„Danke!“ Generalmusikdirektor Dirk Kaftan hielt vielleicht die nicht unbedingt staatsmännischste, dafür aber wohl ehrlichste Rede des Abends. Auf das Danke folgte ein von Herzen kommendes „Endlich!“. In seinem ersten Vertrag hatte Kaftan noch ausdrücklich stehen, dass er 18 Monate ohne Beethovenhalle auskommen müsse. Aus anderthalb Jahren wurden etliche mehr, doch der GMD hat Orchester und Publikum trotz aller Widrigkeiten gut durch schwierige Zeiten geführt. Er steht für eine anspruchsvolle, aber auch offene, vielfältige und publikumsnahe Programmpolitik. Nun soll Kaftan die Beethovenhalle wieder in den Herzen der Bonner verankern. Am Premierenabend dürfte das schon mal gelungen sein.
Anläßlich der Eröffnung hat Bundespräsident Steinmeier die Beethovenhalle in Bonn gewürdigt
Beethovenhalle: Vom Baudesaster zur Architekturikone? Der krisengeplagte Bonner Konzertsaal wurde wiedereröffnet
Viele Reden wurden an diesem denkwürdigen Abend geschwungen, doch auch hier war es Kaftan, der die eindrücklichsten Akzente setzte und den Finger in die Wunde legte. „Was soll das?“, fragte er im Hinblick auf die von Pleiten, Pech und Pannen nicht gerade arme Baugeschichte der Beethovenhalle und die immer wieder aufpoppende Diskussion um die vermeintlich elitäre Hochkultur – und beantwortete sie mit einem entschiedenen Trotzdem: „Das ist kein Fehler im System, das ist eine Entscheidung.“ Diese Entscheidung diene der gesellschaftlichen Teilhabe, der Staat biete Möglichkeiten. „Für Musiker ist das natürlich eine riesige Verantwortung“, dessen ist man sich bewusst, aber, und das zeigt auch das Programm der Eröffnungswoche: man arbeitet daran, den Anspruch auf Vielfalt und eine große programmatische Bandbreite zu verwirklichen.
Das machte nicht zuletzt das Programm des Eröffnungsabends in der mit 1600 Gästen vollbesetzten Beethovenhalle deutlich. Natürlich gab es Beethoven: wie drei markerschütternde Donnerschläge hallten die ersten Töne der Ouvertüre zu „Die Geschöpfe des Prometheus“ durch die akustisch optimierte Halle. Das Beethoven Orchester Bonn, das war nicht zu überhören, konnte es nach neun Jahren ohne echte Heimstatt kaum erwarten. Energisch und kontrastreich ließ Dirk Kaftan das Bild des Feuerboten Prometheus zeichnen, genauso wie Beethovens viertes Klavierkonzert. Hierfür hatte man mit Fabian Müller einen Weltklassesolisten mit Lokalkolorit: Müller stammt aus Bonn, machte hier seine ersten musikalischen Schritte und spielt längst auf internationalem Top-Niveau.
Das zeigte sich auch in der Beethovenhalle, wo Müller zusammen mit dem Beethoven Orchester bestens harmonierte, etwa im zweiten Satz, wo man den Gegensatz zwischen markigen Unisono-Passagen und lyrischen Antworten darauf sehr kontrastreich ausformulierte, oder im überschwänglichen Finalsatz. Was Müller und das Beethoven Orchester hier boten, hatte tatsächlich Weltklasse-Niveau. Eine geplante Uraufführung von Sara Glojnarić fiel der knappen Zeit zum Opfer, mit ihrem Werk „Everything, Always“ gab es aber adäquaten Ersatz. Das Stück ist eine Art „Work in progress“, ein Blick in den Arbeitsprozess der Komponistin und macht diesen gewissermaßen zum Werk. Das war durchaus humorig und bot vielfach Anlass zum Schmunzeln.
Das gigantische Finale des mehr als vierstündigen Abends besaß mit Gustav Mahlers Auferstehungssinfonie – ebenso wie die Prometheus-Ouvertüre zu Beginn – eine durchaus programmatische Dimension. So wie die Beethovenhalle dem mythischen Vogel Phoenix gleich aus der Asche erstanden ist, ließ Mahlers Musik den Blick auf die Erlösung richten. Das programmatische Anliegen wirkte mehr als sinnig, die dramaturgische Wirkung war phänomenal: die ersten Worte des Chores im Finale („Aufersteh’n, ja aufersteh’n….“) ließ Kaftan im Sitzen singen, im Pianissimo, wie aus dem Nichts. Ein Moment mit Gänsehautcharakter.
Ansonsten tat Kaftan allerdings alles, um Mahlers ebenso gigantische wie hypertrophe Partitur gehörig zu entstauben. Sportive Tempi, harsche Kontraste und ein in der aufgehübschten Akustik der Beethovenhalle etwas synthetisches, gleichwohl umwerfendes Tutti, all das ist in Mahlers Musik schon angelegt. Kaftan jedoch ließ dabei trotz aller derb aufeinanderprallenden Kontraste strikte Transparenz walten, lotete die Grenzen zum latent vorhandenen Kitsch und zur Volksmusik bis zum letzten My aus und legte eine beeindruckende Detailtiefe an den Tag. Zusammen mit dem in jeder Hinsicht brillant spielenden Beethoven Orchester sorgte er für viele Momente, die im Gedächtnis bleiben: den tänzerischen Duktus des Andante etwa und dessen perfekt arpeggierten Schluss, den rustikalen Beginn des burlesken dritten Satzes, in dem die Grenzen zur Kirmesmusik mit großartigem Drive ausgelotet wurden, oder das überwältigende, aber nirgends kitschige Pathos des Finalsatzes. Ausgezeichnet waren im Übrigen auch der lupenrein intonierende und selbst in der Finalapotheose ebenso druckvoll wie kultiviert mithaltende Bundesjugendchor und die beiden Solistinnen: Gerhild Romberger, die im „Urlicht“ mit verhaltener Alt-Noblesse aufwartete und Katerina von Benningsen, die mit einem brillanten, aber nie übersteuernden Sopran hinriss.
Insgesamt legten Kaftan und die Musikerinnen und Musiker mehr Authentizität an den Tag, als so mancher Redner an diesem Abend. Für den ersten Lacher hatte der Bonner OB Guido Déus gesorgt, der – gerade frisch im Amt – seiner Hoffnung Ausdruck verlieh, dass Verwaltung und Politik aus den aus dem Ruder gelaufenen Kosten lernen mögen. Ein frommer Wunsch! Zur Erinnerung: geplant war eine Generalsanierung für gut 61 Millionen Euro. Am Ende wurde es mehr als das Dreifache: 221 Mio.. Ausgerechnet Déus hatte allerdings gerade einen geleasten 100.000-Euro Dienstwagen mit Chauffeur (Kostenpunkt: rund 57.000 € p.a.) geordert, nachdem seine Vorgängerin Katja Dörner aus Kosten- und Klimaschutzgründen auf ein entsprechendes Statussymbol verzichtet hatte. Nun. Déus lobte Dörner allerdings explizit für ihren Mut, den externen Projektsteuerer Steffen Göbel mit an Bord zu holen, der die verfahrene Situation in der Beethovenhalle letztendlich gelöst und den Gordischen Knoten durchschlagen hatte.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier betonte in seiner Rede die politische Dimension der Halle, die als wichtiger Ort der Demokratie in der Bundesrepublik zum kulturellen Erbe des Landes gehöre. Er betonte ferner das bürgerschaftliche Engagement, das die Halle erst möglich gemacht hatte, und ihren völkerverbindenden Charakter. Für die UN-Stadt Bonn, in der mittlerweile mehr internationale Organisationen als zu Hauptstadtzeiten sitzen, ist das ein nicht unwesentlicher Gedanke, immerhin arbeiteten rund 2.200 Handwerker aus 22 Nationen an der Halle. NRW-Kulturministerin Ina Brandes lobte in ihrer Rede die Halle, die stolz ihre Vergangenheit zeige und in die Zukunft weise. Sie verglich die Beethovenhalle mit der Hamburger Elbphilharmonie und hob insbesondere die Akustik hervor, die nach der Generalsanierung nun eine der besten in Deutschland sei. Das freilich wird sich noch zeigen. Eine architektonische Landmarke wie die Elbphilharmonie ist die Beethovenhalle jedenfalls trotz ihrer zweifelsohne vorhandenen historischen Bedeutung nicht. Sie ist eine städtische Mehrzweckhalle. Daran ändert auch eine denkmalgerechte State-of-the-Art-Generalsanierung des gutbürgerlichen Miefs der 1950er Jahre nichts.
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