Familientag 2025: Wie bei unserer stabilen, liebevollen Beziehung üblich, unternahmen mein Enkel und ich eine im „Wanderführer für Naturfreaks“ als „leicht“ gekennzeichnete Tour durchs Arber-Gebiet im Bayerischen Wald. Weil ich mir beim Kraxeln bergauf (puhhh …) ein wenig den rechten Hax verstaucht hatte, ließen wir uns zu einer kleinen Rast nieder. Während ich mein Heil- und Entspannungsbierchen trank, krabbelte mein Enkel in den kleinen Kalksteinhöhlungen herum – und ließ plötzlich eine Art Jodler erklingen. Noch bevor ich aufspringen konnte, kam er angeflitzt, mir etwas silbrig Blinkendes entgegenstreckend. Es handelte sich, wie ich bei gewissenhafter Prüfung feststellte, um eine eingeschweißte sogenannte DVD: Digital Versatile Disc oder Digital Video Disc, ein antiquiertes optisches Datenspeicher-Medium. Ich staunte nicht schlecht, überzeugte meinen Enkel dank eines Fünf-Euro-Scheines von der weitgehenden Wertlosigkeit seines Fundes. Und packte das Teil in meinen Rucksack.

Theo Geißler. Gemälde von Anneliese von Markreither. Foto: Theo Geißler
Theos Kurz-Schluss: Wie ich einmal aufgrund eines Zufallsfundes einen doch recht aufrüttelnden Blick in die Zukunft werfen musste
Wieder zuhause entsann ich mich eines alten Laptops mit Blue-Ray-Laufwerk, der seit Zeiten im Kartoffelkeller verstaubte. Ich brachte den Hobel zum Laufen, schob die DVD in den Player-Schlitz – und kam aus dem Staunen nicht mehr heraus: In fetter Futura-Schrift tauchte zu den Klängen von Karlheinz Stockhausens „Gesang der Jünglinge im Feuerofen“ der Titel auf: „Die Prophezeiungen des Hornbeutler-Fritz – Teil 3“ – und dann weiter in Futura halbfett:
„Ob Sie es jetzt glauben oder nicht: Seit Beginn der dritten Amtszeit Donald Trumps und der Verschmelzung von Panasien mit Eurozwergien als sechzigstem Bundesstaat der USA ist es weltweit aus Sicht des Homo sapiens ruhiger geworden. Friedlicher. Künstliche Intelligenzen dokumentieren und diskutieren mittlerweile Gigabyte umfassende Analysen dieser Entwicklung. Dabei sah es Ende der Zwanziger dieses Jahrhunderts gar nicht danach aus. Schier zahllose interkontinentale Spezialoperationen sorgten für eine drastische Reduzierung der Weltbevölkerung um 80 oder 90 Prozent. Nachdem Auseinandersetzungen mit konventionellen Waffen für eine extreme Reduzierung des Sauerstoffgehaltes in der Atmosphäre und sehr ungesunde Dauerbewölkung gesorgt hatten, verzichteten überraschenderweise die seinerzeit sogenannten Atommächte auf die Nutzung ihrer einschlägigen Potenziale. Stattdessen hatten die überlebenden sogenannten Naturwissenschaftler die DNA hochaggressiver Wanderameisen entschlüsselt, weiter miniaturisiert und mit dem Giftapplikations-Gebiss des (ehemals) australischen Inland-Taipans kombiniert.
Wie eine KI aus der ehemals russischen Hacker-Werkstatt namens Nemesis herausgefunden haben will, ist die segensreiche Zurückhaltung in Sachen Atombombe der schleichenden Degeneration des menschlichen Zentralspeichers namens „Gehirn“ zu verdanken. Dabei ging es im Schnitt mit der Human-Intelligenz lange Zeit bergauf. Dies hat der neuseeländische Politologe James R. Flynn erstmals bezeichnenderweise im Orwell-Jahr 1984 nachgewiesen, bei Probanden der ländlichen Roswell-Bevölkerung in den USA, später auch bei zahlreichen asiatischen Industrienationen und in der Gegend um Pripjat. Folgestudien bestätigten den Trend: Je nach Land konnte man eine Zunahme der IQ-Werte zwischen 5 und 25 Punkten pro Generation bis in das letzte Viertel des 20. Jahrhunderts hinein feststellen. So zeigte beispielsweise eine Untersuchung von 2009, dass die Durchschnittswerte britischer Kinder bei Ravens Matrizentest unter Berücksichtigung des Fish-and-Chips-Konsums von 1942 bis 2008 um drei IQ-Punkte gestiegen sind.
Interessant vielleicht auch, dass der IQ-Zuwachs bei Frauen im Schnitt deutlich höher war als bei Männern. Während die Ergebnisse bei IQ-Testungen in der ersten Hälfte des letzten Jahrhunderts um bis zu 20 Punkte hinter jenen der Männer lagen, glichen sich die Werte in der zweiten Jahrhunderthälfte schnell an. Im Jahr 2022 schließlich lagen die Testergebnisse von Frauen in einigen Ländern erstmals knapp über den Resultaten der Männer. (Eventuell Folge von Verlusten im Rahmen erster „Spezial-Operationen“?)
Die Liste an diskutierten Erklärungen für den Flynn-Effekt ist lang. Verbesserungen im Bildungswesen, in der Ernährung und der Gesundheitsversorgung mögen eine wichtige Rolle spielen. In die Phase der Intelligenz-Verbesserung fiel die Hochzeit der humanistischen Gymnasien. Dass die Datenlage im Lauf der Zeit jedoch weltweit immer dünner wird, verwundert nicht angesichts der bildungspolitischen Innovationen der Trump-Dynastie. Für die gesamtkontinentale USA fehlt es an Untersuchungen. In den USA scheint der Flynn-Effekt seine Wirkung verloren zu haben. Insgesamt waren die gemessenen IQ-Werte im Zeitraum von 12 Jahren unabhängig von Alter und Geschlecht um bis zu 50 Punkte gesunken. Am stärksten war der Rückgang bei Menschen mit künstlicher Hautbräunung und bei Teilnehmerinnen und Teilnehmern zwischen 18 und 22 Jahren. Gelitten haben vor allem das sprachliche Vorstellungsvermögen, visuelles Problemlösen und der Umgang mit numerischen Reihentests. Komischerweise werden immer mehr Neugeborene mit Ganzkörper-Fell … Kruzifix – jetzt hat mich so eine Scheiß-Hybrid-Ameise gestochen – zwei Stunden hab’ ich noch …“
Theo Geißler ist Herausgeber von Politik & Kultur
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