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„Die Reise nach Brasilien“ mit Olivia Trummer (li.) und Marit Beyer. Foto: Koch
„Die Reise nach Brasilien“ mit Olivia Trummer (li.) und Marit Beyer. Foto: Koch
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Wie vermittelt man eigentlich eine Preisverleihung?

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Der „junge ohren preis“ 2010 wurde beim Bayerischen Rundfunk in München vergeben
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Da waren sie also wieder einmal versammelt, die „furchtbaren Vermittler“ (Holger Noltze, siehe nmz 11/2010). Wobei die Versammlung so groß nicht war, die sich da im Studio 1 des Bayerischen Rundfunks anlässlich der Verleihung des „junge ohren preis“ 2010 eingefunden hatte. Mit einigem Wohlwollen zählte man tagsüber drei Dutzend Besucher, die Nominierten, die Präsentatoren und anderweitig Involvierte freilich miteingeschlossen. Tagsüber?

In der Tat, denn das netzwerk junge ohren wollte es nicht bei einer abendlichen Preisverleihung belassen, sondern – eine gute Idee – Interessierten die Gelegenheit geben, die preisverdächtigen Projekte näher kennenzulernen und darüber hinaus Impulse für die eigene Musikvermittlungs-Arbeit zu erhalten. Zwei Tage waren dafür vorgesehen, wobei am zweiten Tag der gastgebende BR in Gestalt des Münchner Rundfunkorchesters seine eigene konzertpädagogische Arbeit praktisch demonstrieren durfte; ein Vortrag und Roundtables schlossen sich an.

Doch zurück zum ersten Tag, der einmal mehr die Frage aufwarf, ob man eine künstlerische Arbeit – und eine solche sollte ein Musikvermittlungsprojekt schließlich sein – anhand einiger Filmausschnitte nebst Erläuterungen der Macher eigentlich adäquat beurteilen kann. Gewiss, der Charme, mit dem Tochter und Sohn der Augsburger Projektverantwortlichen Ute Legner durch das Video zu den „Abenteuern von Tom Dumm“ führten (2. Preis), war köstlich, und die Aufführungssequenzen ergaben einen plastischen Eindruck von den drei Spielorten und den unterschiedlichen Charakteren der Werkteile. Wie der kreative Prozess vonstatten gegangen war und welche Rolle die beteiligten Komponisten dabei spielten, blieb indes vage.

Etwas deutlicher wurde der Arbeitsablauf im Fall des Musiktheaters „Monsieur Mathieu, was wird?“ (2. Preis), an dem – initiiert von der Oper Leipzig – ein Jugendchor sowie sprach- beziehungsweise sehbehinderte Schülerinnen und Schüler beteiligt waren. Wie die Aufführung für Außenstehende gewirkt haben dürfte, konnte man anhand des Filmmaterials aber nur erahnen.

Zumindest eines der in der Kategorie „Best Practice“ (noch so ein Unwort-Kandidat…) nominierten Projekte war ein Konzert im eigentlichen Sinne und konnte aufgrund seiner überschaubaren Dimension zumindest einen längeren Abschnitt über leibhaftig besichtigt werden: In „Die Reise nach Brasilien“ (3. Preis) erzählt Marit Beyer als leicht affektierte Sprecherin eine Geschichte von Daniil Charms, Olivia Trummer steuert Klaviermusik Dmitri Schostakowitschs bei. Mit sparsamen Kostümen und theatral-choreografischen Elementen entsteht in der Regie Malte Prokopowitschs (der komplette Mitschnitt kann dies merkwürdigerweise besser transportieren, als es der Live-Ausschnitt vermochte) eine eigentümliche, phasenweise durchaus poetische Stimmung. Der eher homöopathische Musikanteil lässt freilich Zweifel darüber aufkommen, ob es sich hier um Vermittlung von Musik mittels einer Geschichte oder doch eher um die Bereicherung einer Geschichte mit kleinen Musikeinlagen handelt.

Spontane Begeisterung vermochten auch die Präsentationen in der Kategorie „Musik und Medien“ nicht auszulösen. So sympathisch unprätentiös die Web-Filmchen der Philharmonie Neubrandenburg auch sind (1. Preis),  viel mehr als ein pfiffiges Marketingwerkzeug war darin nicht zu erkennen. Bei dem Hörspiel „Lisa und der Zeitgeist“ (2. Preis) schien die Jury wiederum eher das Engagement der Münsteraner Studierenden und die noch der Ausschöpfung harrenden multimedialen Potenziale würdigen zu wollen als die Grundidee selbst, die auf zahllosen CDs mit Komponistenporträts seit Jahrzehnten ihren Platz in den Kinderzimmern haben.

Eine neue Kategorie war offenbar den Problemen mit der Kategorisierung entsprungen: „LabOhr“ heißt sie und sollte Ansätze in den Blick nehmen, die sich allgemeiner mit Phänomenen akustischer Wahrnehmung beschäftigen. Im Fall der „HörHülle“ (1. Preis, wie „Tom Dumm“ entstanden im Rahmen des Augsburger Netzwerk-Neue-Musik-Projekts „MEHR MUSIK!“) war dieser Zusammenhang unmittelbar einleuchtend, auch wenn Architekt Christian Müller die Entstehung der drei Klangpavillons anhand einer Dia­show nicht wirklich nachvollziehbar zu machen wusste. Für das offenbar bemerkenswerte, am Tag der Einheit in der Berliner Philharmonie uraufgeführte Werk „Erhebe Deine Stimme“ der Berliner Cappella (ebenfalls 1. Preis) führte der Weg in diese Kategorie über die von den Jugendlichen als Ausgangsmaterial verwendeten und in die Aufführung integrierten historischen Tondokumente.

Wenn man nun das Prozedere der Nominierung und Preisfindung betrachtet, das darauf hinausläuft, dass die Jury-Mehrheit sich jeweils auf die Vorschläge und das Urteil kleinerer Gruppen verlassen muss, von den Projekten also oftmals auch nicht mehr weiß als das, was man nun in München durch die Präsentationen erfahren konnte, wird deutlich, warum es in der Jury-Sitzung heiß hergegangen sein muss, worauf – nicht ohne Stolz – immer wieder verwiesen wurde. Tatsächlich könnte man dies als Indiz für eine sich in ihren Kriterien verfeinernde Qualitätsdiskussion werten, ebensogut aber als Ausdruck eines stark verbesserungsbedürftigen Jury-Verfahrens.

Auch die drei „Interventionen“, mit denen die Vorstellung der Nominierten hin zu allgemeineren Fragestellungen geöffnet werden sollte, waren von unterschiedlichem Informationsgehalt. Veronika Weber, die Managerin des Münchner Rundfunkorchesters, stellte dessen in den vergangenen Jahren kontinuierlich gewachsenes Engagement ins rechte Licht, der als „Hör­experiment“ angekündigte Beitrag der Komponistin Konstantia Gourzi bestand darin, dass zu zweien ihrer Werke (vom Band) je ein Foto an die von farbigen Scheinwerfern dezent umwölkte Leinwand projiziert wurde. Mehr Substanz hatte da Michael Wimmers Vortrag, der in Vertretung seiner Frau Constanze die Quintessenz aus deren Studie „Exchange. Die Kunst, Musik zu vermitteln“ zog. (Die­se Studie der Stiftung Mozarteum Salzburg ist Gegenstand der kommenden Ausgabe der nmz.) Ihre Leitfragen zu den Aspekten „Zielorientierung“, „Strukturqualität“, „Prozessqualität“ und „Produktqualität“ dürften sich für eine kritische Selbstbefragung von Projektverantwortlichen als äußerst hilfreich erweisen.

Gar so strenge Maßstäbe mochte man an die abendliche Preisverleihung selbst dann natürlich nicht anlegen. Zumindest verliehen ihr BR-Intendant Johannes Grotzky mit einer kurzen, frei gehaltenen, aber substanzreichen Ansprache und das Schlagwerk-Duo „MuniCussion“ einen gewissen Unterhaltungswert. Spannung konnte dabei indes nicht aufkommen, da klar war, dass keiner der Nominierten leer ausgehen würde. Zumindest setzte die Tatsache, dass in der Kategorie „Best Practice“ kein erster Preis vergeben wurde, einen kleinen nachdenklichen Akzent.

Im nächsten Jahr soll ohnehin alles besser werden: Das Juryverfahren wird, so hört man, modifiziert, und die gemeinsame Verleihung mit dem erstmals ausgeschriebenen „YEAH! – Young EARopean Award“ soll sich in Osnabrück zu einem mehrtägigen Fes­tival auswachsen (14. bis 20. November 2011). Dem Renommee des mittlerweile dotierten Preises und der Außenwirkung des Netzwerks (das finanziell über eine an den „junge ohren preis“ gebundene Unterstützung des Bundesfamilienministeriums nunmehr gestärkt ist) kann dies nur förderlich sein.

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