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Geburtstagsparty für einen außergewöhnlichen Künstler – Das ensemble unitedberlin schenkte einen Tag mit György Ligeti

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Zum einhundertsten Geburtstag des Komponisten György Ligeti veranstaltete das ensemble unitedberlin am vergangenen Sonntag eine Geburtstagsparty mit vier Konzerten in der St. Elisabeth-Kirche Berlin-Mitte und hinterließ damit bleibende Eindrücke.

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Er sei „lebenslang gegen jede dogmatische Versuchung gefeit“ gewesen, so fasst Albrecht Selge zu Beginn eines kurzen Porträttextes das künstlerische Streben aber auch das Wesen der Persönlichkeit György Ligetis zusammen. Wie treffend diese prägnante Charakterisierung ist, ließ sich am vergangenen Sonntag nachvollziehen, wenn man alle vier Konzerte jener „Geburtstagsparty für einen kompromisslosen Einzelgänger“ mitverfolgte, zu der das ensemble unitedberlin in die St. Elisabeth-Kirche nach Berlin-Mitte geladen hatte. Es war ein außergewöhnlicher Tag und ein organisatorischer Kraftakt, der von Anfang an eines deutlich machte: Man hatte sich intensiv mit Ligeti auseinandergesetzt und sich eine Fülle von Gedanken darüber gemacht, wie sich die verwinkelten Wege von Ligetis Schaffen, Wirken und Streben gebührend würdigen und adäquat kontextualisieren lassen. Damit wurde man im Kulturleben der bundesdeutschen Hauptstadt endlich jener Aufgabe gerecht, an welcher der lautstark beworbene, mit beliebig wirkenden Ligeti-Einsprengseln versehene Programmschwerpunkt der Berliner Philharmoniker zu Beginn dieses Jahres leider kläglich scheiterte.

Konzerte und Kontexte

Der gesamte Veranstaltungsreigen überzeugte bereits durch eine den Bedingungen und Möglichkeiten des erweiterten Ensembles angepasste Werkauswahl, die mit einer geschickten dramaturgischen Anordnung der Kompositionen und einer von Konzert zu Konzert leicht variierten Veränderung des Aufführungsraumes – und damit naturgemäß auch des Verhältnisses zwischen Publikum und Interpret:innen – verknüpft wurde (Raumkonzept: Anne Hölzinger).

Das erste Konzert am Nachmittag spürte bedeutsamen Wurzeln und Einflusssphären von Ligetis Komponieren nach: Hier erklang das frühe, auf zwei rumänischen Volksweisen basierende Violinduo „Baladă și joc“ (1950), das die Impulse Béla Bartóks ebenso spüren ließ wie die „Sonatina“ für Oboe, Klarinette und Fagott (1931) des von Ligeti hoch geschätzten Sándor Veress oder die Auswahl aus dem Klavierzyklus „Musica ricercata“, der Ligeti 1953 unter dem Titel „Sechs Bagatellen“ für Bläserquintett farbenreich Klang verlieh.

Umrahmt wurde dieser Blick auf die folkloristische Prägung des Komponisten von zwei Stücken, die auf die vielen labyrinthischen Verzweigungen im Schaffen des Jubilars verweisen: Als Einlassmusik fungierte Ligetis Konzeptstück „Poème Symphonique“ (1962), dessen einhundert im Kreis angeordnete Metronome nach und nach aussetzten und den Raum dadurch schrittweise der Stille überantworteten. Das Ende des Konzerts wurde hingegen von Karlheinz Stockhausens elektronischem „Gesang der Jünglinge“ markiert und gab damit einem einflussreichen, aber von Ligeti dennoch auch kritisch beäugten Zeitgenossen Raum.

Das zweite Konzert befasste sich mit dem „vertrackten Verhältnis von Maschine und Menschlichkeit“ (Alfred Selge) und verfolgte damit die zuvor durch die Präsentation des Metronomstücks ausgelegten Spuren weiter. Hierfür hatte die Pianistin Yoriko Ikeya einen Block von vier Stücken aus dem Bestand von Ligetis halsbrecherisch schwierigen Klavieretüden selektierte, denen eine gleichfalls vierteilige Auswahl aus Conlon Nancarrows hochkomplexen „Studies for Player Piano“ (Wolfgang Heisig, Phonola) gegenübergestellt wurde.

Im Zentrum des dritten Konzerts stand dann die Frage nach den produktiven Einflüssen des Lehrer Ligeti: Als Eröffnungsstück fungierte die quirlige Ensemblekomposition „Curtain“ (2015), in der Lukas Ligeti durch unterschiedlich dichte instrumentale Überlagerungen zumindest in Bezug auf die klangliche Oberfläche eine gewisse Nähe zur Musik seines Vaters herstellte. Den Abschluss bildete die Uraufführung von Manfred Stahnkes etwas zäher Komposition „singing islands“ (2023), bei der das Ensemble nun von räumlich distinkten Positionen aus in Gruppen miteinander kommunizierte.

Flankiert wurden diese unter Leitung von Valentin Uryupin aufgeführten Stücke durch Gespräche, die der Musikjournalist Eckhard Roelcke mit den beiden Komponisten führte. Im Zentrum des Konzertes stand freilich die alles in den Schatten stellende Wiedergabe von Ligetis siebenteiligem, auf Gedichte von Sándor Weöres komponiertem Liederzyklus „Síppal, dobbal, nádihegedűvel“ (2000), der in einer fulminanten Wiedergabe durch die Mezzosopranistin Truike van der Poel und die vier Schlagwerker Guillaume Vairet, Juris Azers, Alexanderos Giovanos und Christoph Lindner erklang.

Extrem hohes Niveau

Einer der Schwerpunkte des letzten, unter Leitung von Jonathan Stockhammer stehenden Konzerts bildeten die kontrastreichen und plastischen Umsetzungen des „Kammerkonzerts für 13 Instrumentalisten“ (1971) und der „Melodien“ für Kammerensemble“ (1971). Umrahmt wurden diese beiden Klassiker von einer suggestiven und kurzweiligem Interpretation der „Aventures“ (1962) und „Nouvelles Aventures“ (1962–65), die maßgeblich von den Künsten der drei Vokalist:innen Johanna Vargas (Sopran), Truike van der Poel und Guillermo Anzorena (Bariton) und deren Zusammenwirken mit dem siebenköpfigen Ensemble geprägt war. Das i-Tüpfelchen blieb allerdings dem Trompeter Damir Bačikin vorbehalten, der den Abend mit einer atemberaubenden, umwerfend theatralen Umsetzung von „Mysteries of the Macabre“ für Solotrompete und 16 Instrumente (1977) beschloss.

Das vielleicht größte Kompliment, das man ohne jegliche Ausnahme allen – auch den hier nicht namentlich genannten – Beteiligten machen kann, ist es, auf das enorme Niveau der Interpretationen hinzuweisen: Buchstäblich von der ersten bis zur letzten Minute dieser originellen Geburtstagsparty hielt die Spannung an. Dazu kam die durchdachte Anordnung der einzelnen Programmpunkte, die auf die Herstellung von vielerlei Bezügen und daher letztendlich auch auf eine Bereicherung des Publikums ausgerichtet war. Erreicht wurde dies alles auch Dank der Zuspielung bislang nie gehörter O-Töne des Komponisten, die den 2003 in Buchform publizierten Gesprächen Roelckes mit Ligeti entstammten und in allen Konzerten als pointierte Selbstkommentare zu einzelnen Werken oder bestimmten Themenkreisen genutzt wurden. Nach vier gut bis sehr gut besuchten Konzerten hatte man dann zwar das Gefühl, über die Stunden hinweg viel erlebt und einiges auch ganz neu erfahren zu haben, fühlte aber dennoch ein gewisses Bedauern, dass es die Veranstaltung schon zu Ende sein sollte. Mehr Wirkung kann man eigentlich von einer solchen Unternehmung nicht erwarten.

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