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Strebt Intendant Ulrich Wilhelm eine dritte Amtszeit an? Foto: BR/Ralf Wilschewski
Strebt Intendant Ulrich Wilhelm eine dritte Amtszeit an? Foto: BR/Ralf Wilschewski
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Zeit der Entscheidung beim BR: Strebt Intendant Wilhelm eine dritte Amtszeit an? [update: Wilhelm hört auf]

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München - Mitten in der Corona-Krise steht der Bayerische Rundfunk vor einer entscheidenden Weichenstellung. Tritt Intendant Ulrich Wilhelm zur Wahl für eine dritte Amtszeit an? Seit Monaten wird über die Pläne des 59-Jährigen spekuliert. Vor der Sommersitzung des zuständigen Rundfunkrats am nächsten Donnerstag (16. Juli) steigt die Spannung.

Wilhelm steht seit 2011 an der Spitze des öffentlich-rechtlichen Senders. Der Jurist und Journalist war zuvor Regierungssprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Ende Januar nächsten Jahres läuft Wilhelms zweite Amtsperiode aus. Bisher fand die Wahl des Intendanten im Rundfunkrat in der Regel mit weit mehr Vorlauf statt.

Eigentlich hatte Wilhelm den Entschluss sogar erst bis in den Herbst angekündigt. Nun aber kommt der 50-köpfige Rundfunkrat erstmals seit Beginn der Pandemie wieder persönlich in München zusammen und nicht nur digital. Die Tage der Entscheidung haben begonnen. Denn auch wenn die große Frage nicht offiziell auf der Tagesordnung steht, erwarten alle, dass - spätestens - im Saal klar wird: Was will Wilhelm? Auch sein Sprecher ist überzeugt, «dass die persönliche Entscheidung des Intendanten noch vor der Sommerpause bekanntgegeben wird».

Dass sich Wilhelm bisher so lange bedeckt hält, werten manche im Sender wie auch außerhalb als Zeichen für einen möglichen Abschied. Andererseits sagen langjährige Wegbegleiter: Wilhelm sei nicht der Typ, der mitten in Herausforderungen wie Sparkurs, Corona-Pandemie und Medienwandel von Bord geht. Vielleicht also eine Wiederwahl - aber nicht unbedingt für die üblichen vollen fünf Jahre?

Schier unermüdlich hat der gebürtige Münchner an der Spitze des Bayerischen Rundfunks (BR) den digitalen Wandel zum trimedialen Haus vorangetrieben: Fernsehen, Radio und Online aus einer Hand statt in getrennten Sparten - mit geänderten Strukturen, einem riesigen neuen Redaktionszentrum im Münchner Norden und mit der weiteren Regionalisierung des Senders quer durch den ganzen Freistaat.

Als ARD-Vorsitzender kämpfte der BR-Intendant in den vergangenen zwei Jahren besonders für eine Beitragserhöhung, die aber noch von den Landesparlamenten genehmigt werden muss. Gerade zuletzt lag Wilhelm mit dem ARD-Verbund nicht immer auf einer Linie. Zahlenmäßig ist der BR die viertgrößte Landesanstalt nach WDR, SWR und NDR - mit rund 3500 fest Beschäftigten und knapp 1700 arbeitnehmerähnlichen Freien.

Vehement wirbt Wilhelm auch nach der Zeit an der ARD-Spitze weiter für seinen Vorstoß einer europäischen Antwort auf Amazon, Facebook & Co: eine von den US-Riesen unabhängige Inhalteplattform. Bei Spekulationen über mögliche Zukunftspläne jenseits des BR schauen manche daher nach Brüssel: Will er seine Überzeugungsarbeit auf EU-Ebene in neuer Funktion fortsetzen? Andere Variante: Auch für die Geschäfte rund um Film und klassische Musik brächte er große Expertise, ein gutes Netzwerk und viel Leidenschaft mit.

Rundfunkratsmitglieder gehen auf Nachfrage davon aus: Wenn Wilhelm will, bleibt er auch nach der Wahl Intendant. Sein grundsätzlicher Kurs für die Zukunft des Senders ist selbst bei einzelnen Kritikern letztlich unumstritten, die Anerkennung allgemein hoch. Ehe er sich erklärt, wird daher nicht erwartet, dass ein anderer die Hand hebt. Bei Wilhelms erster Wiederwahl gab es keinen Gegenkandidaten.

In jedem Fall ist die Position auch eine gesellschaftspolitische Angelegenheit. Der per Wahl entscheidende Rundfunkrat zählt 50 Mitglieder politischer, weltanschaulicher und gesellschaftlicher Gruppen. Ein Dutzend von ihnen sind Landtagsabgeordnete, allein fünf aus der CSU. Auch Bayerns Staatskanzleichef und CSU-Medienminister Florian Herrmann sitzt in dem Aufsichtsgremium. Ministerpräsident und CSU-Chef Markus Söder arbeitete einst selbst als Journalist beim BR.

Wilhelm ist ebenfalls Parteimitglied und war vor seiner Berliner Zeit auch Sprecher des bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber (CSU). Als Intendant scheute er die eine oder andere inhaltliche Kontroverse auch mit der Staatsregierung bisher dennoch nicht.

Die Intendantenwahl wird frühestens für 22. Oktober erwartet - zur Herbstsitzung des Rundfunkrats. Vor einer Abstimmung muss der Vorsitzende Lorenz Wolf den Mitgliedern schriftlich mindestens sechs Wochen Zeit für Kandidatenvorschläge geben, völlig unabhängig von Wilhelms Entschluss. Das Schreiben ist noch nicht verschickt, sagt Wolf. «Ich plane dies - nach Abstimmung mit dem Ältestenrat - demnächst zu tun.»

 

[update]

BR-Intendant Wilhelm geht - Chefsuche bei viertgrößter ARD-Anstalt

Von Roland Freund, dpa

Lange hat er sich bedeckt gehalten. Nun ist es raus: BR-Chef Wilhelm hört auf. Ein Jahrzehnt lang baute der frühere Merkel-Sprecher den Sender kräftig um - und hinterlässt jetzt eine große offene Frage.

München  - Nach zehn Jahren an der Spitze des Bayerischen Rundfunks verlässt Intendant Ulrich Wilhelm den Sender Anfang nächsten Jahres. Der 59-Jährige will nicht mehr für eine dritte Amtszeit bei der viertgrößten ARD-Landesanstalt kandidieren.

Wilhelms Vertrag läuft bis Ende Januar. «Ich bin überzeugt, dass im Februar nächsten Jahres der richtige Zeitpunkt ist, das Haus zu übergeben», betonte er am Freitag in München. «Entscheidende Etappen unseres Umbauprozesses und die Regionalisierung sind erfolgreich abgeschlossen.»

Wilhelm steht seit 2011 an der Spitze des Senders. Der Jurist und Journalist war zuvor Regierungssprecher von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Zu seiner weiteren beruflichen Zukunft sagte er nichts.

Schon bisher steckte Wilhelm viel Energie in seinen Vorstoß für eine europäische Alternative zu den US-Internetriesen wie Google und Facebook. Dafür will er auf EU-Ebene weiterkämpfen - womöglich in neuer Funktion? Jede Menge Erfahrung und gute Beziehungen hat er auch im Geschäft mit Film und Klassik. Für den gebürtigen Münchner ist Berlin mittlerweile auch familiär zur zweiten Heimat geworden.

Ein neuer Chef für den Bayerischen Rundfunk (BR) steht vor großen Herausforderungen wie bei allen öffentlich-rechtlichen Sendern: ein massiver Medienwandel, die Folgen der Corona-Krise und der von der Politik geforderte Sparkurs.

Den BR-Intendanten wählt der Rundfunkrat. Die Entscheidung ist neben der fachlichen auch eine hoch gesellschaftspolitische Angelegenheit. 50 Räte vertreten politische, weltanschauliche und gesellschaftliche Gruppen. Ein Dutzend sind Landtagsabgeordnete, allein fünf der CSU, dazu CSU-Medienminister und Staatskanzleichef Florian Herrmann.

Die Intendantenwahl wird frühestens für die Herbstsitzung des Rates am 22. Oktober erwartet. Vorher muss der Vorsitzende Lorenz Wolf, im Gremium für die katholische Kirche, den Mitgliedern schriftlich mindestens sechs Wochen Zeit für Vorschläge geben.

Als möglich gilt eine externe wie interne Lösung. Vor Wilhelms Wort wollte niemand sichtbar die Hand heben. Offensichtliche Fragen nun: Hat jemand aus der öffentlich-rechtlichen Senderwelt Interesse? Wird es erstmals eine Intendantin beim BR? Aktuell stehen in drei der neun ARD-Landesanstalten Frauen an der Spitze.

Im BR wird auf die Nachfolgefrage klassisch die zweite Führungsebene genannt. Also die fünf Direktionsspitzen und auch die Chefredaktion. Von einem klaren Favoriten ist im Sender bisher nicht die Rede.

Wilhelm erntete während des Jahrzehnts im BR-Chefsessel rundum hohe Anerkennung. Auch bei einzelnen Kritikern, die zuletzt vernehmbarer waren. Markenzeichen des charmanten Blonden: ein stets freundliches Lächeln für seine Gesprächspartner - selbst dann noch, wenn der präzise Jurist und wortgewandte Ex-Journalist rundweg widerspricht.

Als ARD-Vorsitzender (2018/2019) suchte er mit den Zeitungsverlagen den Ausgleich über seinen direkten Draht zu Springer-Chef und Verleger-Präsident Mathias Döpfner (BDZV). Zugleich ist Wilhelms Regionaloffensive zu immer mehr BR-Berichten aus allen Ecken Bayerns so manchem Medienhaus im Freistaat ein Dorn im Auge.

In der Debatte zum Rundfunkbeitrag stellte er sich gegenüber der Politik hart auf - nicht immer zur Freude aller ARD-Häuser. Zuletzt machte der BR als einzige Landesanstalt bei einer neuen ARD-Kulturplattform mit Sitz im Osten nicht mit. Es knirschte hörbar. «Isoliert», lautete manche Einschätzung im Verbund.

Ohnehin verhält es sich mit ARD und BR wie zwischen dem Freistaat und dem übrigen Deutschland: Die Bayern gelten als mindestens selbstbewusst. «Mia san mia». Rein zahlenmäßig ist der BR unter den ARD-Landesanstalten die Nummer vier nach WDR, SWR und NDR.

Wilhelms Werk: Er baut den Sender energisch zum trimedialen Haus um - TV, Radio und Online aus einem Guss statt in Sparten. Herzstück soll das neue riesige Redaktionszentrum Freimann im Münchner Norden sein.

Der tiefgreifende Wandel auf allen Ebenen bewegt die rund 3500 fest Beschäftigten, 1700 arbeitnehmerähnlichen Freien und gut 400 Gagenempfänger mächtig. Im Tarifkonflikt gab es 2019 erstmals mehrtägige Streiks mit Sendeausfällen.

Trotz seines CSU-Parteibuchs und seiner früheren Rolle als Bayerns Regierungssprecher für Edmund Stoiber (CSU) scheut Wilhelm den Streit mit der Staatsregierung nicht. Der damalige Ministerpräsident Horst Seehofer (CSU) war 2015 öffentlich über ihn erzürnt.

Der Anlass: Wilhelm hatte nach einem umstrittenen Gastauftritt des bayerischen Finanzministers in der BR-Heimatserie «Dahoam is dahoam» diese zur Tabuzone für Politiker erklärt. Der Minister am Set war der heutige CSU- und Regierungschef: Markus Söder - selbst in seinen frühen Jahren Journalist beim BR.

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