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Dalibor in Kosice. Foto: Dippel

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„Blutiger Sport“: Das Nationaltheater Kosice feierte Smetanas 200. Geburtstag mit „Dalibor“

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Anders als der 150. Uraufführungstag des Publikumsrenners „Die Fledermaus“ bleibt der 200. Geburtstag des Nationalkomponisten Bedřich Smetana (1824 bis 1884) eine weitgehend auf dessen Heimatland Tschechien begrenzte Hommage. Bedauerlich ist das weniger für die beliebte „Verkaufte Braut“ als für Smetanas kaum geläufige Opern wie „Das Geheimnis“, die lyrische Komödie „Zwei Witwen“ und den als historisches Krawallstück verkannten „Dalibor“. Dieser gelangte am 22. Juni am Nationaltheater Kosice in der Slowakei zur konzertanten Aufführung. Peter Berger und Eliška Weissová glänzten in den herausfordernden Hauptpartien als Liebespaar Dalibor und Milada. Tomáš Hanus zelebrierte die sensible Nationaloper mit Feinschliff, Tiefgang und hohem Melos. 

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Die entstellende Aufführungsgeschichte von „Dalibor“ begann bald nach der Uraufführung am 16. Mai 1868 Prager Interimstheater (Neustädtisches Theater). Schon Gustav Mahler kürzte in Wien das monumentale Werk und dessen rauschhaften Sog um 50 Minuten. Solche manipulativen Eingriffe waren bis weit ins 20. Jahrhundert und noch später die Regel. Durch Zufall gab es in der Spielzeit 2018/19 eine „Dalibor“-Premierenhäufung in Frankfurt am Main, Augsburg und Prag, die in Mitteleuropa noch immer keine positiven Impulse für die Vorstellungsfrequenz hatte. Leider! 

Legendär ist die Textbuch-Situation. Bis zu seinem Lebensende war Smetana nicht ganz sattelfest im Tschechischen – also der Sprache des Landes, dessen Nationalkomponist er wurde. Das in deutscher Sprache verfasste Textbuch von Josef Wenzig vertonte Smetana trotzdem in der tschechischen Übersetzung Ervín Špindlers. Rückübersetzungen von Max Kalbeck für Mahler, dann im kalten Krieg Kurt Honolkas für den Westen ließen offen, ob es sich beim vom Raubritter Dalibor umschwärmten, aber bereits vor Beginn der Oper toten Zdenek um einen ‚Waffenbruder‘ oder ‚warmen Bruder‘ handelt. Sogar in Prag machte man im frühen 20. Jahrhundert die pantomimische Schlüsselfigur, welche Dalibor unter Streicher- und Harfenrauschen erscheint, vom Freund zum weniger verfänglichen Vater. 

Fragen über Fragen: Warum übertrug Smetana im hymnischen Liebesfinale des zweiten Aktes das musikalische Material um Zdenek auf die in Männerkleidern (!) Dalibor seine Geige in den Prager Hungerturm bringende Milada? Und warum denkt Dalibor vor der Auslieferung an die königlichen Schergen noch immer an Zdenek, während Milada an einer Verwundung in der Schlacht stirbt? Das Libretto-Gezerre setzte sich fort bis 2020: Oscar-Preisträger Miloš Forman gab seine Neufassung von „Dalibor“ für Prag 2000 unter Druck konservativer Opernanhänger auf und nannte diese Sisyphus-Arbeit einen „blutigen Sport“. Eine halbe Stunde Musik wollte Forman streichen, also blieben noch immer 105 Minuten von Smetanas „überwältigender Partitur“. „O Janko, könnt’ ich ans Herz dich pressen, der Kerker wär’ mir ein Wonnesaal!“ schwelgt Dalibor in Wenzigs Originaltext, welcher aufgrund Smetanas Vertonung der Übersetzung nicht kompatibel mit der Musik ist. 

Kein Dilemma, aber heikel: Es kann also nur zwei konsequente „Dalibor“-Interpretationen geben. Entweder Dalibor ist im transzendenten Sinne von Jean Genet und Michel Foucault schwul – oder der ferne Freund Zdenek ist eine Allegorie der Freiheit und der Musik. Im zweiten Fall hätten diejenigen recht, welche das tschechische Musikmonument „Dalibor“ als epigonale Antwort auf Beethovens „Fidelio“ (Frau befreit Mann aus Kerker) und Wagners „Lohengrin“ (Held aus „Glanz und Wonne“) betrachten. Die Frage, ob sich Dalibor und Zdenek/Janko umarmen, Seite an Seite kämpfen oder ‚nur‘ miteinander musizieren, ist demzufolge essenziell. Alles scheint möglich unter Smetanas Melodien, die von Mahler sein könnten, und seiner eher dem späten Verdi denn Wagner nahestehenden Instrumentation. Deshalb ist auch klar, dass man am Nationaltheater Kosice nach tieflotenden und deshalb international beachteten Produktionen von Szymanowskis „König Roger“ und „Tannhäuser“ unter der seit September 2023 amtierenden Kulturministerin Martina Šimkovičová eine konzertante Produktion des umstrittenen Opus bevorzugte. 

Diese auch dem „Jahr der Musik“ 2024 des befreundeten Nachbarlandes Tschechien gewidmete Hommage geriet zu einer Sternstunde mit Glanz und Gloria. Nach der souveränen Vorbereitung des Chors und des Nationaltheater-Orchesters durch Peter Valentovič bewies Tomáš Hanus in nur wenigen Probentagen, warum er an großen Häusern als Fachmann für tschechisches Repertoire gehandelt wird. Hanus gestaltete mit einer Detailfreude, einer dynamischen und nur ganz selten die volle Fortissimo-Dröhnung suchenden Feinarbeit, welche die Beliebtheit von „Dalibor“ in Tschechien und in der Slowakei in glorioser Bestform bestätigte. Dazu hatte eine Besetzung mit vokaler Pracht, Hochspannung und Sensibilität. Peter Berger – mit Hanus von einer Vorstellungsserie aus Brünn und Litomyšl kurz in die Ostslowakei gekommen – schaut eher aus wie ein gesetzter Janáček- oder Dvořák-Gutsherr in Böhmens Hain und Flur denn ein dekadenter Ritter mit Sinnkrise betreffend Minnedienst. 

Das gab es weder in Frankfurt am Main noch Augsburg und nicht einmal in Prag: Berger singt Dalibors Arien-Run im zweiten Kerkerbild mit dessen Deklamationsstrapazen und Höhentorpedos ohne Striche, auf edelster Linie und dazu mit einem unter Tenören heute seltenen elegischen Schleier. Neben ihm brillierte die nach Erfolgen an der Wiener Staatsoper zunehmend für „Elektra“ und Co. gesuchte Eliška Weissová: Eine Hochdramatische mit Mezzo-Fundament, unerschöpflichen Reserven und vollkommen angstfrei in den oft unterschätzten tiefen Passagen. Berger und Weissova spielen ein echtes Liebespaar und liegen sich zum Ende ihrer Duette unter dem Jubel des Publikums demonstrativ in den Armen. Die anderen Partien kamen aus dem Ensemble und ständigen Gästen des Nationaltheaters. Als König Vladislav zeigte Marián Lukáč vergleichsweise milde Autorität und gab in der Arie des dritten Aktes einen sehr subtilen Einblick in die Belastungen durch das Herrscherdasein. Michaela Várady wertete Dalibors Helferin Jitka mit klar gefasstem Fokus und in schönem Kontrast zu Weissovás Milada stehender Leuchtkraft auf. Juraj Hollý empfiehlt sich in der kurzen Partie des Vitec mit nachdrücklichem Potenzial als zukünftiger Dalibor. Jozef Benci gab dem Kerkermeister Benesch Gewicht und holte zu Recht aus der Komödienleichtigkeit. Dass Benci und Michal Onufer (Budivoj) in der Regel Hauptpartien singen, zeigt den hohen Rang des Ensembles in Kosice. 

Wenn dort im Herbst die slowakische Nationaloper „ Krútňava“ Eugen Suchoň zur Premiere gelangen wird, ist diese Entscheidung das Ergebnis einer langfristigen Planung. Es inszeniert Vera Nemirová in Bühnenbildern von Stephan Braunfels.

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