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Susanne Schrader, Christoph Heinrich, Martin Baum. Foto: Jörg Landsberg

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„Es gibt keine Norm für das Menschsein“ – Neue Aspekte zu Kaiserin Sissys Lebenskampf  am Theater Bremen

Vorspann / Teaser

Was soll man zu Kaiserin Elisabeth von Österreich, der Frau des Kaisers Franz Joseph, noch sagen, nachdem so vieles über sie herausgekommen ist und in unterschiedlichen Medien auch schon ebenso unangemessen – wie der berühmte Sissi-Film von 1955 – wie angemessen – wie die Netflix-Serie ab 2022 – dargestellt wurde, noch anderes, Neues sagen? Mit dem alten Eheschließungs-Happy End ist es ja vorbei. Da durfte man gespannt sein, was in Bremen dem Regisseur Frank Hilbrich zu „Sissi“ einfällt. Und Hilbrich, bekannt für gute, familiengeschichtlich ausgebreitete Probleme und Herkunft und Erziehung, fällt natürlich etwas ein und zaubert einen mit standing ovations belohnten Abend: die Operette mit der Musik des weltberühmten Geigers Fritz Kreisler, 1932 uraufgeführt und vor dem Exil des Komponisten fast 300 Mal gespielt.

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Ja, sie kriegen sich, der Kaiser und Sissy, wie der Titel der Operette ist, aber dem geht eine Vorgeschichte voraus, die Hilbrich einzigartig entfaltet: einzigartig in ihrer Komik und einzigartig in ihrer Gesellschaftskritik, die Hinterfragung von tradiertem Verhalten. Dass beides zusammen geht, macht die unterhaltsame und warnende Qualität dieser Aufführung aus.

Einmal räumt Hilbrich radikal auf mit dem vorgeschriebenen Unterschied von Mann und Frau auf, indem er travestieartig Frauenrollen mit Männern besetzt (Sissy und ihre Mutter Ludovica) und Männerrollen mit Frauen (Max von Bayern, dessen Frau Ludovika, Kaiser Franz Josef). Das bringt es auf den Punkt: Nicht das Geschlecht oder der Stand ist wichtig, sondern nur das Herz, „alles andere ist Firlefanz“, sagt Max von Bayern in der sogenannten „Bremer Fassung“. Auf karikaturale Weise und in immer neuen Gags bringt Hilbrich die Absurdität von Liebes- und Ehebeziehungen auf die Bühne, die die späteren, nicht mehr gezeigten Probleme schon offenlegen. „Es gibt keine Norm für das Menschsein“, sagt Sissy.

Der größte Widerständler ist zunächst einmal Sissys Vater, der Herzog Max von Bayern: eine neue Paraderolle für die Sängerin Ulrike Mayer, die sich auf (freuden-)tränentreibende Weise austoben darf über ihre absurde Ehe in einer absurden Gesellschaft, aber am Ende doch einbricht vor der Autorität. Köstlich ihre Parodie über das „Alpenglühn“! Max schützt gegen den Willen seiner Frau Ludovica das Dutzend wilder und schreiender Kinder (toll, der Kinderchor von Karl Bernewitz), am meisten von seiner Antihaltung hat wohl Sissy abbekommen. „Du bist eine Mutter“, wird Sissy von ihm sagen. Seine Reden beendet er mit schlauen Sprüchen von Philosophen und Künstlern wie Aristoteles, Schopenhauer, Einstein, Woody Allen, John Lennon und anderen. Zum Beispiel: „wir sollten aufhören, weniger zu trinken“. Der Bariton Arvi Fagerfjäll ist Sissy, nichts weniger als bezaubernd und facettenreich in ihrer/seiner wilden Emotion und äußerlichen Schönheit. Und ebenso eine Paraderolle für den Sänger Christoph Heinrich als Ludovica, der in Locken und Stöckelschuhen eine hinreißende Studie der superspießigen Sissy-Mama präsentiert.

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Elisa Birkenheier, Lieke Hoppe, Susanne Schrader, Christoph Heinrich. Foto: Jörg Landsberg

Elisa Birkenheier, Lieke Hoppe, Susanne Schrader, Christoph Heinrich. Foto: Jörg Landsberg

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Gelungen ist auch die Mischung von SchauspielerInnen und SängerInnen, wirklich nicht einfach, wenn man bedenkt, wie verschieden beide in ihrer Arbeit ticken. Großartig ist da Schauspielerin Susanne Schrader als Kaiserinmutter Sophie, in Schwarz eingewickelte „Monstermutter“, wie Max sagt, die sich Wien ohne Wiener wünscht, aber am Ende zusammenbricht, weil sie ihr sinnloses Leben erkannt hat; auch sie zitiert Philosophen. Oder Lieke Hoppe als Franz-Joseph, der gerne mal „Mamaaa!“ schreit, aber seine/ihre Selbständigkeit sucht. Oder Martin Baum, der ganz gut singt in seiner facettenreichen Rolle als van Kempen, den Obersten der Gendarmerie. Umgekehrt sind die schauspielerischen Leistungen der SängerInnen beeindruckend intensiv: Adèle Lorenzi als Balletttänzerin, Elisa Birkenheier als Sissys Schwester Helene und Fabian Düberg als Prinz.

Die Fantasiekostüme von Gabriele Ruprecht wirken sehr genau: Sie zeigen einerseits die Ambivalenz der Protagonisten (Sissy und Max), andererseits die in ihre Rollen Eingeengtheit (Franz Joseph, Ludovica und Sophie) und das mit gemalten österreichischen Bergen versehene Bühnenbild von Volker Thiele rundete den mitreißenden Abend ab, auch die auf der Bühne spielenden Bremer Philharmoniker unter Stefan Klingele, der sich neben seinem Dirigat als virtuos Klavier spielender Hofkapellmeister profilierte.

  • Die nächsten Aufführungen: 6., 9., 21., 23., und 25.12., 9. und 29. Januar 2026

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