Wenn die Musikstadt München schon eine zweite Oper - womöglich eine „…comique“ hat … und wenn die große Schwester das Werk zuletzt „damals“, nämlich 2009 herausgebracht hat – ja, dann muss sich das Staatstheater am Gärtnerplatz herausgefordert fühlen. Und werkironisch wie das Haus sich oft gibt, wurde prompt mit „Gluck – Gluck - zum Glück“ geworben. Viel davon konnte tatsächlich „voll eingeschenkt“ und perlend-sprudelnd-aufschäumend genossen werden.

Mina Yu (Giannetta), Andreja Zidaric (Adina), Lucian Krasznec (Nemorino), Chor des Staatstheaters am Gärtnerplatz.
Begeisternd süffiger Zaubertrank – Donizettis „L’elisir d’amore“ am Münchner Gärtnerplatztheater
Setzte „das Gärtnerplatz“ früher auf höchstmögliche Zugänglichkeit und damit auf deutschsprachige Aufführungen in den drei Nachkriegseinstudierungen, so will das „Staatstheater …“ seinem inzwischen gewachsenen Status gerecht werden: also Donizetti-Romanis Wort-Ton-Witz im Original mit Übertiteln. Das blieb keine Renommee-Geste. Dirigent Michael Balke drehte mit dem Staatsorchester nach den atmend-lyrisch gespannten Holzbläser- und Streicherbögen in den Stretta-Teilen dann gehörig bis an die Grenzen des Singbaren auf. Prompt perlten und schäumten Läufe und Passagen wie mit Zauber-Trank, sprich Spumante – oder werkgerecht: mit „amore“ aufgegossen.
Dazu kam dann höchst Erfreuliches, ja Staunenswertes, das mit frenetischem Beifall und Jubel zu feiern war. Da gibt es fünf Solo-Partien – und die waren derart rollendeckend und expressiv besetzt, dass der Musiktheaterfreund den davor liegenden Abend in der Staatsoper (vgl. nmz online vom 23.05.2025) einfach als „erledigt“ abtun konnte.

Levente Páll (Dulcamara), Chor und Statisterie des Staatstheaters am Gärtnerplatz. © Marie-Laure Briane
Auf die Gärtnerplatzbühne hatte Martina Segna ein Provinznest aus abgerissenem Pappkarton gebaut, beschienen mit einem ironischen Goethe-Gruß als „Land, wo …“ statt Sonne eine Zitronenscheibe „blüht“. Darin hat Regisseur Dirk Schmieding klar und flüssig diese leicht vertrackte, meist vom ganzen Dorf verfolgte Liebesgeschichte erzählt. Voran von der süß schlichten Giannetta, die sich auch Hoffnungen auf „Liebe“ macht, „überall“ auftauchend dabei sein will und muss. Dann kommt der von zu viel Pasta aufgeblähte und von seiner örtlichen Wichtigkeit aufgeblasene Sergeant Belcore; er wird von einem vierköpfigen tollpatschigen Komikertrupp in schlecht sitzenden Uniformen begleitet: albern fern jeder „Garde“, „Wache“ oder „Truppe“. Belcore will die nicht nur reiche, sondern auch bildschöne Adina selbstgefällig ratz-fatz heiraten. Das steigert die ohnehin bislang unglückliche Liebe des unbemittelten Nemorino sowohl in Todessehnsucht wie in unbedarfte Gutgläubigkeit an das Liebeselixier – das bietet ein aus dem großen Dorf-Fernseher am Marktplatz – „Cinema Paradiso“ grüßt – entstiegener, Pailletten-glitzernder Popstar „à la Elvis“ an – und dieser Pharma-Schwindler Dulcamara wird auch noch von drei, alle Sex-Plattitüden höchst ansehnlich bedienenden Go-Go-Girls umwirbelt (Choreografie Kerstin Ried). Dieses kunterbunt „naive“ Spiel bekommt Glaubwürdigkeit, wenn Adina nun wirklich der Traum all dieser Mannsbilder sein kann.
Das gelingt in der Aufführung nicht nur äußerlich. Da stehen mit Matija Meič (Belcore) und Levente Páll (Dulcamara) nicht nur zwei maskuline Knall-Chargen da, beide verströmen auch bass-baritonale Fülle fern jedem Nebenfiguren-Maßstab. Julia Sturzlbaums Giannetta entgegnet mit kleinen Sopran-Glanzlichtchen. Mehrfach geistert Pedro Silva als Landstreicher-Gitarrist durch die Szene und setzt ein paar „idiomatisch folkloristische“ Akzentchen.

Levente Páll (Dulcamara), Jennifer O’Loughlin (Adina), Pedro Aguiar. © Marie-Laure Briane
Und dann setzt pures Musiktheaterglück ein. Matteo Ivan Rašič verkörpert mehr als die singulär „reifen“ Rollenvorgänger von Caruso bis Pavarotti realiter den schlank-hochgewachsenen, recht ansehnlichen Nemorino, dem neben Bildung auch alles Geld fehlt; sein durch zu viel falschen Liebestrank neues, gutgläubig falsches Selbstbewusstsein äußert er mit jugendlichem Tenor-Wohlklang, gutem Legato und schöner Höhe: prompt gelingt sein „Una furtiva lagrima …“ anrührend, klagend echt, in der Premierenanspannung nur am Ende ein wenig zu druckvoll. Die „Königin aller traurigen Belcanto-Herrscherinnen“ Jennifer O’Loughlin darf diesmal ganz anders: sie kann sich zu Beginn reizvoll im Badeanzug unter der Zitronen-Sonne räkeln; sie macht in einem feuerroten, atemberaubend dekolletierten Hosenanzug (Kostüme Frank Lichtenberg) Nemorino – und fast allen Männern – ihre begehrenswerte Unerreichbarkeit klar; im weißen Brautkleid wird ihre Eifersucht auf den reichen Erben und nun von allen begehrten Nemorino deutlich – und dann gelingt ein vokal-musikdramatisches Wechselspiel zwischen gespielter neuer Geringschätzung, plötzlich erwachter Zuneigung, Nur-nicht-Nachgeben bei wechselseitig gesteigerter Sehnsucht in wechselnden Tonfarben … dazu wird äußerlich alles in immer engerem Voreinanderstehen tatsächlich so „unaushaltbar“, dass beim endlich-endlich-endlichen heißen Kuss ein leises Aufatmen im Publikum zu hören ist – wann passiert so etwas schon heutzutage im Theater?!
Davor war von beiden so viel beglückendes Belcanto-Singen – ja: zu erleben, dass man beiden Top-Solisten ihr erleichtert lachendes Weiter-Küssen mitlachend abnahm. So theatralisch albern, dann zunehmend menschlich anrührend Gesangstöne annehmend kann vermeintlich „oller Belcanto“ wirken – mille grazie per una serata eccezionale!
Weiterlesen mit nmz+
Sie haben bereits ein Online Abo? Hier einloggen.
Testen Sie das Digital Abo drei Monate lang für nur € 4,50
oder upgraden Sie Ihr bestehendes Print-Abo für nur € 10,00.
Ihr Account wird sofort freigeschaltet!