„I was born long long ago Juli, the 4th 19-0-0 back o’town down in James Alley – just a boy of New Orleans“, sang Louis „Satchmo“ Armstrong im Mai 1970. Der zweite Teil der Aussage war korrekt, der erste Teil freilich war eine Lüge, die bis in die späten 80er-Jahre hinein weiterverbreitet wurde.
„I was born long long ago Juli, the 4th 19-0-0 back o’town down in James Alley – just a boy of New Orleans“, sang Louis „Satchmo“ Armstrong im Mai 1970. Der zweite Teil der Aussage war korrekt, der erste Teil freilich war eine Lüge, die bis in die späten 80er-Jahre hinein weiterverbreitet wurde.Satchmo“ traf keine Schuld, hatte er doch selbst bis zu seinem Lebensende an dieses Geburtsdatum geglaubt. Noch zur Jahrhundertwende war es bei armen Schwarzen Brauch gewesen, ein ehrenvolles Datum als Geburtsdatum anzunehmen. Das Jahr sei ähnlich flexibel gewesen, berichtet sein Biograf Laurence Bergreen. Erst als sich ein Forscher auf die Suche nach seinem Taufschein machte, konnte diese Showbiz-Legende zerstört werden: Als „niger, illegitimus“ wurde Louis Armstrong am 4. August 1901 geboren.What a wonderful world
Ich erinnere mich an den Frühling 1968, als eine beseelte, leicht melancholische Stimme aus dem alten Radio erklang und etwas von einer „wunderbaren Welt“ sang. Ein gewisser Louis Armstrong sei das gewesen, verkündete der Sprecher. Nie gehört. Ende des Jahres lief mir dann noch ein anderer Louis über den Weg, King Louie, der König des Affenstaats, der Jungle-V.I.P. im „Dschungelbuch“. Und obwohl dieser König eindeutig mit der Stimme von Klaus Havenstein sprach, ließ mich der Gedanke nicht los, dass die beiden Louis irgendwas miteinander zu tun haben könnten. Zwei Jahre später schlich ich mich – trotz meines jungen Alters – in meinen ersten James-Bond-Film: „Im Geheimdienst ihrer Majes- tät“. Heimlich zerdrückte ich einige Tränen, als dort auf der Leinwand Diana Rigg alias Emma Peel starb. Und wieder erklang dazu diese überirdische Stimme: „We Have All The Time In The World“. Alle Zeit der Welt zu haben – welch ein Mantra! Endlichkeit und Ewigkeit waren für mich verschwis- tert. Als im Juli 1971 der – inzwischen sanft entschlafene – „Melody Maker“ Satchmos Tod zum Aufmacher wählte, wusste ich: „Pops“ war Pop.
Mackie Messer
Seit den frühen Fifties war „Pops“ zur lebenden Jukebox geworden. Als „Serenader“ sang er Gassenhauer wie „La Vie En Rose“, „C’est Si Bon“ oder „Blueberry Hill“. Als er im Mai 1964 mit „Hello, Dolly!“ die Beatles mit „Can’t Buy Me Love“ von der Spitze der amerikanischen Hitparade verdrängte, konnte er auf eine über 40-jährige Karriere als „King of Jazz“ zurückblicken. Die Jazz-Puristen hatten sich freilich zu dieser Zeit schon längst von „Satchmo“ mit Grausen abgewandt. Etwas zu vorschnell, denn wer etwa genau hineinhörte in seine Version von Kurt Weills 3-Groschen-Moritat von „Mackie Messer“, der konnte einen großen „barbarischen“ Künstler entdecken, die schwarze Stimme Amerikas. „Ich hab’ Louis’ Version von ‚Mack The Knife‘ entdeckt“, schreibt Ralph Ellison an Albert Murray, „Shakespeare hat Caliban erfunden oder sich selbst in ihn verwandelt. Wer zum Teufel hat sich bloß Louis ausgedacht? Manche von den Bop-Boys halten ihn für Caliban, aber wenn er das wirklich ist, dann ist er eine Maske für einen lyrischen Dichter, der sehr viel größer ist als die meisten, die heutzutage schreiben. Mann und Maske, Niveau und Geschmack, und alles versteckt sich hinter Kaspereien und derben Manieren – der amerikanische Witz, Mann.“ Nur die Version eines anderen Stimmenimitators, Bertolt Brecht aus Augsburg, konnte es mit diesem schwarzen Mackie Messer aufnehmen.
Mad about the boy
Im Oktober 1924 tauchte Louis Armstrong zum ersten Mal in einem New Yorker Studio auf, als Mitglied von Fletcher Hendersons Big Band. So etwas hatte man im Big Apple noch nie gehört, „echten“ Jazz. Selbst die Musiker spielten verrückt. Der Kornettist Rex Stewart über dieses Ereignis: „Dann kam Louis Armstrong in die Stadt. Ich wurde verrückt wie alle anderen auch. Ich versuchte, wie Louis zu sprechen, wie Louis zu gehen, wie Louis zu essen, wie Louis zu schlafen.“ Ein Jahrzehnt später wird in Paris auch das Multi-Talent Boris Vian dem „King of Jazz“ verfallen, er wird seinem Idol an der Trompete nacheifern und sich ganz und gar dem Jazz verschreiben. Wie der gerade aus dem Nebel der Vergessenheit zurückgekehrte Henri Salvador damals schrieb: „Er war versessen auf Jazz, er lebte nur durch den Jazz, er hörte Jazz nicht, er drückte sich im Jazz aus.“
Hotter than that
Louis Armstrong war die Stimme Amerikas, noch lange vor Bing Crosby, Frank Sinatra oder Bob Dylan. Ohne ihn würde Pop-Musik heute anders klingen.
„Satchmo“ erfand den Scat-Gesang („Heebie Jeebies“), veredelte Tin-Pan-Alley & Broadway-Schlager wie „Stardust“ in „Jazz-Standards“ und erschuf auf Schallplatte den Jazz-Solisten, den Solitär im Ensemble. Jenseits von Vaudeville & Bordell benutzte er das Studio in den Roaring Twenties zum ers- ten Mal in der Geschichte der 78er-Schallplatte als Musik-Labor. Um bei „OKeh“ mustergültige Aufnahmen („Hot Five“ & „Hot Seven“-Recordings) zu schaffen – die anno 2001 mit einem „Grammy“ ausgezeichnet wurden! –, wie viel, viel später im Studio Frankieboy, Miles Davis, Glenn Gould, Robert Zimmermann, Phil Spector oder John, Paul, George & Ringo. Als „glorios extrovertierte Evokation einer Grillparty im Freien“ hat etwa der Jazzkritiker Ian Carr „Struttin’ With Some Barbecue“ von 1927 bezeichnet: „Ihr Herzstück ist ein Armstrong-Solo über Offbeats der Rhythmusgruppe. Mit komplexen, wirbelnden Phrasen, dramatischen Sprüngen ins hohe Register und einem extrem komplizierten Trompeten-Break erschließt er neues Territorium. Er geht an die Grenzen des Möglichen. Am verrücktesten ist die Koda: Die Rhythmusgruppe verstummt, und plötzlich klingt das Stück privat und introvertiert, denn Trompete, Posaune und Klarinette spielen sehr leise harmonisierte Phrasen, unterbrochen von kurzem Schweigen.“