Hauptrubrik
Banner Full-Size

Tröt, Schepper, Rumms

Untertitel
Ferchows Fenstersturz 2017/04
Publikationsdatum
Body

Was erlauben sich unsere Politiker eigentlich beim Zapfenstreich? Selbstdia­gnostizierte Menschlichkeit? Verordnete Volksnähe? Stehen da wie Vorschulkinder. Hand in Hand. Und wischen Kullertränen aus den Augen. Würde ich auch. Beim Gedanken an die Pensions-Öcken. Aber wer denkt bitte an die anderen alten verwirrten Menschen? Die durch ihren Grauen Star nur Helme, Fackeln und marschierende Soldaten sehen. Und dann bei ARD und ZDF nachfragen, seit wann die Wochenschau wieder im Programm wäre.

Junge, Junge. Dann lieber die Zehennägel mit der Schleifmaschine vom örtlichen Sumo-Ringer bearbeiten lassen, als diese zackige Veranstaltung zu ertragen. Überhaupt, Tränen. Weinen die wegen des Amtes? Oder wegen des Liedguts? Denn: Zum guten Ton, falls ihn die Blaskapelle der Bundeswehr mal trifft, gehört, dass sich scheidende Politiker drei Gassenhauer aussuchen dürfen. Blöd nur, dass das Schepper-Korps der Bundeswehr da ran muss. Warum nicht die Blockflötengruppe der benachbarten Kita „Auf der schwäbsche Eisenbahn“ quieken lassen? Dann laufen die Tränen erst. Und zwar so, dass man sich lieber vor selbige Eisenbahn werfen statt mit jener fahren möchte. Aber die Musik soll zur blass-blutleeren Karriere passen. Wie vor kurzem. Als Gauck ging. Für viele überraschend. Sie wussten gar nicht, dass er da war. „Über sieben Brücken musst du gehen“ wollte er hören. Echt jetzt, Herr Gauck? Manche wollten doch nicht mal über eine Mauer gehen. Oder klettern. Aber war ja nie so sein Thema. Sei’s drum. Die Kapelle spielt. Gnadenlos alles. „Live is Life“ (Bierzeltkeule von Opus) leierte man für Thomas de Maizière oder das bodenständige „My Way“ für Gerd Schröder. Einzig Karl-Theodor zu Guttenberg scherte aus und ließ sich mit Deep Purples „Smoke on the water“ aus dem Amt brummen. Beobachter sprachen allerdings von nervös umherirrenden Diplomaten, als in den hinteren Reihen des Zapfenstreichs mit dem ersten Riff Bierflaschen an den Stahlhelmen der Soldaten geöffnet wurden.

Treffender in Guttenbergs Fall: die Österreicher Relax mit „A weißes Blattl Papier liegt scho seit Stunden vor mir…“. Hätte was gehabt. Aber gut. Zur richtigen Songauswahl gehört Selbstreflexion. Was uns zu Christian Wulff bringt. Statt einer passenden Version von „Our house, in the middle of our street ...“ verabschiedete er sich sämig mit „Somewhere over the Rainbow“. Klang damals wie eine Schallplatte auf Ritalin. Wobei man froh sein muss, dass die Tröt-Einheit der Bundeswehr bei all den Skandalen überhaupt solches Liedgut spielt. Und nicht die guten alten Volkslieder verbreitet. Wenn es bei Mutti dann soweit ist, darf ich schon mal DJ Ötzis „Ein Stern, der deinen Namen trägt“ vorschlagen. Dazu kann die erste Reihe der Ehrengäste gesellig schunkeln. Und miteinander flüchten, wenn Mutti final ein rüstiges „Don’t cry for me Alemania“ anstimmt. Bis dahin eine gut gemeinte Anregung von Oscar Wilde: „Musiker haben immer nur den Wunsch, dass man absolut stumm ist, während man selbst nur den Wunsch hat, absolut taub zu sein“.

Weiterlesen mit nmz+

Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.

 

Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50

oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.

Ihr Account wird sofort freigeschaltet!