Diese entsetzlichen Bilder aus Syrien sind im August 2014 um die Welt gegangen: Kämpfer der Terror-Organisation „Islamischer Staat“ enthaupten einen zuvor entführten und gefolterten amerikanischen Journalisten. Ob die Bilder echt sind, lässt sich nicht überprüfen. Fakt jedoch ist: James Foley ist tot. Kurz zuvor wird er gezwungen, eine Art „Botschaft an Amerika“ vorzulesen, eine Drohung, eine Warnung … Dreieinhalb Jahre später werden die IS-Mörder festgenommen, unter ihnen Alexanda (oder Alex, oder Alexander) Kotey. Wiederum dreieinhalb Jahre später steht dieser in den USA vor einem Gericht in Virginia. Hier beginnt die Oper „American Mother“ von Charlotte Bray, jetzt uraufgeführt als Auftragswerk des Theaters Hagen. Ein mutiges Projekt!

„American Mother“. Premiere (Uraufführung) am Theater Hagen: 31. Mai 2025 (Großes Haus). Timothy Connor, Katharine Goeldner. Foto: Volker Beushausen
Charlotte Brays „American Mother“ ergreifend im Theater Hagen uraufgeführt
Es geht um ein Gespräch, das real stattgefunden hat zwischen Diane Foley, der Mutter des Ermordeten, und Alexanda Kotey, dem Mörder. Damals mit dabei: ein Gefängniswärter und Colum McCann, der irische Schriftsteller, der die vierstündige Begegnung quasi beobachtet und sie anschließend gemeinsam mit Diane Foley in einem Buch dokumentiert hat.
Wobei „Dokumentation“ zu kurz gegriffen ist, denn weite Teile des Buches thematisieren gesamtgesellschaftliche und weltpolitische Zusammenhänge, die in Charlotte Blays Oper aber ganz ausgespart bleiben. In ihr geht es vielmehr exemplarisch um zwei Menschen, um Opfer und Täter – und wie sie miteinander in einen Dialog treten können. Alexanda Kotey rekurriert darauf, „nur“ seine Pflicht getan, „nur“ Befehle ausgeführt zu haben. Diane Foley ist seit dem Verlust ihres Sohnes geprägt von abgrundtiefer Trauer, für die sie nicht einmal mehr Tränen hat. Ist hier überhaupt Vergebung, gar Versöhnung möglich? In diesem Fall ein zartes „Ja“, denn nach den rund 80 Minuten Oper reichen sich der Killer Kotey und Diane Foley die Hand. Ergreifend!
Wir fühlen uns ein in die Gedanken der beiden, hören Kommentare des getöteten James Foley und der Mutter des IS-Kämpfers, die etwas im Hintergrund formuliert werden. Daneben agiert der Chor, der die Äußerungen der Hauptfiguren fragmenthaft wiederholt, aber gegen Ende auch uns, die Rezipierenden verkörpert und dadurch einbezieht.

„American Mother“. Premiere (Uraufführung) am Theater Hagen: 31. Mai 2025 (Großes Haus). Roman Payer,Katharine Goeldner. Foto: Volker Beushausen
Bezwingend ist Charlotte Brays Musik: über weite Strecken stille, flächige Klänge, nur selten durch Pausen unterbrochen, gelegentlich sich dramatisch aufschwingend, dafür sehr farbig und sinnlich angelegt. Und freundlich im Hinblick auf die gesungenen Partien! Katharine Goeldner taucht vollständig ein in ihre Mutter-Rolle, transportiert die mit Haut und Haaren durchlebten Gefühle unmittelbar und vermittelt den Eindruck, als wäre die Oper allein für sie geschrieben. Ihr Gegenüber ist Timothy Connor, ein Edel-Bariton, der das Hin- und Hergerissensein des Alexanda Kotey darstellerisch wie stimmlich überzeugend beglaubigt. Angela Davis verkörpert dessen Mutter einfühlsam, wenn auch aus der Distanz heraus. Dong-Won Seo, als Gefängniswärter alles andere als ein Sympathieträger, mobilisiert mit Aplomb seinen raumgreifenden Bass – das genaue Gegenteil zu Roman Payer in der Rolle des toten Journalisten, den er mit klarem, perfekt fokussiertem Tenor fiktiv Leben einhaucht.
Im Orchestergraben sorgt Dirigent Joseph Trafton mit dem Philharmonischen Orchester Hagen und dem Opernchor (Einstudierung: Julian Wolf) für eine ganze Fülle irisierender Klangtableaus von großer suggestiver Kraft.
Das Ganze spielt sich ab auf der eher kargen Bühne von Christopher Barreca: zwei Stühle, ein Tisch, anfangs ein Spiegel, zwischendurch eine vom Schnürboden abgesenkte Brücke für James Foley. Sparsam – aber völlig ausreichend für Regisseur Travis Preston. Er entwickelt ganz intime Momente und liefert tiefe Einblicke in das Innenleben der beiden Protagonisten, die es schließlich schaffen, sich die Hand zu reichen.
Im Programmheft wird Charlotte Bray zitiert mit dem Satz: „Als Künstlerin möchte ich Menschen mit Themen konfrontieren, die sonst oft ignoriert werden.“ Dies ist ihr gelungen!
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