Gerne schauen selbsternannte Musikmetropolen auf die musikalische Provinz herab. Zeitgenössische Musik dagegen kennt keine Provinz. Sie spielt überall dort, wo sie gewünscht wird, wo ihre kreativen Liebhaber neue Klänge hören wollen und aufführen. Das bekannteste Beispiel ist Donaueschingen, die kleine Residenzstadt im Baarkreis vor den Toren des Schwarzwaldes. Andere Namen wären da Weingarten mit dem Festival „Weit“, Ittingen oder Boswil in der Schweiz, Darmstadt, Rockenhausen, Hitzacker, Eckernförde oder Esslingen am Neckar. Die Liste könnte fortgeführt werden, doch heute deutet der Finger auf der Landkarte auf das oberfränkische Bamberg, idyllisch gelegen zwischen Domberg und den rechten und linken Flussarmen der Regnitz.
Die Posaune und ihr Meister: Mikael Rudolfsson
Die Substanz zum Klingen bringen – 20. Tage der Neuen Musik Bamberg
Schon seit 1986 veranstaltet der Verein Neue Musik in Bamberg Konzerte, bis 2010 unter der Leitung des Komponisten und heutigen Ehrenvorsitzenden Horst Lohse, 2011 folgte ihm der Dirigent Markus Elsner. Wichtigste Veranstaltung des Vereins sind die Tage der Neuen Musik Bamberg, die alle zwei Jahre stattfinden. Das Festival kooperiert mit Menschen und Institutionen in Bamberg, etwa der VHS Bamberg Stadt, dem Internationalen Künstlerhaus Villa Concordia, der Städtischen Musikschule Bamberg und der Johanniskapelle Bamberg.
Zusammen mit diesen Partnern, die sowohl exzellente Konzertsäle einbringen, wie auch junge Musikschüler:innen auf die Bühne holen, feierten die Bamberger jetzt die 20. Tage Neuer Musik Bamberg mit einem bemerkenswerten Programm aus sechs Konzerten.
Wie Kompositionen von den Interpreten leben, die deren Substanz zum Klingen bringen, die das Paradigmatische und Essentielle im Werk suchen, leben auch Festivals von Künstlerpersönlichkeiten. Und die waren in Bamberg präsent und nahbar. Angefangen bei den Villa Concordia Stipendiatinnen, Zeynep Gedizlioğlu und Kathrin A. Denner, deren Werke zwar bei dieser Ausgabe nicht auf dem Programmzettel standen, die aber mithörten und miterlebten, was zur Aufführung kam. Der Ausnahmeposaunist Rudolfsson hauchte Werken von Luciano Berio, Eloain Lovis Hübner und Konstantia Gourzi Leben ein. Eine Uraufführung gab es auch: das der Posaune auf den Leib geschriebene attacca-Stück „Messing“ von Bernhard Gander.
Mikael Rudolfsson. Foto: Susanne van Loon
Ein dramaturgischer Kunstgriff von Festivalleiter Elsner war es, die Solostücke für Posaune mit Solostücken für Trompete zu kombinieren: Marco Blaauw spielte mit seiner legendären Doppeltrichtertrompete, mit F-Trompete, Flügelhorn und einem archaischen Keramikhorn einen eine Lage höheren Kontrapunkt zu Rudolfssons Tenorposaune mit Stücken von Liza Lim, Milica Djordjevic und Dai Fujikura.
Die Cellistin Bianca Breitfeld und der finnische Akkordeonspieler Janne Valkeajoki zelebrierten ein Programm mit Werken nur von Komponistinnen. Im Zentrum das „Dreifenster Duo“ von 2010 sowie die „Vier Tango Mutanten“ von 2012 der slowakischen Komponistin Viera Janárčeková. Eine Musik zwischen Augenzwinkern und großem Pathos, die man sich öfters im Konzert wünscht. Breitfeld und Valkeajoki kannten die 2021 verstorbene Wahlbambergerin noch persönlich und hatten etliche Stücke noch mit ihr persönlich erarbeitet.
Ein seltenes Juwel auch die Aufführung des Münchener Trio Coriolis. In dessen Zentrum stand ein Stummfilmkonzert mit dem restaurierten Film „Fait divers“ von Claude Autant-Lara als deutsche Erstaufführung.
Im Entstehungsjahr 1932 noch inhaltlich und technisch Avantgarde, machte der Abend deutlich, dass Musik und Film in unterschiedlichen Tempi altern. Verglichen etwa mit den beiden Musiken, die den Film umrahmten: das fulminante „Trio pour Violon, Alto und Cello“ von 1926 von Jean Cras und Ivan Wyschnegradskys kunstvolles Variationenwerk „Trio pour Violon, Alto und Cello“ op. 53 von 1979.
Die Musik zur Dreiecksgeschichte um eine Amour fou, in der kein geringerer als Antonin Artaud die Rolle des Liebhabers spielt, steuerte Malte Giesen bei, dessen Amalgamierung von elektronischen Klängen und Streichtrio-Klang mit den Filmbildern die hundertjährige Jahre Patina von „Fait divers“ vergessen ließen.
Minas Borboudakis war mit Werken der Teilnehmer des jüngsten „Jugend komponiert“ Wettbewerbs von München nach Bamberg angereist und es hatte nicht nur Charme, sondern hohe Qualität, dass auch Schüler der Bamberger Musikschule diese Stücke aufführten und nicht die Profis.
Die Bamberger Tage der Neuen Musik konnten ihre beinahe vier Jahrzehnte andauernde Existenz mit diesem Wochenende mühelos legitimeren. Mehr zu Musik, Stipendiaten und der am Festivalsonntag neu gegründet Viera Janárčeková-Gesellschaft im ausführlichen Bericht in der nmz 2/2026.
- Share by mail
Share on