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Reihe 9 im Königin-Elisabeth-Saal Antwerpen. Foto: mku

Reihe 9 im Königin-Elisabeth-Saal Antwerpen. Foto: mku

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Reihe 9 (#89) – Bild im Bild

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Manchmal werden Wünsche wahr. Nämlich dann, wenn man in einem Konzert sitzt und sich ein wirkliches „Aha“-Erlebnis einstellt – wie kürzlich im Feierabendhaus der BASF in Ludwigshafen: Drei im Einzelnen recht vertraute Partituren von Debussy (Prélude), Schostakowitsch (Cellokonzert Nr. 1) und Strawinsky (Petruschka) offenbarten als Programm-Sequenz oft geahnte, aber so nur selten zu hörende Bezüge – einem Gastspiel von Daniel Müller-Schott und der Württembergischen Philharmonie Reutlingen unter Ariane Matiakh sei Dank. Noch schöner und instruktiver wird es allerdings, wenn ungeplant verschiedene Künste miteinander ins Gespräch kommen.

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Das Gute liegt aber nicht immer so nah. Gelegentlich ist es der „Tapetenwechsel“, der einem den Kopf frei macht und die Augen öffnet. Ein Besuch in einer der alten Kulturlandschaften kann da Wunder wirken. So im April zwischen Antwerpen, Gent und Brügge. Man bekommt in den historischen Stadtkernen mit ihren noch immer bimmelnden Belfrieden und prächtigen Kirchbauten eine Idee von einem Landstrich, in dem einst nicht nur die Wirtschaft kräftig boomte, sondern in dem die wohlhabende Bürgerschaft auch die Künste in einer Weise förderte, dass man nach mehr als einem halben Jahrtausend noch immer ins Staunen kommt (@Großaktionäre: zur Nachahmung und für die Nachwelt empfohlen – auf dem Genter Altar finden sich die Stifter für immer verewigt). 

Direkt in die Moderne gelangt man in den architektonisch gelungenen Anbauten im Antwerpener KAMSKA (dem Königlichen Museum der Schönen Künste). Was für eine Überraschung, wenn Kokoschkas Portrait eines Affen neben einem Rembrandt hängt. Mutig, herausfordernd, intelligent. 

Am Rande unter den flämischen Malern: Henri De Braekeleer (1840–1888) mit seinem „Kunstliebhaber“ aus dem Jahre 1884. Ein Bild, in dem die Betrachtung älterer Bilder gezeigt wird, nunmehr betrachtet durch uns, in der jeweiligen Gegenwart. 

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Henri De Braekeleer (1840–1888). Der Kunstliebhaber (1884). KMSKA Antwerpen. Foto: mku

Henri De Braekeleer (1840–1888). Der Kunstliebhaber (1884). KMSKA Antwerpen. Foto: mku

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Ein überzeitliches Spiel mit der Zeit, dem Kunstverständnis und dem eigenen Ich. Fast beiläufig (im wahrsten Sinne des Wortes) nimmt man das unscheinbare Gemälde wahr, aber es erzählt am Ende mehr über den aktuellen Betrachter als über den Portraitierten. Ein Bild im Bild – das am Abend dann beim Konzert mit dem Antwerpen Philharmonic Orchestra und Sylvain Cambreling im 2016 runderneuerten Königin-Elisabeth-Saal eine überraschende Entsprechung in Hans Zenders Schumann-Phantasie aus dem Jahre 1997 fand. Eine selten gespielte kompositorische Deutung von Robert Schumanns Fantasie op. 17 – betrachtend, übermalt, interpretiert, und an diesem Abend instruktiv mit Ravels Instrumentation einzelner Nummern aus Schumanns Carnaval op. 9 sowie den Arien aus Ligetis Le Grand Macabre kombiniert.

Es gibt Koinzidenzen, die man nicht bestellen kann, sondern die sich ergeben. Man muss nur offenen Auges durch die Welt oder ein Kunstmuseum gehen. Und ja: Derartiges macht am Ende den Kopf frei für Neues.

Über Reihe 9

Immer am 9. des Monats setzt sich Michael Kube für uns in die Reihe 9 – mit ernsten, nachdenklichen, manchmal aber auch vergnüglichen Kommentaren zu aktuellen Entwicklungen und dem alltäglichen Musikbetrieb. Die Folgen #1 bis #72 erschienen von 2017 bis 2022 in der Schweizer Musikzeitung (online). Für die nmz schreibt Michael Kube regelmäßig seit 2009.

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