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Der Verweigerer

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www.beckmesser.de 2012/09
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Fartein Valen, ein verkannter Zwölftöner und ehemaliger Leiter der Musikbibliothek in Oslo: Eine große Gestalt in der Musik des 20. Jahrhunderts. Mozart, ein Komponist aus Salzburg: seine Sonaten kann kein geistig gesunder Erwachsener als Meisterwerke betrachten. Beethoven: Der Urheber von so verdächtigen Werken wie dem Violinkonzert, der Appassionata oder der Fünften Sinfonie. Glenn Gould liebte die Zuspitzung in Wort und Ton, und entsprechend klangen seine Interpretationen: Die Mozart-Sonate als Techniketüde mit Drehzahl fünftausend, die Appassionata als Trauermeditation. Goulds Klassikerdeutungen waren klingende Ideologiekritik, er war der Adorno an Tasten – kein verschmockter Professor, sondern, wie der Werbespruch lautete, der James Dean des Klaviers: eine pianistische Superbegabung, jungenhaft erotisch, mit messerscharfem Intellekt und ätzender Kritik am Betrieb. Doch was ist heute, zu seinem 80. Geburts- und 30. Todestag, eigentlich aus ihm geworden?

Eine Medienlegende war er schon zu Lebzeiten. Nach seinem Rückzug ins Aufnahmestudio im Jahr 1964 – die Konzertsaalatmosphäre fand er unerträglich antimusikalisch – kommunizierte er nur noch per Aufnahmegerät mit der musikalischen Welt, das verhasste Publikum war er los. Das Mikrofon war für ihn nun das ideale, weil unbestechliche Ohr, die Kamera das Auge des Publikums.

Das veränderte auch den Begriff der Interpretation. Sie erstreckte sich nun über das Spielen am Klavier hinaus auf das gesamte Aufnahmedispositiv: auf Mikrofonaufstellung, Saalakustik, Aussteuerung, Schnitt und Montage. Es war nur konsequent, dass Gould schließlich auch Radiofeatures und Hörspiele produzierte und wie John Cage zur Auffassung kam, die Wiedergabegeräte sollten es dem Hörer zu Hause ermöglichen, das musikalische Produkt nochmals nach eigenem Belieben zu verändern. Der Konsument, der durch Knöpfchendrehen am Apparat den Werkprozess überhaupt erst vollendet. Im technikgläubigen Missverständnis von Kreativität steckt eine analoge Vorahnung des Web 2.0.

Gould war der erste genuine Medienkünstler in der Welt der Klassik, und ihm gelang es, durch ausschließlich mediale Botschaften dauerhaft die Aufmerksamkeit der Musikwelt auf sich zu ziehen. Das schaffte nicht einmal der Medienfürst Karajan, der zur Durchsetzung seiner medialen Strategien noch immer die Konzert- und Opernhäuser abklappern musste. Beide, Gould und Karajan, hatten übrigens denselben Impresario, Ronald Wilford, der mit seiner New Yorker Agentur Columbia Artists weltweit die Fäden im Musikbusiness zog.

Wilfords Geschäftssinn ist es wohl zu verdanken, dass Gould, der große Verweigerer des Klassikbetriebs, wie Phönix aus der Asche zum Medienheros ebendieses Betriebs aufstieg. Er machte die coolen Goldberg-Variationen zu Goulds Markenzeichen und Erkennungsmelodie im weltweiten Konzert der Tastenlöwen, und auf seiner Inszenierungskunst basiert vermutlich auch das merkwürdige Für und Wider um die zwei Fassungen des Werks – ein Marketing-Gag, dank dem der Name Gould auch postum jahrelang im Gespräch blieb.

Der Paradigmenwechsel, den Gould 1964 vollzog, fällt in eine Zeit, da das anspruchsvollere Klassikpublikum nach einer Alternative für das repertoiremäßige Einerlei und die immergleichen Rituale des Konzertlebens suchte. Hifi, LP und Fernsehen waren im Vormarsch, das traditionelle Bild des erhabenen Pultgiganten verblasste und der technische Fortschritt schien auch musikalisch unaufhaltsam. Das Zauberwort der Komponisten hieß „Materialbeherrschung“. Gould mit seiner kritischen Intelligenz erfasste intuitiv das musikrevolutionäre Potenzial der neuen Techniken. Er war ein brillanter Surfer auf der Welle des Neuen, und exakt zu der Zeit, als sie verebbte und das digitale Zeitalter mit CD und Computer anbrach, war es auch mit ihm zu Ende.

Ein Hauch von Tragik wohnt seiner künstlerischen und menschlichen Existenz inne. Seine Studioexistenz, nicht frei von Narzissmus, entpuppte sich schließlich als Weg in die Isolation, denn das perfekte Mikrofon ersetzt keinen leibhaftig anwesenden Menschen, seien dessen Ohren auch noch so unperfekt. Auch der Zeitgeist veränderte sich. In der anbrechenden Postmoderne, die alle Widersprüche in bunte digitalisierte Vielfalt auflöste, konnte von einer Revolutionierung des Musiklebens durch Experimente am „Sonatenmaterial“ nicht mehr die Rede sein. Goulds Rolle als Provokateur und unbequemer Sonderling, der mit einem lächerlich knarrenden Klavierstuhl und anderen Marotten unbeugsame Individualität demonstrierte, verkam zur Markenpflege. Seine radikal gegen den Strich gebürsteten Aufnahmen sind heute eine Liebhaberei urbaner Hedonisten, die nach dem etwas anderen Klassik-Kick suchen. So wurde aus dem Antihelden Gould das widerstandslos vermarktbare Medienphänomen Gould. Es ist das Schicksal aller Verweigerer: Irgendwann werden sie begeistert vereinnahmt vom Pöbel, den sie einst verachteten.

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