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v.l.n.r.: Sophia Keiler (Prinzessin Stephanie), Christian Wincierz (Prinz Sascha von Tadschikistan) und Richard Glöckner (Egon Fürst).  Bild: Dirk Rückschloß / Pixore Photography

v.l.n.r.: Sophia Keiler (Prinzessin Stephanie), Christian Wincierz (Prinz Sascha von Tadschikistan) und Richard Glöckner (Egon Fürst). Bild: Dirk Rückschloß / Pixore Photography

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Charmante Begegnung mit einer flotten Hundertjährigen

Vorspann / Teaser

Das Eduard-von-Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz glänzt wieder mit einer Ausgrabung: „Der Fürst von Pappenheim“ von Hugo Hirsch.

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Sie haben es wieder gemacht! Und es ist ihnen wieder gelungen! Diesmal mit Hugo Hirschs Operette „Der Fürst von Pappenheim“. Das Eduard-von-Winterstein Theater in Annaberg-Buchholz ist schon längst vom Geheimtipp zu einer sicheren Bank in Sachen Ausgrabung vergessener Operetten (und anderer Musiktheater-Schätzchen) avanciert. Beim aktuellen Schmuckstück-Beispiel gibt sich der Titelheld zwar nicht als Fürst aus, dementiert aber ein auf der Hand liegendes Namens-Missverständnis auch nicht. Er nutzt es bewusst, um in seinem Job als Mode-Verkäufer den entscheidenden Tick erfolgreicher zu sein, als er es mit seinem beredten Charme eh schon ist. Der gute Mann ist keineswegs von Adel, sondern heißt einfach Egon Fürst und arbeitet für das Berliner Modehaus Pappenheim. Nicht ganz korrekt, aber berlinerisch-sächsisch flott geht ihm so „Egon Fürst von Pappenheim“ locker und nicht so ganz falsch über die Lippen.

Der von den Nazis wegen seiner jüdischen Herkunft nach 1933 verfemte und vertriebene Operetten- und Schlagerkomponist Hugo Hirsch (1884-1961) hatte 1923 mit seinem Dreiakter „Der Fürst von Pappenheim“ im In- und Ausland einen durchschlagenden Erfolg. Der Platzalter für seinen Namen im kollektiven Gedächtnis ist sein „Wer wird denn weinen, wenn man auseinandergeht, wo an der nächsten Ecke schon ein andrer steht?“, das unter anderem Marlene Dietrich aufgenommen hat. Mit einer Portion Slapstickdrängelei eingefügt, findet sich dieser Ohrwurm jetzt auch in der Ausgrabungsinszenierung, mit der Regisseur Christian von Götz mit bewährter leichter Hand und Jens Georg Bachmann und die Erzgebirgische Philharmonie mit hörbarem Vergnügen zu Werke gehen. 

Bei dieser Schlager-Operette gehen fast alle Nummer sofort ins Ohr – von der Reise mit der Mitropa durch Europa bis hin zum running Gag „Und zum Schluss, ganz um Schluss schuf der liebe Gott den Kuss“. Man kann sich streiten, ob jede der Worteinlagen unentbehrlich ist – beim Gesungenen möchte man wirklich auf keine Nummer verzichten. 

Allerdings werfen Christian von Götz (der auch die Ausstattung besorgte) und Lezek Kuligwoski mit seiner Choreografie auf der Drehbühne mit Kaufhauskulisse unterm doppelbödig interpretierten Werbemotto „Verwandelt Euch!“ ein Komödienkarussel an, auf das man gerne aufspringen möchte. Nadja Schimonsky gibt hier als Fräulein Olli ein Art Spielführerin. Der Pappenheim-Werbeslogan „Der neue Mann ist jetzt bereit, kauft sich bei Pappenheim ein Kleid“ wird zur Vorgabe für die herrlich schräge genderfluide Kostümierung der Protagonisten und des Chores. Was vor allem bei den Herren im Damenfummel zum Hingucker wird. Besonders Richard Glöckner als Titelheld gelingt das mit seinem (u.a. schon in Benatzkys „Der reichsten Mann der Welt“ erprobten) unwiderstehlichen Operettencharme. Zwar ist dieser Operetten-Adlige kein „von und zu“, dafür aber ein Marketing- und Verkaufsgenie. 

Er muss seine Talente mitten in der deutschen Hyperinflation von 1923 beweisen. Die flotte Nummernrevue, in der alle irgendwie über die Runden zu kommen versuchen, spielt in diesem Jahr und hatte auch da ihre Premiere. Allein das war schon ein starkes Stück von Zeitgenossenschaft, als selbst banale Artikel mit Waschkörben voll Papiergeld bezahlt werden mussten. Da kommt es für die kurz vor der Pleite stehende Kaufhauschefin Camilla Pappenheim (Stefanie Ritter) nicht nur auf jede Marketingidee ihres cleveren Verkäufers Egon Fürst, sondern vor allem auf jeden Kunden an.

Und da kommt der Adel dann doch ins Spiel. Da wird die echte Prinzessin Stephanie (Sophia Keiler) auf der Flucht vor familiären Heiratsplänen zum Star-Mannequin und macht bei effektvollen Auftritten an der Rivera die Mode des Modehauses aus Berlin zum „Geheimtipp“. Da hält der leicht vertrottelte Baron (László Varga) seine flotte Gattin (Maria Rüssel) für die Unschuld vom Lande, während die sich mit dessen ins Prinzen-Klischee überzeichneten Chef einlässt (Christian Wincierz). Jakob Hofmann macht sich als Schuhfetischist Hektor erst zum Deppen, kriegt dann aber die Prinzessin, die er zunächst nicht für echt hält. Schließlich darf auch noch Leander de Marel der verrückten Personage einen wunderbaren (echten) Fürsten im langen Glitzernden hinzufügen. Das Ensemble und der Chor sind allesamt in stimmlicher und darstellerischer Hochform. Man merkt, dass sie mit Freude dabei sind und das überträgt sich. 

Gegen Ende lässt die Regie Christian Wincierz in einem kurzen erinnernden Auftritt an den Egon-Fürst-Interpreten aus den Zwanzigern Curt Bois, einen Bogen vom Jahr 1923 ins Jahr 2023 schlagen, bei dem einem kurz der Atem stockt. Letztlich passt auch das in diese temporeiche, witzige und mitreißende Audienz beim Fürsten von Pappenheim.

Vom Publikum stehend bejubelt. Was auch sonst.

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