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Serenitas mit Elementen aller Stilrichtungen

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Dem Komponisten Jürg Baur zu seinem 85. Geburtstag
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Am 11. November 2003 wurde der Komponist Jürg Baur 85 Jahre alt. Sein Geburtsort Düsseldorf blieb im Grunde sein Leben lang Zentrum seines musikalischen Wirkens. Zwischen 1937 und 1939 hatte er Unterricht bei Philipp Jarnach in Köln, die Studien setzte er dort nach russischer Kriegsgefangenschaft zwischen 1946 und 1948 fort und Baur ergänzte seine Ausbildung durch ein Studium der Musikwissenschaft in Köln (bis 1951). Schon ab 1946 wirkte er als Dozent am Robert- Schumann-Konservatorium in Düsseldorf, dem er nach Kantorentätigkeit an der Pauluskirche Düsseldorf zwischen 1965 und 1971 als Direktor vorstand. Als Nachfolger von Bernd Alois Zimmermann wirkte er von 1971 bis 1990 als Professor für Komposition in Köln.

Baur verfolgte stets mit kritisch wachem Verstand die Neuerungen der musikalischen Moderne nach 1950 (sie wurden ja „vor Ort“ diskutiert, Köln war ein Zentrum der Auseinandersetzungen um Serialismus, Elektronik oder musikalische Collagetechniken). Für ihn aber waren andere Wurzeln entscheidender: Sein Werk knüpft an Hindemith, Bartók, Strawinsky und diverse neoklassizistische Bestrebungen an. „Ich war nie Avantgardist in extremer Art und Weise, wollte Neue Musik schreiben, welcher der ‚normale’ Hörer zu folgen vermag, einen tiefen Zusammenhang darin erkennt und sich davon angerührt fühlt. Aber ich habe viele neue Techniken in die eigene Tonsprache und Klangvorstellungen einbezogen, zum Teil sogar sehr streng (dodekaphone Strukturen, serielle Ordnungen auf den Spuren von Schönberg und Webern). Im Bereich der Blockflötenmusik um 1960 war ich sicher einer der ersten Avantgardisten – , aber nur solange es streng geformte, ausdrucks- und spannungsvolle Musik blieb“, äußerte er noch jüngst in einem Gespräch. Baur ging seinen eigenen Weg, spielerische Serenitas, durchsetzt mit Elementen aus scheinbar divergierenden Stilmitteln bis zum Jazz und der Tanzmusik, blieb ihm stets Orientierungspunkt. Vor allem in den letzten 30 Jahren traten intensive Auseinandersetzungen mit kompositorischen Charakteren der Tradition hinzu. Begegnungen und hommageartige Werke über Gesualdo, Schumann, Mozart, Schubert, Bartók, Johann Strauß (Sohn) oder Ravel mischten sich in die eigene Sprache. Die Freude an kenntlich machenden Verbiegungen, an diskursiven Amalgambildungen war die Basis solcher Näherungen.

Zu Jürg Baurs Orchesterwerken „als Dialog zwischen Tradition und Moderne“ ist nun im Verlag Dohr eine Dissertation von Lars Wallerang erschienen (woraus auch das obige Zitat Baurs stammt). Sie zerfällt in zwei Teile: Zunächst wird belesen auf Praktiken des Zitierens innerhalb der musikalischen Avantgarde von Schnebel, Lachenmann, Henze, Berio, B.A. Zimmermann, Gubaidulina, Rihm, Kagel, Nikolaus A. Huber, Schnittke oder Zender verwiesen. Der Leser bekommt einen Abriss verschiedener kompositorischer Näherungen ans Zitat, der sich freilich im Wesentlichen auf ein Zusammentragen von Untersuchungen über die entsprechenden Komponisten beschränkt. Auf den Begriff der Postmoderne wird fokussiert, ohne ihn freilich zu verdichten.

Dem stehen Baurs Orchesterarbeiten über Schumann, Mozart, Schubert oder Gesualdo im Grunde fern. Es sind Reflexionen im traditionellen Sinne, nicht aber aus einem postmodernen Geiste heraus, der die Prinzipien der Moderne offensiv zurückzudrängen sucht (auch zu vielen Ansätzen der genannten anderen Komponisten steht der Begriff Porstmoderne übrigens schief). Baur ist sich dessen bewusst und hat das Attribut für sein musikalisches Denken im Wesentlichen abgelehnt. Er dachte daran fortzuschreiben, was von der seriellen Seite her vernachlässigt wurde: ein Verständnis der Musik als spielerischen Akt. So hatte er einmal formuliert: „...das, was das eigentliche Wesen der Musik ausmacht, Klang, Form, Ausdruck, entzieht sich der Verbindung mit sozialer Ideologie. Die Neue Musik sollte vielmehr, kraft ihrer besonderen Tonsprache, sich bemühen, nicht das vordergründige Zeitgeschehen (wenn auch noch so verschlüsselt und verfremdet) wiederzugeben und wiederzuspiegeln, sondern zu überhöhen – und dabei Ausdruck des Humanen, Tröstenden, ja sogar des poetisch Heiteren (natürlich auch des schmerzvoll Verzweifelten) zu finden... Es geht letzten Endes nicht um Konstruktion und System, sondern um das Wesen der Dinge – Dinge, die den fühlenden und denkenden Menschen ansprechen, erreichen und bewegen wollen.“

Unter diesen Aspekt hat Jürg Baur sein ganzes Schaffen gestellt.

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