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Veronika Lee. Foto: Bettina Stöß

Veronika Lee. Foto: Bettina Stöß

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Gefangen in der Infokratie – „Die diebische Elster“ von Gioachino Rossini im Theater Bielefeld zeichnet ein düsteres Gesellschaftsbild

Vorspann / Teaser

Wie stellt man eine Elster auf der Opernbühne dar? Man kann einen echten Vogel in einen Käfig sperren und seine Pappmaché-Atrappe ab und zu herumfliegen lassen. Man kann sein Bild an die Wand projizieren zeigen oder einem Schauspieler Flügel ankleben, der aus dem Hinterhalt die silbernen Löffel stiebitzt. In Bielefeld haben sich Regisseurin Ana Cuéllar, Bühnenbildner Manuel La Casta und Medienkünstlerin Katharina Manz für Rossinis „Diebische Elster“ etwas ganz Besonderes einfallen lassen: da gleitet die Elster als flimmernde fliegende Untertasse über den Fußboden, schwebt als Überwachungskamera herab, erscheint als Robotergesicht der KI, die mit sanften Verkündigungen der falschen oder richtigen Namen Unheil stiftet. Denn die Geschichte des Dienstmädchens Ninetta, das des Diebstahls eines Silberbestecks bezichtigt und zum Tode verurteilt wird, interpretiert das Team als hochaktuelle Parabel auf Massenhysterie und Sensationsgier im Lichte von Informationsmanipulation durch heutige Technologie. Die Wahrheit verschwindet in der allgemein zugänglichen Informationsflut der „Infokratie“, zwischen Faktenbeliebigkeit und Fake News. 

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So stimmig und faszinierend dieser Ansatz auf den ersten Blick erscheint, so wenig kann er es rechtfertigen, Rossinis in einer geschlossenen Dorfgemeinschaft spielende Gesichte in unsere zersplitterte Gegenwartsgesellschaft zu katapultieren.  Die Behauptung, Rossinis Oper biete ein perfektes Spiegelbild unserer heutigen Gesellschaft, gewinnt keine sinnliche und schon gar keine emotionale Überzeugungskraft und bleibt so eben – Behauptung. Das führt zu einer Sterilität und Beziehungslosigkeit, die vielleicht eine Seite des modernen Lebens wiedergibt, aber doch letztlich Oberfläche bleibt und soziale Bezüge vernachlässigt. Auch das ist Wahrheitsverschleierung. La Casta baut einer gelangweilten Partygesellschaft eine weiß getünchte Yuppie-Wohnung, die sich auf der Drehbühne zum Gefängnis, zum Gerichtssaal oder auch zum Außenbereich für allerhand Verstecke umfunktionieren lässt. Hier wird ein Fest für die Rückkehr des Kriegshelden Giannetto vorbereitet, Sohn des Pächterehepaares Fabrizio und Lucia Vingradito (Yoshiaki Kimura und Marta Wryk) und Geliebter der Ninetta. Irina Spreckelmeyer steckt die feiernde Menge in einheitsgraue Kostüme, so dass Herrschaft, Gäste und Dienstboten kaum zu unterscheiden sind. Ziemlich lustlos gehen die Vorbereitungen vor sich, und nur die Hausfrau Lucia kann mit scharfer Stimme ein wenig einheizen. 

Rossinis federleichte, ironisch funkelnde Musik straft diese Trostlosigkeit Lügen, und ohne naturalistisch sein zu wollen, wäre es wohl spannender gewesen, den Absturz einer anfänglichen Freude in das finstere Drama zu erleben. Der junge Soldat ist natürlich traumatisiert, und so gibt es eine distanzierte Begrüßung mit seiner Liebsten. Das mag so sein und hat doch mit dem Stück wenig zu tun, keine Bedeutung für seinen Fortgang. Ebenso aufgesetzt wirken Videos von marschierenden Soldatenstiefeln oder Geschossexplosionen. Plausibler ist da schon, wenn rasende Reporter die Bedrängung Ninettas durch die Menge mit der Kamera einfangen und dies als Fernsehbild von vermeintlicher Objektivität projizieren, oder wenn zur Gerichtsverhandlung die Handys gezückt werden. 

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Paata Tsivtsivadze, Evgueniy Alexiev, Yoshiaki Kimura, Veronika Lee, Yevhenii Vaskiv; Mitglieder des Opernchors. Foto: Bettina Stöß

Paata Tsivtsivadze, Evgueniy Alexiev, Yoshiaki Kimura, Veronika Lee, Yevhenii Vaskiv; Mitglieder des Opernchors. Foto: Bettina Stöß

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Das Bielefelder Ensemble schlägt sich achtbar in Rossinis schwierigen Gesangspartien. Ninetta ist eine couragierte, selbstbewusste Person, der Veronika Lee die bewegliche Erscheinung und in allen Lagen kraftvolle Stimme verleiht. Ihre horrend schweren Koloraturen, die wie bei Mozarts „Heldinnen“-Arien von höchsten Höhen in tiefste Tiefen stürzen, bewältigt die junge Sopranistin wirklich eindrucksvoll. Die Facetten ihrer Rolle von unbeschwerter Lebenslust bis zu angstvoller Erschütterung kann sie differenziert entfalten. Ein wenig hartes, erst allmählich biegsameres Tenortimbre gibt Andrei Skliarenko seinem Giannetto, dessen Partie ebenfalls mit Spitzentönen gespickt ist. Sie unterstreichen seine Eitelkeit, mit der er sich auch nicht voll auf Ninettas Seite stellen kann. Uneingeschränkte Unterstützung erhält sie vom Bauernburschen Pippo, der sie in letzter Sekunde rettet, indem er das Diebesnest der Elster entdeckt. Sophia Maeno verkörpert diese Rolle mit klangvollem Mezzo und stellt die Zuneigung zu Ninetta einfühlsam dar. Die Abschiedsszene im Kerker vor der drohenden Hinrichtung ist wohl der stärkste, anrührendste Moment dieser Inszenierung. Ihren als Deserteur gesuchten Vater Fernando Villabella (Evgueniy Alexiev) will Ninetta durch ihr Schweigen schützen, Stoff für etwas langatmige Vater-Tochter-Dialoge, welche die Wucht à la „Rigoletto“ oder „Aida“ nicht erreichen. Er ist kein ganz ebenbürtiger Gegenspieler für den „Podestà“ (Bürgermeister) des Ortes, der sich an Ninetta für verschmähte Avancen rächen will. Joshua Bloom kann ihm die erzenen Töne eines Schurkenbasses verleihen, ebenso einschmeichelndes Verführer-Flair wie temperamentvolle Zornesausbrüche hervorbringen. Und doch bleibt seine Figur fragwürdig. Mit seinem knallroten Anzug ragt er aus der gesichtslosen, duckmäuserischen Masse heraus – nach wie vor sind die Bösewichter attraktiver als die Guten, Herrscherpersonen eben, denen die anderen nachlaufen. Gleichzeitig strahlt er eher die Geckenhaftigkeit eines Zuhälters aus als wirklich furchteinflößende Macht. Die kommt nur zur Geltung, als er Ninetta im Gefängnis zu vergewaltigen versucht, bevor er endgültig das Todesurteil unterschreibt – ebenfalls eine überzeugende Szene. Und nach dessen Verkündung wacht das Volk endlich auf – doch ist das nur Chaos, das Ausbrechen unkontrollierter Emotion, das alle übereinander herfallen lässt, oder echte Empörung und Widerstand, angefeuert von Rossinis Musik, wenn sie im Dauercrescendo die berühmte „Lokomotive“ anrollen lässt?

Gregor Rot animiert die Bielefelder Philharmoniker zu schlanker, leichtfüßiger Diktion, die auch die Klippen virtuoser Ansprüche vor allem an die Bläser elegant zu nehmen weiß. Rossinis Hornsoli und Posaunenchöre sind spektakulär. Doch auch hier fehlt der letzte Tick Intensität, der dem Drama die gute Laune austreiben müsste, auf die Rossini leider immer noch festgelegt wird. Dies ist keine „heitere“ Musik. Sie kann eine niederschmetternde Wucht entwickeln, wie eine Lawine alles mitsichreißen. Durchaus hat dieser Taumel auch etwas Beängstigendes, Unentrinnbares. Die Schwärze der Gerichtsszene, die Grausamkeit der bevorstehenden Hinrichtung könnte auch der Opernchor (Einstudierung: Hagen Enke) noch intensiver ausmalen. „Die diebische Elster“ erzählt von Unterdrückung und Machtmissbrauch, aber auch von Individuen, deren Vielschichtigkeit ausgeschöpft sein will. Ungebremsten Zugang zu Informationen haben sie allerdings nicht, ganz im Gegenteil. Die soziale Hierarchie hindert sie daran. Die heutige Gesellschaft andererseits ist in viel stärkerer, widersprüchlicher Bewegung, als die Dystopie dieser Inszenierung es wahrhaben will – die „Infokratie“ ist wohl eher Ausdruck als Ursache ihrer Problematik.

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