Es ist eine schaurige, verstörende Geschichte, die da als letzte Premiere der Saison auf der großen Bühne des MusikTheaters an der Wien gegeben wurde, und schon bei der Einführung konnte Dramaturg Kai Wessler kaum den Schrecken der Story theatermäßig schönreden, denn die neue Oper, die als Auftragswerk von dem tschechischen Komponisten Miroslav Srnka (* 1975) und seinem australischen Librettisten entstanden ist, erzählt ziemlich schonungslos von den drei Morden, die der Serienkiller Edward J. Leonski 1942 als GI in Australien verübt.

Gallo (Julian Hubbard), Private (Seth Carico), Pauline (Holly Flack), Momma (Jacqueline Macaulay) und Ensemble (Arnold-Schönberg-Chor). Foto: Karl Forster
Ein Abend voller Schrecken – Uraufführung „Voice Killer“ von Miroslav Srnka am MusikTheater an der Wien
Der Anlass, warum überhaupt aus diesem Stoff eine Oper gewebt wurde, schien offenbar die Aussage des Killers zu sein, dass er bei den Opfern „ihre Stimme“ wollte. Frauenstimmen erinnerten ihn an Gesänge seiner Mutter – der „Voice Killer“ war geboren, aber man versteht dennoch das theatralische Potenzial an diesem Abend nicht wirklich, außer dass sich Srnka und sein Librettist weidlich am Bösen ergötzen. Dabei ist der Serienkiller auf der Leinwand ja schon lange Kulturgut, allerdings handelt es sich dabei seltener um wahre Begebenheiten.
Wie also umgehen mit dem Schrecken? Abstraktion findet in dieser Oper zu wenig statt und das ist auch ein Grund, warum man in der nur spärlich besuchten Aufführung null Unterhaltung oder Zugewinn, aber stattdessen ein stetig zuschnürendes Gefühl hat. Die Morde an den drei Frauen werden chronologisch nacherzählt, finden in kaum erträglicher Direktheit auf offener Bühne ohne Gesang oder Musik statt, dazu stapft die alkoholisierte Mutter (Jacqueline Macaulay) über die Bühne und Leonski selbst war bei seinen Taten ebenfalls volltrunken. Für ein reines Abbild einer kranken Welt ist aber wiederum das Werk viel zu komplex.
Srnkas Musik rotiert in einer Art bewussten Unerträglichkeit, Verdopplungen in den Instrumenten sollen Schizophrenie und Doppelbödiges betonen, in der Kneipenszene vor dem zweiten Mord meint man eine Art instrumentalen Techno-Tanz zu hören. Alfred Hitchcock hätte sicher seine Freude an Srnkas brodelndem, oft an der Hörgrenze herumkratzenden Horrormusik gehabt, doch die eigentlich so farbige, gerade in ihrem permanenten Entwickeln und widerborstigen Beharren faszinierende Musik verbleibt aber in merkwürdiger Distanz zum Geschehen, was vielleicht auch am schwer arbeitenden Dirigenten Finnegan Downey Dear liegt, der das Klangforum Wien im Graben nicht immer zu seiner bekannten Intensität verhilft.

Gladys (Nadja Stefanoff). Foto: Karl Forster
Mit Seth Carico (Private/Leonski), Holly Flack (Pauline), Nadja Stefanoff (Gladys) und Caroline Wettergreen (Ivy) bemühen sich die vier Hauptprotagonisten bravourös um die extremen Partien der Oper und füllen sie auch spielerisch mit Persönlichkeit. Flacks Koloratursopran wird dabei bis in außerirdische Höhen ausgereizt. Oft wünscht man sich statt der starken Dialogisierung, die manches an Spannung nimmt, mehr innere Soli, einen Duft von einer Salome, doch die größte Soloszene bleibt leider auch dem Täter vorbehalten, der zu Beginn in einem Countdown seine Arresttage mit höhnischem Lachen herunterzählt.
Die Regisseurin Cordula Däuper (ursprünglich sollte Intendant Stefan Herheim inszenieren) versucht bei ihrem Debüt die verschiedenen Erzählschichten ineinander zu weben, und obwohl sie am Ende den drei Frauen die Bühne überlässt, bleibt der fahle Nachgeschmack: wieso eigentlich sollen wir diesem kranken Typen eine ganze Oper widmen? Die Recherche-Ebene dieses True-Crime-Falls bleibt auf der ansonsten meist karg ausgestatteten Bühne (Friedrich Eggert) mit Dokumentenschränken ebenso angedeutet wie die Biographien der drei Frauen. Und der ganze Theaterrummel mit dem auf der Drehbühne im Regen umherirrenden Volk (der Arnold-Schönberg-Chor, hier auch souverän in Glissando-Tableaus zwischen Ächzen und Palavern) interessiert eigentlich nicht angesichts der Härte der Tat selbst.
Denn dafür ist – die Premiere fand drei Tage nach dem Schul-Amoklauf von Graz statt – die Oper zu nah an der Realität verortet und viel zu stark aus der Täterperspektive erzählt. Nach 27 Femiziden im Jahr 2024 in Österreich fragt man nach dem Sinn solch theatralischen Tuns. Werden wir bessere Menschen, wenn wir wie ohnmächtige Gaffer solche Taten auf der Bühne repetiert bekommen? Kann irgendeine Art von Heilung einsetzen?
Ein kleines Dennoch bleibt – denn die Kunst verschafft uns die Möglichkeit der Reflektion und persönlichen Beschäftigung mit solchen Themen, dennoch blieb hier das Gefühl trotz einer eigentlich sehr interessanten Partitur zu sehr auf der Strecke.
- Besuchte Aufführung am 20.6.2025
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