Je länger er tot ist, desto lebendiger wird er, rumort als Untoter in unserem Unbewussten und macht Skandal, wo immer er auftritt: Hitler, das Gespenst des Jahrhunderts. Wer sich mit ihm befasst, gar sich zu ihm äußert, ist nicht mehr der, der er war (oder zu sein wähnte).
Nobelpreisträger und andere große Schriftsteller, für die der Kunstvorbehaltsparagraph gilt, mögen den „Bruder Hitler“ in sich entdecken, was im Grunde nichts anderes als die Auschwitz-Ära-Variante der schon bei Goethe angeberischen Behauptung ist, dass dem Genie nichts Menschliches fremd sei. Nah am Abgrund dichtet es sich eben trefflich. Und schon garantiert unverdächtige Antifaschisten wie Klaus Theweleit oder Elisabeth Bronfen wussten, dass der Autor über Leichen geht – und gut von ihnen lebt.
Während also für Olympier und solche, die es werden wollen, der Vergleich mit Hitler nicht nur erlaubt, sondern honorig ist, ist er für profane Berufstätige existenzgefährdend. Das musste vor nicht allzu langer Zeit unsere (dann: Ex-) Justizministerin leidvoll erfahren, die in trauter Hinterzimmerrunde bei vorgerückter Stunde eine Ähnlichkeit zwischen „Adolf Nazi“ und George „infinite justice“ Bush zu entdecken meinte und darüber zwei elementare Wahrheiten vergaß. Erstens: Was immer einer über Hitler sagt, es spricht sich herum. Zweitens: Im Licht der Öffentlichkeit verbietet sich jeder „Vergleich“ mit dem mörderischen Führer; es kann da gar keine Tatsachenbehauptungen geben, die der unaufgeregten Überprüfung harren. Selbst ein Satz wie George W. Bush liebt kaltes „klares“ Wasser wie einst Adolf Hitler wird in dieser panischen Perspektive zur bösartigen Unterstellung.
Durch Hitler wird eben jeder und alles verrückt, mit sonst üblichen Maßstäben lässt sich da nicht messen. Beispiel Bayreuth. Der Führer liebte bekanntlich Wagner. Aber es sollte gefälligst bei diesem isolierten Faktum bleiben. Wer da ein längeres Gedankenspiel anknüpfte, würde am Ende nur selber hängen. Wie aber ist, wenn man erst dies alles zugestanden hat, die jüngste „Parsifal“-Posse zu werten, von der man nicht so genau sagen kann, ob sie gelungener PR-Gag, götterdämmernde Performance eines liebeskranken Wagner-Sängers oder ein weiteres Beispiel für das Fortwirken des allgemeinen Teufels Hitler war. Der „Diabolos“ ist bekanntlich der Durcheinanderwerfer, der, der das Unterste nach oben bringt und die Optik verkehrt. Wie lässt sich sonst erklären, dass der saubermännische Maniac Kontrahent Schlingensief ausgerechnet einen „Nazi“ nannte und seine eigene Bemerkung, „Neger“ hätten bei Wagner nichts verloren, dadurch von jedem Verdacht eines blond-blauäugigen Rassismus reinigen wollte, dass er betonte, es ginge hier nicht um den Neger als Neger, sondern höchstens um dessen allgemeine Kulturlosigkeit und er würde nicht weniger streng urteilen, wenn Schlingensief versuchte, einen weißen Berliner Penner in Wagners Weihespiel unterzubringen.
Wie gefährlich Hitler ist, kann man derzeit auch anlässlich von Eichingers „Untergang“ feststellen. Bruno Ganz zum Beispiel sieht auf dem SPIEGEL-Cover nicht nur so hitlermäßig aus, wie es Hitler selbst, Dilettant, der er bekanntlich war, nie hingekriegt hat. Er fühlt sich auch wie Hitler, leidet an seinen Schweinereien, wie der freilich nie gelitten hat und bestätigt in allem die verzweifelten Interventionen seines Sohns, der, von Kindesbeinen an kinomäßig mit Gespenstern und Metamorphosen aller Art vertraut, den Papa vor seiner Verwandlung gewarnt hatte. Der aber, ganz faustischer Künstler, musste da durch, den Schweinhehund zur Raison bringen und hat jetzt den Salat – oder sollte es sich tatsächlich um Lorbeer handeln.