabei kaum denken. Mit den Virtuosi Brunensis unter der versierten Leitung von Karel Mitas erlebte man im Kurhaus zu Wildbad einen Rossini-Ödipus, über den – unterstützt von einem kleinen Männerchor – ganz aus der Perspektive eines Erzählers berichtet wird. Was da jedoch mit der sonoren und kultivierten Bassstimme Lorenzo Regazzos übermittelt wurde, mochte kaum als Moment großer Tragik firmieren: Zu Beginn ein umfängliches Lob der schönen Natur. Wenn es dann dramatisch wird, gibt’s bei Rossini ein paar verminderte Septakkorde und Streichertremoli, aber bald darauf gackern die Holzbläser wieder wie zuvor, die Streicher tänzeln kokett und ein flotter Dreier-Takt vertreibt auch die letzten dunklen Wölkchen – Trauerarbeit auf italienisch.

Ganz anders die dreizehnminütige Vertonung Wolfgang Rihms. Hier haben wir es mit einem inneren Monolog zu tun, im Fokus steht das Schicksal eines Menschen an der Schwelle zu Alter und Tod. Mit größter Eindringlichkeit zeichnete der Altus Matthias Rexroth, fernab von jeglichem Pathos oder jedweder Veräußerlichung, ein erschütterndes Bild einer zerstörten Seelenlandschaft – Gefühle, Erinnerungen, Brüche, Träume. Eher reduziert auch die Klangfarben des begleitenden Kammerorchesters. Weiche, dunkle Klänge (etwa durch das Kontrafagott), die an Nachtmusik erinnerten. Wien 1910 lag in der Luft.

Oder doch nicht? Auf seltsame Art mischt sich in dieser Komposition eigentümlich Unverständliches mit Klängen, die auf beängstigende Weise vertraut sind. Die Wirkung auf das Publikum war ganz und gar unvermittelt und intensiv, und man darf diesem Werk wünschen und zutrauen, es möge ins Repertoire übergehen. Weit mehr nur als den habituellen Respekt des Publikums gab es für Wolfgang Rihms „Kolonos“ in Wildbad. Bedauern mochte man allein, dass dieses Werk an diesem Sonntagmorgen nicht unverzüglich wiederholt wurde.

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