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Cantus-Bahn. Foto: Hufner
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Cluster 2017/06 - Gordon Kampe
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Bestimmt kennen Sie diese seltenen Momente, an denen irgendetwas geschieht, das Sie nicht recht verstehen oder deuten wollen. Da sitzt man da, runzelt die Stirn, macht große Augen, wird plötzlich angefasst, vielleicht sogar getroffen. Das kann eine Erkenntnis sein oder Musik – oder aber der alte Herr, den ich neulich im ICE-Bistro traf: Wie an 82 Prozent aller Tage trug ich ein Sakko und ein weißes Hemd. Neben mir lag lediglich eine Zeitung, ich tippte auf meinem Handy herum und hatte keine weiteren berufsmäßigen Attribute bei mir – kein Klavier, kein Mahler-Handbuch, keine Partitur, nicht einmal mein Schickimicki-Notizbuch.

Der Herr gegenüber – er hatte einen Kamillentee mit Grog geordert und war sichtlich enttäuscht, dass die Bahn derlei nicht führt – musterte mich, lächelte gelegentlich. Dann sagt er: „Sie sind Wissenschaftler.“ – „Ja!“ antwortete ich. „Etwas stimmt nicht, vielleicht sind Sie doch Künstler?“ Woran er bitteschön derlei erkennen könne, fragte ich ziemlich irritiert. „Sie sind vermutlich Musiker. Ich bin pensionierter Psychiater. Ich kenne solche Leute.“ Pff … jetzt kommt sicher wieder „brotlose Kunst“, nörgelte ich still in mich hinein. Da sagt er: „Hören Sie, ich bereite mich auf den Tod vor. Sie und ihre Kollegen haben es in der Hand, dass die Welt eine Zukunft hat. Sagen Sie das bitte weiter!“ Sprach‘s, bezahlte und stieg aus.

Hoffentlich nimmt die Deutsche Bahn bald Kamillentee mit Grog in ihr Sortiment auf, vielleicht fährt jener Herr dann häufiger mit der Bahn. Hoffentlich treffen Sie ihn.

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