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Kihun Yoon, Pauliina Linnosaari, Marie-Sophie Janke, Jenish Ysmanov, Badischer Staatsopernchor. Foto: Felix Grünschloß

Kihun Yoon, Pauliina Linnosaari, Marie-Sophie Janke, Jenish Ysmanov, Badischer Staatsopernchor. Foto: Felix Grünschloß

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Eine haarige Angelegenheit – Tschaikowskys „Eugen Onegin“ kommt in Karlsruhe allmählich in Fahrt

Vorspann / Teaser

Dass Tschaikowskys „Eugen Onegin“ eigentlich „Tatjana“ heißen müsse, wurde verschiedentlich moniert. Denn das reiche Gefühlsleben der verträumten Gutsbesitzertochter, deren Liebe enttäuscht wird und die zu fürstlichen Ehren aufsteigt, ist viel interessanter als die Kaltschnäuzigkeit des blasierten Dandys, der ihr das Herz bricht. Tschaikowsky bedenkt sie mit einigen seiner schönsten musikalischen Einfälle und einer umfangreichen, sehr schwer zu singenden Partie. Onegin dagegen wird in der Vorlage des Puschkinschen Versromans als Prototyp des „unnützen Menschen“ dargestellt, der jeden gesellschaftlichen Sinnbezug verloren hat, unfähig zu fühlen.


 

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Bei Tschaikowsky und auch in der Regie von Olivia Fuchs am Badischen Staatstheater Karlsruhe ist viel von Onegins Zwiespältigkeit ausgeblendet . Die britische Regisseurin, die mit den Inszenierungen von Brittens „Tod in Venedig“ oder Janáčeks „Die Sache Makropoulos“ hervortrat, vor allem aber für die Uraufführung der Oper „Grete Minde“ des von den Nazis ermordeten jüdischen Komponisten Eugen Engel 2022 in Magdeburg sehr gelobt wurde, interessiert sich hier nicht nur für Tatjana, sondern für das gesamte weibliche „Onegin“-Personal. 

Ihr Konzept manifestiert sich im Bühnenbild Nicola Turners (auch Kostüme), das mit einem wahren Dickicht von Haaren und Fäden, Be- und Verstrickungen symbolisiert. Die Haare der Frauen drückten stets ihren gesellschaftlichen Status, aber auch ihre sexuelle Verfügbarkeit aus. Sie wurden geflochten, kunstvoll aufgetürmt, unter Kopftüchern versteckt und im gelösten Zustand nur dem Ehemann gezeigt. Noch in den 1950er Jahren hatte ein Schulmädchen in Deutschland sittsame Zöpfe zu tragen, gilt im Islam das weibliche Haar viel zu verführerisch, um öffentlich gezeigt zu werden. Analog dazu strickten, häkelten, webten die Frauen, hielten nicht nur wie die Schicksalsgöttinnen die Fäden in der Hand oder schnitten sie ab – was sich in einer Fülle sprachlicher Metaphern niederschlug. Turner lässt aus diesem Geflecht aus Haaren oder aus Wolle einen ganzen Wald erstehen, der die ländliche Umgebung des Geschehens kennzeichnet. 

Tentakelartig umfangen schwarze Stricke Tatjana, nachdem Onegin ihr Liebesgeständnis abgewiesen hat, ein rosafarbenes Gestrick hängt damoklesschwertartig von der Decke, wenn Onegin und sein Freund Lenski sich in den Konventionen einer Eifersuchtsszene und des anschließenden Duells verstricken. Fuchs deutet dies nicht nur als gesellschaftliche Bindungen, sondern auch als Wurzeln, die unser Leben bestimmen, denen wir nicht entkommen können. Die Allgegenwärtigkeit des Waldes, eines Dickichts, eines Dschungels reicht aus, um das zu ver(sinn)bildlichen, ansonsten werden die Schnüre oder Stricke sparsam eingesetzt. Das ist auch gut so, die Idee ist nicht ganz neu und auch nicht frei von Banalität, aber kann hier doch einige bildliche Faszination ausstrahlen.

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Pauliina Linnosaari. Foto: Felix Grünschloß

Pauliina Linnosaari. Foto: Felix Grünschloß

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Es ist schade, dass wieder einmal ein starkes Bühnenbild die Regie dazu verleitet, sich auf die Bildebene zurückzuziehen und die Personenführung im konventionell Ungefähren zu belassen. Viel wird in der schönen Kulisse herumgestanden – vielleicht soll Distanz damit ausgedrückt werden, denn Nähe, Gefühl, wovon Tschaikowskys Musik so beredt spricht, kommt zunächst kaum auf. So bleiben auch die Sehnsüchte und ungelebten Wünsche verborgen. Am überzeugendsten ist hier die unkomplizierte Olga, beweglich und mit schlankem Mezzo von Marie-Sophie Janke dargestellt, wenn sie Lenskis Werben kühl-kokett in die Schranken weist und der verträumten Schwester Tatjana die Bücher versteckt. Dagegen enttäuscht Pauliina Linnosaari in Tatjanas berühmter „Briefarie“, nicht weil ihr recht voller Sopran ihr bis auf ein paar angestrengte Spitzentöne ihr stimmlich nicht gewachsen wäre, sondern weil sie die Spannung nicht halten und die erwachende Leidenschaft eines jungen Mädchens nicht glaubhaft machen kann. Zugegeben, die Messlatte ist hier sehr hoch – wie viele Starsopranistinnen haben schon als Tatjana brilliert, zuletzt vor einigen Jahren Asmik Grigorian an der Komischen Oper Berlin. 

Zugeben muss man auch, dass Johannes Willig die Badische Staatskapelle erst allmählich in Fahrt bringt und die Sängerin an dieser entscheidenden Stelle emotional nicht sonderlich unterstützt. Da klaffen die herzklopfenden Begleitrepetitionen und die Apotheose zum Schluss ziemlich auseinander. Trotzdem gibt es den ersten großen Beifall, und dann wendet sich das Blatt. Der Schmerz der zurückgewiesenen Tatjana liegt Linnosaari viel besser, die Würde der zu Ehren gelangten Fürstin, die ihrerseits nun Konvention lebt, sowieso. Auch Onegin hat einen schweren Start. Kihun Yoon wirkt zunächst mit scharfem Bariton recht autoritär und in weitem Flattermantel sehr gesetzt. Er könnte ein verheirateter, wohlsituierter Geschäftsmann sein, nicht aber ein sich verweigernder Spätpubertierender, der keinen Platz im Leben findet. Doch Yoon entfaltet immer mehr Facetten, stimmlich und darstellerisch, wächst in seine Rolle zusehends hinein. Die Figur des Lenski ist dafür vom Anfang bis zum bedauerlich frühen Ende rundum gelungen, in ihrer Eindeutigkeit vielleicht weniger schwierig. Jenish Ismonov erfüllt jeden Ton so lebendig, verströmt so natürlich tenoralen Schmelz, dass man sich weder bei ungerechten Vergleichen ertappt noch soviel Emotion mit Skepsis begegnet. Die Duell-Szene, oft bloß schauerromantisch mit viel Nebel angelegt, wird so zum packenden Zentrum des Dramas: So weit kann es kommen, wenn man Konventionen unhinterfragt befolgt. So kann man sich auch in den Krieg schicken lassen. 

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