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Die Copyrights

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Bertelsmann und Sony legen ihre Musiksparten zusammen! Die Nachricht wurde in den Wirtschaftsteilen der Medien gehandelt wie eine Fürstenhochzeit des 16. Jahrhunderts. Habsburg verbindet sich mit den Bourbonen, ein Hauch von Felix Austria verbreitet sich. Besitzverhältnisse, Erbansprüche, Administrationen und Militärpotenziale werden neu geordnet, die Welt hat sich verändert. Wie der „Stern“ meldete, wurde beim deutschen Bräutigam auch rechtzeitig das Künstlerportfolio ausgemistet und Spielraum für mittlere und größere Zukäufe geschaffen, um sauber vor den Altar zu treten.

Als Highlight in den bevorstehenden Feierlichkeiten wurde ein großes Festtournier bei freiem Eintritt für das Volk angekündigt, in dem eine Gruppe modernst ausgerüsteter, konzerneigener Helden gegen zweitausend Arbeitsplatzinhaber in die Arena steigen wird, die aus allen Teilen des Reichs stammen. Von der Trophäe im Wert von 350 Millionen werden die Gladiatoren einen Anteil erhalten, wenn sie erfolgreich ausmisten. Das wird Stoff für allerlei bunte Erzählungen in den Märchensendungen der hauseigenen Medien geben, und die schönste wird sein, dass Frau Merkel Herrn Schröder wieder einmal vorwerfen wird, die Koalition sei an allem schuld.

Milchkühe wie Anastacia, Santana, Britney Spears und wie sie alle heißen, sind jetzt unter einem Dach und werden an die gemeinsame Melkmaschine angeschlossen. Die Verwertungskette ist nun weitgehend hausintern verankert und kann zentral verwaltet werden. Eine neue glückliche Ära beginnt.

Doch ganz weit hinten in dieser modernen Produktionsanlage, irgendwo in einem unansehnlichen Altbau, der mangels Attraktivität noch nicht in den Merger einbezogen wurde, sind noch einige andere Milchkühe untergebracht, die unauffällig wie eh und je ihr tägliches Soll abliefern. Die einen mehr, die andern weniger, einige müssen vorübergehend auch mal durchgefüttert werden. Gemolken wird hier noch weitgehend von Hand. Die braven Vierbeiner heißen Verdi und Puccini, Vivaldi und Nono, Sciarrino und Klaus Huber, Rossini und Adorno (richtig, der Komponist).

Sie gehörten zum großen Verlag Ricordi, der einst das musikalische Italien repräsentierte und dessen Name jedes Bandmitglied in Kalabrien und jeder Opernintendant der Welt kannte. In den letzten Jahrzehnten war er auch in der Neuen Musik präsent. Vor zehn Jahren wurde er von der Bertelsmanntochter BMG gekauft und seither dem Konzern Schritt um Schritt eingegliedert. Komponisten und Arbeitsplätze wurden ausgemistet, und was übrig blieb, ist der Schatten eines Unternehmens, das in seinen alt gewachsenen Strukturen zweifellos reformbedürftig war, durch eine zehnjährige Rosskur nun aber zu einem Suppenkaspar abmagerte. Die Bedeutung des Namens Ricordi beschränkt sich heute auf ein Logo in den Partituren und auf der BMG-Website.

„Was uns interessiert hat, sind einzig die Copyrights“, ließ damals ein Bertelsmann-Oberer unter vier Augen vernehmen, und im Übrigen seien ihnen die Ricordi-Eigner nachgelaufen. Vielleicht mag es ja so gewesen sein, in der Zeit unmittelbar vor Berlusconi, und die italienischen Unternehmen warteten möglicherweise begierig auf den politischen Repräsentanten des neuen ökonomischen Denkens, der sie von jeder gesellschaftlichen und kulturellen Verpflichtung freisprechen sollte. Nun ist die Operation zwar gelungen, der Patient aber halbtot, und der Kontrolleur der lokalen Niederlassung BMG Italia, die das Logo von Ricordi auf der Homepage stehen hat, hat seine Karriere mit dem Verkauf von Home Videos gemacht.

Die große Frage in diesem absurden Copyright-Monopoly lautet: Was kann ein auf Entertainment getrimmter Multi mit Nonos „Prometeo“, was ein Home-Video-Verkäufer mit Hubers „Senfkorn“ anfangen? Dafür haben wir unsere Spezialisten vor Ort, würde die Antwort sofort lauten. Doch unter den Spezialisten ist so radikal ausgemistet worden, dass die wenigen Verbliebenen vor lauter Rotieren ihren Bildschirm im Büro nicht mehr sehen und ihre Hauptbeschäftigung darin besteht, die internationale Verwaltungshierarchie mit Zahlen und Prognosen über zu erwartende Verkäufe und einzusparende Arbeitsplätze zu versorgen.
Vielleicht ergeben sich ja einmal die berühmten Synergieeffekte innerhalb der hauseigenen Verwertungskette, indem Adornos Streichquartett als Erkennungsmelodie bei Old Big Brother genutzt wird oder aus Nonos Scala enigmatica ein Handy-Klingelton entsteht. Was ein Multi unter Kultur versteht, darüber ist in einem Tagungsbericht des Grazer Instituts für Wertungsforschung zu lesen, wo berichtet wird, wie BMG zum Verdi-Jahr 2001 in Paris ein Sportstadion mietete und Sängerstars dort ihre Verdi-Arien schmettern ließ. Die Werbebotschaft lautete: „Das ist unser Verdi.“

Der Fall Ricordi ist zwar nur Beispiel, hat aber prototypische Bedeutung. Das traditionelle Musikverlagsgeschäft, Teil einer genuin europäischen Kulturtradition, ist in den Sog der Globalisierung geraten, und allerorten versucht man, zu bewahren, was sich bewahren lässt und sich anzupassen an den steifen Wind des Fortschritts. Der Londoner Verlag Boosey & Hawkes hat sich neulich, um die Kaufgelüste eines amerikanischen U-Musik-Agenten abzuwehren, mit Schott zu einem Joint Venture zusammen geschlossen. Auch andernorts wird heftig gerechnet, wie mit den musikalischen Schätzen der Vergangenheit und neu erworbenen Rechten in den nächsten Jahren über die Runden zu kommen ist.

Dass im Vergleich zum Big Game der Popmusik der klassische E-Musik-Verlag uninteressant für die Großen sei, dass er auf Dauer in seiner kulturellen Nische verharren und vom globalen Mediengeschäft abgekoppelt bleiben könne, ist eine fromme Wunschvorstellung. Wer sich nicht wappnet, geht unter. Das ist das Wolfsgesetz der neuen Ökonomie. Irgendwo weit hinten, im Schatten von Blur, Pulp und Pet Shop Boys, gibt es heute in jedem medialen Großfürstentum eine Baracke für Beethoven und Co.

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