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Extrem moderne Variante eines Heiligendramas

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Uraufführung „Die Legende vom armen Heinrich“ von Ernst August Klötzke
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Das breit aufgefächerte moderne Drama von Tankred Dorst mit seinen vielen Ebenen, – kommentierendem Chor, Sprachpassagen in fränkischer Mundart, mittelhochdeutschen Texteinschüben aus Hartmann von Aues Stück sowie altenglischen Sängerliedern – wird in der musikalischen Bearbeitung durch E.A. Klötzke eher wieder auf die dramatische Stringenz des von-Aue-Textes zurückgeführt. Dieses korrespondiert mit der „schönen“, ja bisweilen opulenten Aufbereitung von Musik und Gesang.

Das breit aufgefächerte moderne Drama von Tankred Dorst mit seinen vielen Ebenen, – kommentierendem Chor, Sprachpassagen in fränkischer Mundart, mittelhochdeutschen Texteinschüben aus Hartmann von Aues Stück sowie altenglischen Sängerliedern – wird in der musikalischen Bearbeitung durch E.A. Klötzke eher wieder auf die dramatische Stringenz des von-Aue-Textes zurückgeführt. Dieses korrespondiert mit der „schönen“, ja bisweilen opulenten Aufbereitung von Musik und Gesang. Die Bezeichnung Kammeroper erscheint eigentlich zu bescheiden. Zwar ist die Handlung eindeutig auf den armen Heinrich und Elsa konzentriert, Dorst bringt aber zahlreiches zusätzliches Personal auf die Bühne, das in fünfzehn aufeinander folgenden Szenen in verschiedenen Bildern ein einiger- maßen verzweigtes Spektrum kreiert, sodass sich für Klötzke die Notwendigkeit ergibt, eng an der „Handlung“ entlang zu komponieren, das heißt alle Dialoge und die Ensembles hintereinander weg zu musikalisieren, sei es weitgehend mit gesanglichen Mitteln oder auch in gesprochenen Passagen.

So ist das Auftragswerk des Hessischen Staatstheaters Wiesbaden für Klötzke eher eine Literaturoper geworden, nachdem er eigentlich eher in Richtung Opern-Klanglichkeit eines Nono oder Lachenmann sich entwickeln wollte. Und damit katapultiert er aber Sängerdarsteller in den Vordergrund, denn es geht hier weniger um eine ästhetisch-statische Bebilderung wie beispielsweise in Lachenmanns „Mädchen mit den Schwefelhölzern“. Folgerichtig wählte man in Wiesbaden das Kleine Haus mit einer in die Tiefe reichenden Guckkastenbühne. Eminent theaterwirksam sofort die Exposition: Das Bauermädchen stakt barfuß und mit Tierfellen bekleidet auf dem mit weißem Schaum bedeckten Bühnenboden herum, und der Chor aus dem Off reizt sie, widerspricht ihr und lenkt sie zu dem Turm, in dem sie den aussätzigen Heinrich erkennt.

Wenn es sich also hier um eine Literaturoper im eher traditionellen Sinn handelt, so scheint sie mir doch eine spannende Bereicherung des zeitgenössischen Genres, wobei sie aber noch mit Pfitzners „Armem Heinrich“ zu konkurrieren hätte. Die extremen Seelenzustände werden geschildert, die sich einer musikalischen Durchdringung in keiner Phase widersetzen, im Gegenteil Klötzkes Klangerfindungen nur so in sich aufsaugen und besonders in den Gesangspartien aufs Homogenste erscheinen. Klötzkes Musik ist apart, aber nie hypertroph, sie hält die Mitte zwischen „interessanter“ Innovation und adäquater Bedingung des Dramas.

Der Regisseurin Iris Gerath-Prein stehen mit Katrin Heinz (Elsa) und Norbert Schmittberg (Heinrich) ganz hervorragende Protagonisten zur Verfügung, wobei Katrin Heinz zuvorderst durch die Frische ihrer jungen Persönlichkeitsstruktur für die Märtyrerin prädestiniert erscheint, während der auf dem Sprung ins Heldenfach stehende lyrische Tenor Schmittberg bereits auf eigene Erfahrungen mit dramatischen gesellschaftlichen Außenseiterrollen verweisen kann. Wichtig für die Inszenierung wird ein „Schutzengel der Geschichte“ (Nora Geisler), wohl als szenisches Pendant des Off-Chores; dieses mit Glatzkopf und Rundbrille köstliche Geschöpf zeigt Elsa die Folterinstrumente und äfft ihre sich anbahnende Beziehung zu Fizzifagozzi (Jochen Elbert mit feintimbriertem lyrischem Tenor) nach. Diesem gelingt es nämlich, dass Elsa sich zum ersten Mal als Frau wahrnimmt und ihren Auftrag „Selbstopferung“ infrage stellt. Am Schluss übernahm Elbert auch die Sprechrolle des Sarazenen. Gut inszeniert, respektive choreografiert, erscheint auch der Auftritt der Eleganten Gesellschaft am Hof der Schönen Orgelouse, die Mitglieder des jugend-club-Theaters Wiesbaden treten in geschlossenen Fechtmasken auf.

Für eine griffige musikalische Umsetzung von Klötzkes Partitur sorgt das Orchester des Staatstheaters Wiesbaden unter der animierenden Leitung Enrico Delamboyes. Die Schwierigkeiten der äußerst umfangreich notierten Sopranpartie meistert Katrin Heinz absolut und sogar mit Leichtigkeit, sie verfügt über einen makellosen und hell leuchtenden Sopran und bringt die körperlich-seelischen Veränderungen mit blendender Emphase zum Ausdruck. Norbert Schmittberg weiß zuerst seinen schönklanglichen, leicht metallischen Spitzentenor wirkungsvoll einzusetzen.

Uta Christina Georg kann sich mit elegant timbriertem Sopran als „Rabenmutter“ Elsas, Schöne Orgelouse und Alte Dame in bizarren Roben ins beste Licht rücken. Der zuverlässige (Raben-) Vater, Eremit und Alter Herr wird von Günter Kiefer mit kernig-präzisem Bariton gemeistert. Die Mitglieder des Opernchores sind musikalisch nicht immer optimal integriert. Hier könnte noch etwas mehr in Hinblick auf die Klangbalance getan werden.

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