Es wurde zwischen „Boulez100“ und dem beeindruckenden Spektrum an Liederabenden ein programmatisch sinnfälliges Sonderkonzert der Staatskapelle Berlin mit Solist:innen der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Die vom Komponisten György Kurtág (98) für sein Opus „Mi is a szó / What is the word op. 30“ gewünschte Positionierung des Publikums zwischen den mit Elektronik verstärkten Gesangstimmen und Orchesterinstrumenten erwies sich im Pierre Boulez Saal als praktikable Notwendigkeit. Die komplette Besetzung hätte auf der Mittelfläche keinen Platz gehabt. Ein anspruchsvolles Rahmenprogramm zu Johannes Eraths opulenter Inszenierung von Kurtágs „Fin de partie“ (Endspiel) nach Samuel Beckett im Knobelsdorff-Bau.

Großes Highlight im kleinen Rahmen. Foto: Roland H. Dippel
Ambitioniertes Rahmenprogramm: Kurtágs zweites Beckett-Opus neben „Fin de partie" im Pierre Boulez Saal
Hoffentlich wird Intendantin Elisabeth Sobotka trotz Sparauflagen und ihrer Priorisierung der Verpflichtung von Gesangsstars als Exzellenzkriterium für hauptstädtische Musiktheater an solchen Konzerten festhalten: Flankierend zur Vorstellungsserie von György Kurtágs Beckett-Oper „Fin de partie“ im Opernhaus Unter den Linden setzte man im Pierre Boulez Saal Kurtágs zwanzigminütiges Stück „Mi is a szó / What is the word op. 30“ zwischen Béla Bartóks Divertimento für Streichorchester Sz 113 und Franz Schuberts Sinfonie Nr. 5 B-Dur D 485. Kein Konzert wie viele andere der Staatskapelle Berlin! In der überaus präsenten, starken, üppigen Akustik des eiförmigen und asymmetrischen Saals erwuchs aus der akustischen Direktheit ein bezwingender klanglicher Nachdruck. Das umfangreiche Blasensemble wurde im mittleren Rang postiert. In der Arena stand das Vokalquintett mit der Solovioline zwischen Tasteninstrumenten und Zymbal.
Kúrtág hatte eines der letzten Gedichte Becketts in dessen englischer Übersetzung aus dem französischen Original kennengelernt und in ungarischer Sprache vertont. Die im Pierre Boulez Saal erklungene mehrstimmige Fassung mit Orchester entstand 1991, ein Jahr nach der Keimzelle mit Klavier für die Sängerin und Schauspielerin Ildikó Monyók. Nach einem Autounfall konnte diese zwar ihre Sprechfähigkeit zurückgewinnen, kämpfte aber seither immer wieder gegen das Stottern. Gerade dieses Phänomen machte Kurtág zum wesenhaften Gestaltungsprinzip seiner Komposition. Mit durchaus theatralem Impetus artikuliert sich das Vokalquintett in kleinsten Phonemen, Silben, mit Zischen und im konsonantischem Akzentuieren. Trotzdem komponierte Kurtág keine Sprachzertrümmerung. Die beiden Solostreichinstrumente spannen Klangfäden über die Hörer hinweg. Instrumentaltöne und -akkorde legten Bögen wie geatmete Klammern unter die weithin gesangslosen Stimmen.
Highlight in kleiner Besetzung
„folly to see what“ könnten die Kernworte des Iren Beckett für Kurtág gewesen sein, der in seiner fragilen wie dann doch ausholenden Komposition die Narrheit, die Absurdität, eine nicht endende menschliche Komödie der Irrungen im Sinnlosen fixierte. Der aus Rumänien stammende, nach Ungarn gezogene und mit hoher Schaffensenergie seinem 100. Geburtstag am 19. Februar 2026 entgegensehende Kurtág schöpft auf knappsten Raum alle Möglichkeiten der physischen Tongebung aus, die zwischen Sprache und intonierendem Atem möglich scheint. So ist es kein „Verhören“, wenn man von der auch in „Fin de partie“ mitwirkenden und hier unter „Rezitation" stehenden Mezzosopranistin Dalia Schaechter das kantabelste im gesamten Ensemble zu vernehmen glaubt. Allein steht sie rechts von Finnigan Downie Dear. Dessen knappe Zeichengebung darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass ohne ihn nichts ginge. Kurz vor Beginn des Stückes wurde die Aufstellung mit guter Sicht auf den Dirigenten für alle optimiert. Adriane Queiroz und Natalia Skrycka standen paarweise – Junho Hwang, Carles Pachon und Friedrich Hamel zu dritt.
Legitimation für das einleitende und mit fast versehrender Streicherdichte erklungene Bártok-Stück ist Kurtágs Eintrag „arioso, omaggio a Bartók“ in die Partitur von „What is the word“: Also bewahrheitet sich, dass hinter den vokalen Artikulationen die breit gerundete Motivik doch das gestaltende Hauptmittel des in Wien unter Claudio Abbado mit der Ideengeberin Ildikó Monyók uraufgeführten Stücks ist. Am Ende kräftiger, dabei konturierter Applaus des kenntnisreichen und aufgeschlossenen Publikums im fast ausverkauften Pierre Boulez Saal. Eine der interessantesten Veranstaltungen der Staatsoper Unter den Linden in dieser Spielzeit.
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