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Zukunftsfähigkeit von Musikschulen

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Bundesversammlung und Hauptarbeitstagung des VdM in Kassel
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„Der VdM in Kassel: Ein Beweis für beide, dass wir uns nicht so einfach von Corona verdrängen lassen.“ So startete Ulrich Rademacher, Bundesvorsitzender des Verbands deutscher Musikschulen, seine Begrüßung im Rahmen der Bundesversammlung des VdM. Geplant war der große, im Zweijahresturnus stattfindende Kongress; coronabedingt wurde eine Hauptarbeitstagung daraus – mit der Option, den großen Kongress 2023 ebenfalls in Kassel stattfinden zu lassen. Musikalisch zeigten sich die Musikschule Kassel und der Landesverband Hessen von ihren besten Seiten: von Ludwig Spohr bis Mariah Carey reichte das Rahmenprogramm, das die anwesenden Musikschulleiterinnen und -leiter begeistert beklatschten.

Rademacher wies aber auch auf die Herausforderungen hin, die die Musikschulen jetzt und zukünftig erwarten. Jetzt müssten die Weichen gestellt werden, damit die Musikschulen auch in Zukunft mit Musik zur Mensch-Werdung, zum Mensch-Sein und zum Zusammenhalt der Gesellschaft beitragen könnten. Ganz konkret und angesichts sich abzeichnender Einsparungspläne in den Kommunen: „Wir brauchen jetzt eine Selbstverpflichtung der Kommunen, ihre Betriebskosten-Zuschüsse – wir nennen das Bildungs-Investitionen – in Musikschulen auf dem Niveau von Vor-Corona zu halten.“ Außerdem arbeite der Verband an einer Digitalisierungs-Strategie, für die der Bund in digitale Endgeräte, die Länder in Netzausbau und Fortbildung, die Kommunen in den nötigen Support vor Ort investieren müssten. Schließlich sprach Rademacher auch den akuten und drohenden Fachkräftemangel im Bereich der Musikschullehrkräfte an. Die Träger der Musikschulen dürften in der Bemühung um einen deutlichen Anwuchs an sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen nicht nachlassen. Und: „Es braucht darüber hinaus dringend eine Anpassung der Eingruppierung innerhalb des TVöD, die den gewachsenen Anforderungen des Berufsbildes entspricht.“ Immerhin seien die Musikschulen offenbar weitaus besser als befürchtet durch die Pandemie gekommen, hätten sich als resilient und robust bewiesen.

Die Bedeutung öffentlicher Musikschulen hob auch Kassels Kulturdezernentin Susanne Völker hervor und unterstrich gleichzeitig die von Rademacher genannten Herausforderungen. Ähnlich äußerte sich auch Hessens Ministerin für Wissenschaft und Kunst Angela Dorn in ihrem Video-Grußwort. Die Musikschulen leisteten einen wichtigen Beitrag, um kulturelle Teilhabe zu ermöglichen. Auch Dorn fordert eine angemessene Entlohnung der Lehrkräfte.

Politische Verantwortung

In der sich anschließenden Podiumsdiskussion, moderiert vom stellvertretenden Bundesvorsitzenden Friedrich-Koh Dolge, ging es um das Berufsbild des Musikschullehrers, um das Thema Personalentwicklung, schließlich um die Sicherung von Musikschul-Strukturen. Letztere, so wurde deutlich, könnten durch Musikschulgesetze, wie sie in einigen Ländern bereits existieren, in anderen derzeit in Planung sind, gestärkt
werden. Die Bereitschaft der Länder bewege sich dabei in unterschiedlichen Tempi, erklärte Jörg Freese vom Deutschen Landkreistrag, Mitglied des VdM-Bundesvorstands. Das Berufsbild „Musikschullehrkraft“ hat sich in den letzten zwanzig Jahren enorm verändert und erweitert. Zunehmende Herausforderungen gehen hier nicht einher mit einer angemessenen Entlohnung. Gleichzeitig verändern sich die Ansprüche junger Menschen an die „Work-Live-Balance“. Die deutliche Differenz zwischen dem Einkommen einer Musikschullehrkraft zu dem eines Schulmusikers trägt nicht zur Attraktivität des Berufsbildes bei. Der Fortschritt sei bei dieser Frage eine Schnecke, sagte Freese, erklärte die Kritik am Entlohnungssystem aber, ebenso wie Michaela Stoffels, Kulturreferentin des Deutschen Städtetags, für absolut berechtigt. Junge Menschen, so Stoffels, würden sich gerne in attraktiven Einrichtungen engagieren. Entsprechend müsse sich die Musikschule als wichtiges Kompetenzzentrum in den Kommunen etablieren.

Bundesversammlung intern

In den Berichten der Verbands-Verantwortlichen ging es schwerpunktmäßig um Aktivitäten rund um Corona. Der Kontakt des VdM zu seinen Mitgliedsschulen war in der Ausnahmesituation besonders eng, ebenso der zur Politik. Eine Umfrage unter den Musikschulen über die Folgen der Pandemie ergab ein eher diffuses Bild, vor allem bei der Einschätzung der Zukunftssicherung. Viele Musikschulen erweisen sich als stabil, andere melden Einbrüche ihrer Anmeldezahlen oder auch erste Anzeichen von Sparmaßnahmen bei den „freiwilligen Leistungen“ der Kommunen. Gefragt wurde auch nach den  Themen Impfung, Abfrage des Impfstatus durch den Arbeitgeber, Nachweis durch Tests, Regelung von Home Office et cetera.

Matthias Pannes informierte über das vom Bund aufgelegte „Aufholpaket“ in Höhe von 2 Milliarden Euro, davon 50 Millionen für den Kinder- und Jugendplan. Auch der VdM kann hier Anträge entgegennehmen, schwerpunktmäßig sollen Angebote für den EMP-Bereich und die Ensemble-Arbeit gefördert werden. „Musikschulen und Nachhaltigkeit“ lautete ein Tagesordnungspunkt der Versammlung. Klar ist, dass Zuschussgeber hier zukünftig die Beachtung zusätzlicher Kriterien erwarten, zum Beispiel den Energieverbrauch, das papierlose Büro, Umgang mit Dienstreisen, Dienstfahrräder oder Verpackungsmaterialien.

Natürlich standen auch Fragen rund um die Digitalisierung auf der Agenda. Das Thema war bereits vor der Pandemie in den Fokus des Verbandes gerückt, bekam aber durch Corona einen zusätzlichen Schub. Volker Gerland berichtete über Aufgaben und Ergebnisse verschiedener Arbeitsgruppen. Manfred Grunenberg und Bernhard Sperrfechter erläuterten das Projekt „smart musikschule“, über das in der neuen musikzeitung bereits ausführlich berichtet wurde.

Ein Papier „Musikschulen dürfen digital nicht abgehängt werden“ enthält Forderungen des VdM hinsichtlich einer gemeinsamen Digitalisierungsstrategie von Bund, Ländern und Kommunen.

Das Projekt „Kultur macht stark 2“ entwickelt sich im Verband sehr positiv. Sicher ist jetzt auch, dass es eine Fortsetzung für den Zeitraum 2023 bis 2027 geben wird. Besonders erfreulich für den VdM: Die Förderrichtlinien wurden dahingehend geändert, dass neben Honoraren auch zusätzliche Personalausgaben der Musikschulen gefördert werden können. Damit wird ein Manko behoben, das der Verband mehrfach angemahnt hatte.

Nicht zu vergessen sei der leidenschaftliche Appell der langjährigen Vorsitzenden der Bundeselternvertretung, Sibylle Gräfin Strachwitz. Sie berichtete über die Schwierigkeiten, für dieses wichtige Engagement neue Kräfte zu finden und forderte die Musikschulleiterinnen und -leiter auf, die Eltern ihrer Musikschulen zur Mitarbeit zu motivieren.

Hauptarbeitstagung

Eröffnet wurde die HAT mit einem Vortrag von Benjamin Jörissen, Professor für Pädagogik mit dem Schwerpunkt Kultur und ästhetische Bildung an der Universität Erlangen-Nürnberg. Er führte die Zuhörer mit seinen Ausführungen in die digitale Zukunft. „Chancen und Risiken von digitalen Lebensweltveränderungen für Kinder und Jugendliche“ lautete der Titel seines Redebeitrags. Jörissen berichtete über verschiedene Forschungsprojekte, die er auch im Bereich der kulturellen Bildung durchgeführt hat. Die Ergebnisse waren für einige der Lauschenden sicher noch fremd, zeigten aber Richtungen, die die digitale Entwicklung auch an Musikschulen nehmen könnte. Dass daneben eine „face-to-face“-Unterrichtssituation nicht an Wert verliert, stand am Ende allerdings auch fest. Jörissen wies auch auf ein weiteres vom BMBF gefördertes Forschungsprojekt hin, das Wissenschaft und kulturelle Praxis miteinander verbinden soll. Die Ideen und Möglichkeiten, die hier aufgezeigt wurden, könnten im Übrigen durchaus Anreiz sein für die jungen Studierenden, die noch darüber nachdenken, ob sie die Pädagogik als Berufsziel ins Auge fassen wollen.

Zukunftsfähigkeit

Um diese ging es erneut im anschließenden Panel „Beschäftigungsverhältnisse und Nachwuchsgewinnung an Musikschulen“. Susanne Rode-Breymann, Rektorin der Musikhochschule Hannover und Vorsitzende der Rektorenkonferenz der deutschen Musikhochschulen, gilt als engagierte Kämpferin für die Musikpädagogik an den Hochschulen. Sie sprach von der inhaltlichen Attraktivität der Studiengänge, insbesondere im Bereich der EMP: Hier vor allem entwickelten sich Kreativität und Gemeinschaftssinn, berichtete sie, gestand aber auch ein, dass der Durchgriff an der eigenen sowie an den anderen Hochschulen begrenzt sei. Hier besteht sicher noch Handlungsbedarf. Uwe Lübking vom Deutschen Städte- und Gemeindebund präsentierte das beunruhigende Ergebnis einer Umfrage durch die KfW-Bank unter den Kommunen. Sparen, so stellte sich heraus, werde man voraussichtlich in den Bereichen Sport und Kultur, investieren eher in die Infrastruktur und die Digitalisierung. Nachfolgende (junge) Pädagogen, so Hans-Joachim Rieß, Geschäftsführer des Landesverbandes Hessen der Musikschulen, bräuchten Experimentierfelder und den Freiraum, eigene Ideen umzusetzen. Er forderte außerdem, dass einer der wichtigsten „player“ im Bereich der musikalischen Bildung, die allgemeinbildende Schule, sich auch bewegen müsse, wenn es um die Zukunft des Instrumentalunterrichts gehe. Musikschulen seien da immer noch das fünfte Rad am Wagen. „Warum haben die Länder in ihre Schul- und Entwicklungspläne nicht längst Kooperationsverpflichtungen geschrieben?“, fragt Lübking und empfiehlt dem VdM, dies möglichst bald einzufordern. Schließlich wurde auch über die Idee eines dualen Studiums diskutiert, das die pädagogische Praxis gleich mitdenkt. 

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